Organspende-Skandal in Leipzig: Der schnelle Weg zur neuen Leber
Am Leipziger Uni-Klinikum wurden zwischen 2010 und 2011 die Transplantationsdaten von zahlreichen Leber-Patienten manipuliert. Zwei Oberärzte wurden beurlaubt.
BERLIN dapd/dpa | Auch am Universitätsklinikum Leipzig hat es offenbar zahlreiche Manipulationen bei Lebertransplantationen gegeben. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung wurden bei 37 der 182 Patienten, denen in den Jahren 2010 und 2011 in Leipzig eine Spenderleber transplantiert wurde, Daten manipuliert. Das habe der Medizinische Vorstand des Klinikums, Wolfgang Fleig, bestätigt, meldet das Blatt in seiner Mittwochausgabe.
Zuvor hatte bereits die Bundesärztekammer mitgeteilt, dass dort in zahlreichen Fällen Patienten fälschlich als Dialysepatienten ausgegeben worden seien, um sie auf der Warteliste zur Organtransplantation besser zu positionieren. Dies habe eine Überprüfung seitens zweier Kommissionen ergeben, deren Träger die Deutsche Krankenhausgesellschaft, der GKV-Spitzenverband und die Bundesärztekammer seien.
Zur Aufklärung des Skandals soll eine Sonderermittlungsgruppe eingesetzt werden. Sie soll ab Anfang Januar tätig werden und in den kommenden drei Monaten einen Bericht vorlegen, wie der Vorsitzende der Ständigen Kommission „Organtransplantation“ der Bundesärztekammer, Professor Hans Lilie, der Nachrichtenagentur dapd am Mittwoch sagte. Erst dann werde genau feststehen, in wie vielen Fällen Ärzte am Universitätsklinikum Leipzig Manipulationen an Akten von Patienten mit Leberkrankheiten vorgenommen hätten.
Die Führung des Leipziger Uniklinikums schließt nicht aus, dass beim Organspende-Skandal an ihrem Transplantations-Zentrum Geld geflossen ist. „Ich kann nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass kein Geld geflossen ist“, sagte Prof. Wolfgang Fleig, medizinischer Vorstand am Uniklinikum Leipzig (UKL), am Mittwoch. Soweit er die beschuldigten Ärzte und die betroffenen Patienten kenne, könne er sich eine Bestechung jedoch nicht vorstellen. Die Staatsanwaltschaft Leipzig hat ein Verfahren eingeleitet, um eine mögliche strafrechtliche Relevanz zu prüfen.
Ärztepräsident vermutet noch mehr Unregelmäßigkeiten
Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery erwartet, dass noch weitere Unregelmäßigkeiten entdeckt werden. „Die Prüfkommission untersucht etwa 140 Transplantations-Programme, was etwa drei Jahre dauern wird. Deshalb rechnen wir damit, dass noch mehr ans Licht kommt“, sagte er Bild.
Nach bisheriger Prüfung seien 38 Patienten fälschlicherweise als Dialyse-Fälle ausgewiesen worden, um sie in der Warteliste für Organtransplantationen nach oben zu bringen, sagte Fleig. „Das ist ein für mich bestürzendes Ergebnis. Ich bin fest davon ausgegangen, dass wir ein regelkonformes Verfahren haben.“ Die Mauscheleien waren bei Untersuchungen der Prüfungskommission und der Überwachungskommission von Deutscher Krankenhausgesellschaft, GKV-Spitzenverband und Bundesärztekammer ans Licht gekommen.
Das UKL hat den Direktor der Transplantationsklinik sowie zwei Oberärzte beurlaubt. Diese beiden Ärzte hätten die Verantwortung dafür gehabt, wie die Patientenunterlagen auszufüllen gewesen seien, hieß es. „Ob Dialyse oder nicht ist ein Kreuzchen am Computer“, sagte Fleig.
Fleig sagte der SZ, in den fraglichen Fällen sei angegeben worden, dass die Patienten eine Blutwäsche erhalten hätten – was in Wirklichkeit nicht passiert sei. Dadurch erschienen die Patienten kränker, als sie tatsächlich waren. Sie bekamen von der internationalen Organvermittlung Eurotransplant schneller eine neue Leber zugeteilt.
Das Bundesgesundheitsministerium wies Kritik daran zurück, dass die Prüfung der Transplantationszentren unter dem Dach der Bundesärztekammer stattfindet. „Es gibt Überwachungs-, Prüfungs- und Kontrollmechanismen, die funktionieren“, sagte eine Sprecherin des Ministeriums in Berlin. Die aufgedeckten Manipulationen an drei von bisher zehn überprüften Zentren seien Beleg dafür. Die Sprecherin betonte: „Das sind Einzelfälle, und das betrifft nicht das Gesamtsystem.“
Manipulationen in 2010 und 2011
Die beiden Oberärzte, die das Transplantationsbüro des Klinikums bisher leiteten, seien beurlaubt worden, sagte Fleig. Der Vorstand habe auch den Direktor der Klinik für Transplantationschirurgie von seinen Aufgaben entbunden. Fast alle Manipulationen seien in den Jahren 2010 und 2011 vorgenommen worden. Weshalb zu diesem Zeitpunkt plötzlich der Organ-Betrug angefangen habe, frage sich auch Vorstand Fleig, heißt es weiter.
Es habe keinen nennenswerten, einschlägigen Personalwechsel gegeben. Auch sei die Zahl der Transplantationen in diesen Jahren keineswegs sprunghaft gestiegen. Der jetzt beurlaubte Klinikdirektor kam bereits im Jahr 2008 von Berlin nach Leipzig. Im Jahr 2012 gab es offenbar nur noch eine Manipulation, sagte Fleig. Allerdings hatte Eurotransplant inzwischen den Betrug erschwert, im Zuge des Organspende-Skandals von Göttingen: Seither müssen Kliniken die Dialyseprotokolle beilegen, wenn sie Patienten auf die Warteliste bei Eurotransplant setzen.
Zunächst keine Verbindung nach Göttingen
Die in Leipzig entdeckten Manipulationen bei Organspenden haben nach aktuellem Ermittlungsstand nichts mit der Göttinger Organspenden-Affäre zu tun. „Konkrete Verbindungen sind derzeit nicht bekannt“, sagte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Braunschweig, Birgit Seel, am Mittwoch der Nachrichtenagentur dpa. Möglicherweise sei allerdings in Leipzig nach ähnlichen Prinzipien wie in Göttingen vorgegangen worden.
In den vergangenen Monaten hatten mehrere Skandale um Manipulationen bei der Organvergabe die Öffentlichkeit erschüttert. Unter anderem an den Universitätskliniken in Regensburg und Göttingen hatten Ärzte Patienten bei der Organvergabe bevorzugt. Die Bereitschaft zur Organspende hat inzwischen deutlich abgenommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht macht BND für Irrtum verantwortlich
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?
Pro und Contra Letzte Generation
Ist die Letzte Generation gescheitert?