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Orginelle GeldeintreibungNur nicht zu schnell

Die Stadt Northeim treibt Außenstände per „Ventilwächter“ ein: Apparaturen, die beim Fahren die Luft aus den Reifen lassen.

Kleines Gerät mit großer Wirkung: Der gemeine Ventiwächter Bild: dpa

NORTHEIM taz | Mit einer ebenso drastischen wie umstrittenen Maßnahme will die Stadt Northeim ihre Schuldner zur Zahlung zwingen. Ab sofort bringe die Kommune sogenannte „Ventilwächter“ an den Fahrzeugen säumiger Zahler an, teilte Verwaltungssprecherin Dagmar Gloth-Lüer mit. Die Maßnahme richtet sich gegen Einwohner der südniedersächsischen Kleinstadt, die etwa Verwarnungen des Ordnungsamtes wegen Geschwindigkeitsüberschreitung, die KfZ-Steuer oder andere Gebühren trotz mehrfacher Mahnungen nicht bezahlt haben.

Vorrangig wolle die Stadt eine gütliche Einigung mit den Betroffenen erreichen, so Gloth-Lüer. Da aber immer wieder Fälle aufträten, in denen hartnäckige Schuldner trotz Zahlungsaufforderungen und Vollstreckungsversuchen nicht zahlten, setze man nun „als letzte, äußerst effektive Maßnahme des Vollstreckungsbeamten“ auf den Einsatz der Ventilwächter.

Dabei handelt es sich um Aufsätze für die Ventile der Fahrzeugbereifung. Bei Motorrädern werden sie an beiden, bei Autos an mindestens zwei Rädern angebracht. An gut sichtbaren Stellen – bei PKWs in erster Linie die Scheiben auf der Fahrer- und Beifahrerseite – sollen die Mitarbeiter des Ordnungsamtes ein Pfandsiegel und deutliche Hinweisschilder kleben, die vor der Benutzung der Fahrzeuge warnen.

Werden sie dennoch in Bewegung gesetzt, „lassen die Ventilwächter kontrolliert die Luft aus den Reifen“, erläutert Gloth-Lüer die Funktionsweise. Nach einer Fahrstrecke von rund 300 Metern sei alle Luft aus den Reifen heraus. Und: „Sollte jemand versuchen, die Ventilwächter gewaltsam zu entfernen, wird sofort die ganze Luft aus dem Reifen entweichen.“ Erst wenn der säumige Zahler seine Schulden vollständig bei der Stadtkasse beglichen habe, werde die Gerätschaft von einem Beschäftigten der Stadt entfernt.

Die Verwaltung ist überzeugt, dass sich das Vorgehen lohnt. Gloth-Lüer zufolge erhofft sie sich eine Steigerung der erfolgreich abgeschlossenen Fälle – und langfristig eine deutliche Erhöhung der Zahlungsmoral.

Ventilwächter wurden oder werden anderenorts bereits eingesetzt, etwa in Dresden, Köln und Krefeld sowie seit 2012 auch in der Gemeinde Wedemark in der Region Hannover. Allerdings setzte es immer auch Kritik: So warnen unter anderem Verkehrsclubs wie der ADAC vor gefährlichen Situationen, wenn Fahrer den Ventilaufsatz nicht bemerken, weil beispielsweise die angebrachten Warnungen entfernt wurden. Leere Reifen erschwerten die Kontrolle und könnten zu Unfällen führen.

Aus Sicht der städtischen Gläubiger hat der Ventilwächter einen großen technischen Nachteil: Durch langsames Fahren lässt er sich funktionslos machen. Nur eine ausreichend starke Zentrifugalkraft kann das Ventil öffnen – sie wird aber erst bei etwa 15 Kilometern pro Stunde erreicht. „Man kann also ein mit einem Ventilwächter festgesetztes Fahrzeug weiterhin durch Fahren in Schrittgeschwindigkeit fortbewegen“, erklärte der Inhaber einer Göttinger Autowerkstatt der taz. Umgehen lasse sich die Sperrung des Fahrzeugs auch durch das Wechseln des Rades. Der Trend gehe deshalb eigentlich zu Parkkrallen, die jedes Bewegen des Fahrzeuges unmöglich machen – und das Reifenwechseln auch.

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