Ost-taz, leicht eingewestet

■ betr.: „Ein kurzer Ostberliner Frühling“, taz vom 16.4.94

[...] Außer der Jahreszahl 1990, die Klaus Wolschner zu Recht als ungefähres Datum der Ost-taz- Gründung angibt, stimmt in seinem Artikel so gut wie nichts mit den damaligen Ereignissen überein.

Erinnern wir uns: Als am 26. Februar 1990 die erste „taz ddr“ erschien (übrigens 16 Seiten, und nicht, wie von K.W. behauptet, mit nur zwölf) schrieb Jürgen Kuttner in einem Editorial: „Wichtigste Grundlage dessen, was in der Zeitung zu lesen sein wird, ist eine Kooperationsvereinbarung beider Redaktionen, nach der wir so viel wie möglich selbst machen.“ André Meier ergänzte: „Die taz (West) weiß auch, wieviel ein mal eins ist, ist nur klug genug, um die Sorgen und Launen der östlichen Gefährtin nicht mit dem gesamtdeutschen Besen zu übergehen.“ Eine de facto eigenständige Zeitung mit autonomer Redaktion also, die von Ostlern für Ostler gemacht wurde?

Die Tragik dieses Irrtums bestand nicht so sehr darin, daß eben dies dem Leser suggeriert wurde – viel fataler war, daß die Macher der „taz ddr“ versuchten, genau das in die Tat umzusetzen. Der Erfolg gab ihnen recht. Selbst bei einer verkauften Auflage von nur 50.000 Exemplaren waren das, pro Kopf der Bevölkerung gerechnet, drei mal soviel verkaufte Zeitungen wie sie die „große Schwester“ im Westen an die Leser bringen konnte.

Doch schon bald nach den ersten Ausgaben der „Micky-Maus- taz“ (Kochstraßen-Jargon) wurden Unmutsäußerungen über die Arbeit der Ost-Kollegen laut. Das Problem: Eine „Ost-Sicht“ auf Dinge zu haben, gut und schön – aber die hatte gefälligst so auszusehen, wie man sich im Westen eine „Ost-Sicht“ vorstellte.

Auch denjenigen also, die ihr Domizil in Sichtweite der Mauer aufgeschlagen hatten, waren die „anderen Deutschen“ schlicht unheimlich. Und da es kaum möglich erschien, die Ost-Kollegen binnen kürzester Frist auf West zu trimmen, war der „Anschluß“ schon bald beschlossene Sache. Bereits am 21. April 1990 erschien die letzte originäre „taz ddr“. Die Ostler wurden auf die Etagen der West-Redaktion verteilt und durften nun – das Verhältnis war ungefähr 1:10 – ganz demokratisch über die Herstellung der „Gesamt-taz“ mitentscheiden. Wie sie worüber zu berichten hatten, entschieden nun andere.

Das Label „taz-ddr“ allerdings existierte noch eine ganze Weile. Doch waren die Leser natürlich nicht so blöd, es nicht zu bemerken, daß sie nun plötzlich eine Westzeitung in der Hand hielten. Von Stund an ging es mit der verkauften Auflage rapide bergab.

Die berüchtigte Stasilisten-Diskussion, die Klaus Wolschner recht demagogisch als einen der Gründe für das Ende der Ost-taz anführte, gab es erst Wochen später. Auch hier scheint das Gedächtnis des „Sonderbeauftragten“ etwas getrübt zu sein. Tatsache ist: Die taz bekam eine Diskette mit ehemaligen Dienstobjekten und konspirativen Wohnungen der Staatssicherheit zugespielt, die so geheim nicht war: sie stammte aus dem staatlichen Komitee zur Auflösung des DDR-Geheimdienstes. Längst waren die einstigen Stasi-Objekte an andere Nutzer vergeben und die Wohnungen an unbescholtene Bürger vermietet. Die Forderung der „Ossies“ war nun nicht etwa, die Listen zu unterdrücken, sondern lediglich, die – dazu oft noch falschen – Hausnummern zu schwärzen, um die neuen Mieter nicht in den Geruch einer Stasi- Mitarbeit gelangen zu lassen. Vergeblich – nach mehreren durchdiskutierten Nächten wurden die Listen schließlich mit lautem Mediengedonner auf dem Alex verteilt. Nur weil ein paar Unschuldige falschen Verdächtigungen ausgesetzt werden könnten – so die Meinung der West-KollegInnen, könne man die Hausnummern nicht unkenntlich machen – dies widerspräche dem journalistischen Ethos der taz.

Bald darauf verließen die ersten MitarbeiterInnen desillusioniert die taz. Wenn zwei Jahre nach dem hoffnungsvollen Beginn des Unternehmens kein einziger Ost-tazler mehr übrig blieb, so war es nicht zuletzt dem Unwillen der WestkollegInnen geschuldet, Ihre Partner im Osten nicht als verhinderte Westler zu sehen, sondern als das was sie nun einmal waren: Menschen aus einem etwas anderem Kulturkreis mit einer etwas anderen Geschichte.

In einem SFB-Hörfunktinterview Anfang Juni 1990 erklärte der Autor dieser Zeilen – befragt über die Zusammenarbeit zwischen Ost- und West-taz – sinngemäß, das, was in der taz im kleinen vor sich ginge, sei letztlich nur eine Vorwegnahme dessen, was den beiden Deutschländern nach ihrer Vereinigung noch bevorstehe. Wie zutreffend diese Einschätzung war, konnte ich damals noch nicht ahnen. Sollte dies auch in Zukunft so sein, so kann man schon jetzt gar nicht laut genug warnen: Hütet euch vor den Äußerungen von „Sonderbeauftragten“, was auch immer sie euch erzählen wollen. Olaf Kampmann,

Ex-Ost-taz-Redakteur, Nicht-

Ex-SED-Mitglied, Nicht-PDS-

Wähler, Nicht-Ex-OibE etc.