Ostern ohne iPhone: Die Module spielen verrückt
Es ist Karfreitag und die Osterfeiertage können beginnen – da stürzt plötzlich das iPhone zu Boden und liegt im Koma. Was nun? Ein Erfahrungsbericht.
BERLIN taz | Am Karfreitag ist mein iPhone ins Koma gefallen. Gerade als ich von meinem Arbeitsplatz aufstand um mich für die Osterfeiertage zu verabschieden, rutschte es von einem Stapel Zeitungen herunter, fiel auf die Erde – und ist seitdem nicht mehr zu bedienen. Ich bin wie amputiert.
Meine Kollegin, die ein Handy hat, mit dem man telefonieren und simsen kann, kicherte ob meiner "Oh nein"-Schreie, als ich die Sprünge im Glas entdeckte. Aber es gab noch Hoffnung. Ein Neustart und es wird schon wieder laufen, so hoffte ich. Schließlich sind Uhrzeit und Hintergrundbild noch intakt, auch SMS erreichen mich, aber ich kann sie nicht beantworten, denn der Touchscreen lässt sich nicht bedienen. "Ich hab ein altes Handy für dich, das kann ich dir geben", versucht mich die Kollegin zu trösten, als ich anfange zu hyperventilieren.
Was daran so schlimm ist? Ich habe nicht mal Festnetz zu Hause, ich habe meine Musik auf diesem iPhone, alle meine Kontakte, Fotos, SMS, Apps – mein iPhone und ich, wir teilen ein Leben miteinander. Es liegt nachts neben mir und es ist mein Wecker – ich habe keinen anderen. Wir joggen zusammen, fahren zusammen zur Arbeit und es spendet mir Musik, Nachrichten, Videos – alles wonach mir eben so ist. Während diese Gedanken durch meinen Kopf jagen, rinnt eine Träne über meine Wange, die die Kollegin auf keinen Fall sehen darf. Was weiß sie schon von Smartphones? Eben. Also nicke ich nur geistesabwesend und die Kollegin lässt mich alleine in den dunklen Redaktionsräumen zurück. Sie verreist über Ostern. Das hatte ich eigentlich auch vor, aber ohne mein iPhone? Erst einmal muss es morgen zum besten Arzt, den ich auftreiben kann.
Zu Hause angekommen, verschicke ich erst einmal folgende Mail an meine engsten freunde: +++iPhone nach Sturz schwer verletzt, muss morgen in die T-Punkt -Notaufnahme. Heilungschancen ungewiss. Diese Hilflosigkeit, unerträglich. Ich kann nichts für es tun. Gar nichts. Telefonbuch, SMS - Alles futsch. Habe olles Ersatzhandy von Sohn, mit dem ich nur angerufen werden kann. Das Leben ist nur noch Schmerz. Der Tränenfluss will nicht abreißen. Werde Reise nach HH wohl nach diesem Trauerfall nicht antreten können, mal sehen was der Arzt dazu morgen sagt. Ohne Foni gehe ich nirgendwo hin. Weiche nicht von seiner Seite. Ostern versaut. Beileidsbekundungen sind nur per Mail zu empfangen.+++
Vor dem T-Punkt-Shop in Mitte antichambriere ich also am Samstagmorgen, bis man mich um elf endlich einlässt. Die Diagnose der Assistenzärztin Anfang 20: "Sie brauchen ein neues Gerät, 240 Euro, dauert eineinhalb Wochen. Haben Sie Ihre Daten synchronisiert?"
Wie in Trance verlasse ich den Shop, gehe wieder nach Hause und synchronisiere was das Zeug hält – aber wie ich die Nachrichten retten kann, erschließt sich mir nicht. Ich gehe also wieder los. In einen anderen T-Punkt. Ich will mit einer Handy-Chefärztin reden. Dafür muss ich jetzt sehr lange anstehen. Die Diagnose ist dann leider die selbe: Pech gehabt. Dafür ist das neue Gerät aber am nächsten Tag angeblich schon da. Also, natürlich erst am Dienstag nach Ostern. Meinen Aufschrei ob der horrenden Summe, der Tage ohne iPhone und der Ungerechtigkeit der Welt nimmt die Lady professionell zur Kenntnis, ja, sie kennt diesen Schmerz, doch sie bleibt Profi. Wir sehen uns Dienstag wieder.
