Orkantief „Christian“ wütet in Nordeuropa: Zugverkehr weiter gestört
Noch ist das Ausmaß der Schäden nicht abzusehen. Auch am Tag nach dem Orkan haben Bahnreisende große Probleme. 15 Menschen starben europaweit.
BERLIN dpa | Bäume liegen kreuz und quer auf Straßen, Autos sind eingedrückt, Bahnstrecken gesperrt: Nach dem Durchzug von Orkantief „Christian“ hat in Norddeutschland und Nordeuropa das große Aufräumen begonnen. Der deutsche Zugverkehr war auch am Dienstag erheblich gestört. Im Fernverkehr blieb die Strecke zwischen Hamburg und Kiel laut Bahn zunächst geschlossen.
Die Höhe der Schäden ist nach Angaben des weltgrößten Rückversicherers Munich Re noch nicht absehbar. Bei den Unwettern mit einer Geschwindigkeit von bis zu 173 Stundenkilometern starben europaweit 15 Menschen.
In Deutschland hatten die ersten großen Herbststürme seit Sonntag mindestens sieben Menschen das Leben gekostet. Im niedersächsischen Bad Bentheim und in Schleswig-Holstein in Braderup kamen zudem bei Verkehrsunfällen zwei weitere Menschen ums Leben. In beiden Fällen schloss die Polizei einen Zusammenhang mit dem Unwetter nicht aus. In Europa gab es damit zusammen mindestens 15 Tote. Meist waren umgestürzte Bäume die Ursache.
Allein in Schleswig-Holstein mussten Polizei und Feuerwehr zu fast 3.600 Einsätzen ausrücken. „Für unsere Leitstellen war die Zählung elektronisch nicht mehr zu bewältigen“, erklärte die Sprecherin des Lagezentrums: „Wir stiegen auf Papier und Bleistift um.“
Bahn muss zahlen
Für die Bahn könnte „Christian“ teuer werden. Bahnreisende bekommen bei großen Verspätungen Geld zurück. Kommt der Zug 60 Minuten später an, muss das Unternehmen 25 Prozent des Fahrpreises erstatten, ab 120 Minuten sogar 50 Prozent. Bis vor wenigen Wochen waren Fahrgäste bei höherer Gewalt noch auf die Kulanz der Bahnunternehmen angewiesen.
In Niedersachsen, Bremen und Nordrhein-Westfalen blieb vor allem der regionale Bahnverkehr noch erheblich eingeschränkt. Für weiter gesperrte Zugstrecken sollten Ersatzbusse eingesetzt werden. Das sei aber auch nicht in allen Fällen möglich, weil zum Teil auch Straßen nicht richtig befahrbar seien, sagte eine Bahnsprecherin. Wann die Züge wieder normal fahren, dürfte sich erst im Laufe des Dienstags entscheiden.
In Hamburg normalisierte sich der öffentliche Nahverkehr. Pendler mussten sich dennoch auf mögliche Verkehrsbehinderungen oder längere Fahrten zum Arbeitsplatz einstellen. Durch die Sturmschäden fuhren einige S-Bahn-Züge nicht.
Vor allem der Norden Schleswig-Holsteins hat die Kraft einer der stärksten Herbststürme der vergangenen Jahrzehnte gespürt. Wegen der zum Teil beträchtlichen Schäden gab es einen ersten Ansturm bei Versicherungen. Laut Provinzial-Versicherung sind nicht nur zahlreiche kleinere Schäden zu regulieren.
Es gehe auch um abgedeckte Dächer und Bäume, die auf Häuser oder Autos fielen. In Flensburg sowie im Kreis Nordfriesland sei der Unterricht an öffentlichen Schulen ausgefallen, teilte ein Sprecher des Landes-Innenministeriums mit.
Dänemark und Großbritannien
Wegen umgestürzter Bäume auf Gleisen und beschädigter Stromleitungen waren Regional- und Intercityverbindungen der Bahn in Teilen Dänemarks reduziert worden, wie das Bahnunternehmen DSB berichtete. In Schweden waren rund 60.000 Haushalte ohne Strom, im Baltikum waren es Hunderttausende.
Im Süden Großbritanniens starben mindestens vier Mensche. Eine 17-Jährige schlief in einem Wohnwagen, als ein Baum auf ihn fiel und sie tötete. Ein Mann starb, nachdem ein Baum auf sein Auto gestürzt war. In London wurden ein Mann und eine Frau durch eine Gasexplosion in einem Haus getötet. Dutzende Flüge an Europas größtem Flughafen London-Heathrow fielen aus, und der Zugverkehr kam im Süden des Landes zum Erliegen. Betroffen war auch die Eurostar-Verbindung durch den Kanaltunnel nach Frankreich. Am Montag waren 580.000 Haushalte zeitweise ohne Strom.
Niederlande und Frankreich
In Amsterdam riefen am Montag die Behörden die Bürger auf, in ihren Wohnungen zu bleiben. Zahlreiche Bahnstrecken vor allem rund um Amsterdam waren wegen umgefallener Bäume und kaputter Leitungen stillgelegt. Rund 50 Flüge fielen am Flughafen Schiphol aus. Eine Fähre aus dem englischen Newcastle mit rund 1.000 Passagieren konnte den nordniederländischen Hafen Ijmuiden zunächst nicht erreichen und musste das Ende des Sturms auf offener See abwarten.
Auf der französischen Insel Belle-Île vor der Westküste Frankreichs stürzte am Montag eine Frau wegen einer Sturmböe ins Meer und ertrank. In Westfrankreich waren 75.000 Haushalte am Montagmorgen ohne Strom. Der Fährverkehr zwischen dem nordfranzösischen Calais und Dover in Großbritannien wurde zeitweise unterbrochen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Trump und Putin
Bei Anruf Frieden
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen