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Orkan KyrillLicht im Unterholz

Der Orkan"Kyrill" hat vor sechs Monaten den Bayerischen Wald gelichtet: Nun gedeihen Myriaden von Borkenkäfern und wahre ökologische Vielfalt.

Nach dem Sturm: Erstmals seit Jahrzehnten erreichen Sonnenstrahlen den Waldboden Bild: reuters

FREYUNG taz Mühelos überrollen die Panzerketten halbmeterhohe Baumstümpfe und Berge von Zweigen. Das 25 Tonnen schwere Gefährt stoppt, streckt seinen Schwenkarm aus und umgreift eine Fichte in Bodennähe. Keine Minute später fällt der Baumriese. Holz splittert, als er eine schmale Buche mit sich reißt, bevor er dumpf auf der Erde aufschlägt. Behände hebt der Greifarm den 30-Meter-Stamm auf, lässt ihn einmal der Länge nach durch seine eiserne Hand schießen, und schon ist der Stamm astfrei. Rumpelnd landet er auf einem Stapel. Sofort nimmt die Erntemaschine den nächsten Baum ins Visier.

DAS WAR KYRILL

Am 18. Januar tobte der Orkan "Kyrill" über Deutschland. Dreizehn Menschen kamen durch umstürzende Bäume oder aus ihrer Verankerung gerissene Türen ums Leben. Der Sachschaden wird auf rund 2 Milliarden Euro geschätzt. Hunderttausende Bäume - rund 20 Millionen Kubikmeter Holz - fielen "Kyrill" zum Opfer, besonders in den Wäldern in Nordrhein-Westfalen und Thüringen. Allein im Bayerischen Wald warf "Kyrill" 160.000 Bäume um.

Der Ort des Geschehens: der Nationalpark Bayerischer Wald. Hier findet gerade ein Wettlauf gegen die Zeit statt, sagt Rainer Simonis, Leiter der östlichsten Dienststelle. Er hebt ein Stück Rinde von einem frisch gefällten Baum ab. Darunter zeichnet sich ein Muster von senkrechten und waagerechten Gängen ab. Etwa fünf Millimeter lange, fette, weiße Larven kriechen darin; manche pendeln auch schon als Puppen in einer kleinen Höhle am Ende ihres Ganges. Unter einem anderen Rindenstück entdeckt Simonis bereits die nächste Entwicklungsstufe: hellbraune Borkenkäfer in gleicher Größe. Zwei Wochen lang fressen sie sich noch einmal satt - dann schwärmen die Männchen bei schönem Wetter aus, bohren neue Fichten an und locken per Duftstoff weitere Artgenossen an den Baum. "Wenn die Stämme bis dahin nicht weg sind, war die ganze Arbeit umsonst", stellt Simonis klar.

Nach dem Sturm: die Borkenkäfer kommen Bild: ap

So viele Bäume wie in diesem Jahr musste der Forstamtmann in seinem Revier noch nie fällen lassen. In der Nacht vom 18. auf den 19. Januar hatte der Sturm "Kyrill" im Nationalpark Bayerischer Wald 160.000 Bäume umgeworfen. Nach langer Debatte stand die Entscheidung fest: In den Kernzonen bleibt die Natur sich selbst überlassen. Doch wo private Forste angrenzen, müssen die Fichten weggeräumt werden. Schließlich sind die entwurzelten Bäume, die sich nicht einmal mehr mit Harz gegen Angreifer wehren können, für Borkenkäfer eine völlig risikolose Beute.

Zwar ist das angefallene Sturmholz schon weggeräumt, versichert Simonis. Doch es geht weiter. Gegenwärtig werden 12.000 todgeweihte Bäume gerodet, in denen sich jeweils tausende von Borkenkäfern eingenistet haben. Noch sehen die Kronen gesund aus - doch kleine Löcher in der Rinde, kaffeemehlartiges Pulver und grüne Nadeln am Boden zeigen unzweideutig an, dass die Fichten unrettbar verloren sind. Spätestens in vier bis sechs Wochen werden ihre Kronen eine fahle, grau-orange Färbung annehmen: Die Borkenkäferlarven haben bei ihrem Fraß in waagerechter Richtung die Versorgungsstränge der Bäume durchtrennt.