Gebrochen mache ich mich auf den Nachhauseweg. Ich lege mich ins Bett und stehe erst wieder auf, um einen Kondolenzbesuch meiner Nachbarin zu empfangen. Sie wusste um die enge Bindung und zeigt soviel Empathie wie es jemandem möglich ist, der kein iPhone besitzt. Es ist gut gemeint, aber was weiß sie schon? Ich sage meine Reise nach Hamburg ab und weiß im selben Augenblick, dass das ein Fehler ist, aber ich bin nicht mehr fähig eine Reise zu planen. Das Telefon meines Sohnes ist eine Zumutung, mehr lässt sich dazu nicht sagen. Aber: Ich schaffe es, aus der Videothek eine "Hilfe-was-soll-ich-ausleihen"-SMS zu verschicken. Seitdem fühle ich mich nicht mehr ganz so elend. Ich erinnere mich an ein Leben vor dem iPhone. Dunkel.
Am nächsten Tag bin ich auf einen Osterbrunch eingeladen und werde von Menschen, die selbst ein iPhone besitzen oder iPhone-Besitzern nahestehen, bestürmt und umarmt. "Es muss furchtbar sein für dich, wie geht es dir, kommst du klar, ich fühle mit dir". Ich höre Geschichten von geklebten und geföhnten iPhones, die alle wie durch ein Wunder dann doch noch funktionierten, aber auch von ähnlichen, niedrigen Stürzen, die eine Existenz vernichten konnten. Der Satz "Genau darum hab ich nur so ein olles Schrottding, damit mir sowas nicht passiert" fällt natürlich auch. Gut, es gibt auch Menschen, die Star Wars und Star Trek nicht unterscheiden können.
Meine Bekannte Isa stürzte an Neujahr in eine Pfütze, ein netter Herr wollte ihr helfen, aber als sie nur "Mein iPhone" stammelte, wühlten sie beide so lange im Matsch, bis es gerettet war. Dann erst half er ihr beim Aufstehen.
Doch die Tage, die das iPhone trocknen musste, waren erholsam, sagt Isa, weil sie nicht alle zehn Minuten ihre Emails abrufen oder den Status bei Facebook ändern musste. Und wirklich, mir fällt auf, dass ich den ganzen Tag über nie abgelenkt bin – ich komme nicht mal auf die Idee, auf das Handy meines Sohnes zu gucken, obwohl meine Chipkarte ja da drin ist – einfach, weil die SMS darauf bei weitem nicht so schön aussehen.
Außerdem: Menschen, die ihre Nachrichten auf dem iPhone während eines Gesprächs checken, brauchen danach 15 Minuten um wieder richtig reinzukommen, erfahre ich. Da sie ungefähr alle fünf Minuten checken, sind sie eigentlich nie Teil des Gesprächs. Puh, gut dass ich das hinter mir habe.
Ob ich denn auch über mein iPhone arbeite, fragt Isa. "Entschuldige mal, das ist doch kein Blackberry! Selbstverständlich nicht", empöre ich mich. Wir sind uns einig: Ein iPhone legt man sich selbst zu, weil man es schön findet und Spaß daran hat. Einen Blackberry bekommt man vom Arbeitgeber oder vom Freund, wenn man keinen Telekom-Vertrag hat. Blackberry bedeutet Arbeit in der Freizeit, ein iPhone Freizeit während der Arbeit.
Am Ostermontag bin ich schon wieder ziemlich ruhig. Die Situation hat ihren Schrecken eingebüßt, ich habe mich sowohl an den Verlust des Telefons als auch an den baldigen Verlust einer Stange Geld gewöhnt. Es gibt schlichtweg keine Alternative für mich. Ich warte jetzt nur noch, dass die Feiertage vorbei gehen und ich ein neues iPhone erhalte. Dabei nutze ich die meditative Ruhe, die von der ollen Gurke meines Sohnes ausgeht – so unsexy wie dieses Gerät ist, genüge ich mir vollkommen selber und suche nicht den Kontakt nach außen, Mails abrufen ist nicht möglich, die SMS ohne die kleinen Sprechblasen kaum lesbar.
Schön. Schön, so für zwei, drei Tage – aber ich bin ein Bürger des neuen Jahrtausends. Ich habe von dieser Frucht genascht und werde fortan nur mit ihr gemeinsam durchs Leben gehen und einen nach dem anderen von den "Genau-darum-hab-ich-nur-so-ein-olles-Schrottding"-Telefonierern in unserer iPhone-Selbsthilfegruppe begrüßen, mit dem wissenden "Ich-habs-dir-doch-immer-gesagt"-Blick. Und sie werden verlegen lachend zu Boden gucken und mir dann in die Augen sehen und nicken. Denn sie wissen, es ist Liebe.
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