Ein schwer beladener Holztransporter hat sich knietief in den aufgeweichten Waldboden gefräst; beim Manövrieren zerquetscht er winzige Bäumchen, die den Panzerketten der Erntemaschine entgangen waren. "Was hier passiert, ist der Preis, den wir zahlen müssen für das, was im Innern des Nationalparks los sein darf", sagt Simonis. Er zeigt Verständnis für das Interesse der privaten Forstbesitzer; schließlich ist die Fichte der "Brotbaum" der deutschen Holzwirtschaft. Ein Borkenkäferbefall zwingt die Waldbesitzer nicht nur zur vorzeitigen Ernte, sondern verursacht auch einen Bläuepilz. Dessen tintige Färbung beeinträchtigt zwar nicht die Stabilität des Holzes, mindert aber zusätzlich den Verkaufserlös.

Mindestens einen halben Kilometer tief in den Nationalpark hinein reicht die Bekämpfungszone. Dahinter kann man studieren, wie sich die Natur ohne Eingriffe des Menschen entwickelt. Ins vorher dicht geschlossene Kronendach hat "Kyrill" eine Lücke gerissen, meterhohe Wurzelteller ragen senkrecht nach oben. Daneben sind kleine Tümpel entstanden - ein neuer Lebensraum für Frösche.

Erstmals seit Jahrzehnten erreichen hier wieder Sonnenstrahlen den Boden: Fichten, Tannen und Buchen, die als Zwerge seit vielen Jahren in Wartestellung verharren, haben nun die Chance ihres Lebens. Wer von ihnen den Wettkampf ums Licht gewinnt, steht noch nicht fest. Im warmen Frühjahr haben Buchen und Tannen einen Vorteil, weil sie schon im April austreiben; kommt ein Spätfrost, hat die Fichte bessere Chancen. Auch die Gefahren durch Wild, das an ihrer Rinde knabbert, sind für sie geringer. Die Buche kann dagegen auch an schattigeren Plätzen groß werden. Ohne Bevorzugung durch den Menschen wird der Fichtenanteil in den niedrigeren Regionen des Bayerischen Waldes vermutlich auf 40 Prozent zurückgehen.

Die Hochlagen über 1.200 Meter gehören der Fichte allein. Hier hat der Borkenkäfer seit 1994 ganze Arbeit geleistet. In mehreren Wellen machte er fast allen Altbäumen den Garaus, und wo sich einer halten konnte, wurde er über kurz oder lang Opfer von Wind und Schnee. "Die Natur ist knallhart: Altes, was sein Erbgut weitergegeben hat, ist unwichtig und muss Platz machen für die Jungen", konstatiert Simonis.

Nun wuchern junge Vogelbeerbäumchen, Himbeeren, gelbblühendes Habichtskraut und lila Weidenröschen - ein Eldorado für Bergeidechsen und Mäuse, Goldammern und Neuntöter. Diese Vogelart nistet in Hecken und findet immer seltener einen Lebensraum. Hier hat der seltene Neuntöter ein idealen Platz. Doch in ein paar Jahren wird sich das wieder ändern: Schließlich kämpfen sich überall auch kleine Fichten durchs Dickicht. Meist haben sie sich in der Nähe der toten Stämme angesiedelt, die ihnen in den ersten Jahren Borkenkäferkot als Dünger liefern. Sie wachsen langsamer als die Bäume in den kultivierten Wäldern und sind deshalb widerstandfähiger.

Allerdings: "Bis der Wald hier nachgewachsen ist, leben wir alle nimmer", sagt der 28-jährige Klaus Fuchs resigniert. Seine Mutter, die eine Gastwirtschaft in Mauth betreibt, ist davon überzeugt, dass viele Touristen enttäuscht sind: "Erst letzte Woche waren wieder Besucher hier und haben geschimpft, wie unordentlich da alles ist." Ganz andere Erfahrungen macht dagegen ihr Kollege Peter Bachmeyer. Der Nationalpark sei hier im hintersten Winkel der Republik die absolute Chance, glaubt er. "Viele Gäste kommen gerade deshalb zu uns, um einmal Urwald und Wildnis zu erleben."

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