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Oranienplatz„Es war absehbar“

Georg Classen vom Flüchtlingsrat kritisiert die drohende Räumung des Flüchtlingscamps und betont das Recht auf freie Meinungsäußerung.

Freiwillig wollen sie nicht gehen: Flüchtlinge am Montag auf einer Pressekonferenz am Oranienplatz Bild: Paul Zinken/dpa

taz: Herr Classen, wie beurteilen Sie die Situation am Oranienplatz?

Georg Classen: Es war absehbar, dass die Gruppe dort heterogen zusammengesetzt und deutlich größer ist als 80 Personen ist, und dass die vom Bezirk angebotenen Unterkünfte zahlenmäßig nicht reichen. Als ich von dem Ersatzangebot hörte, dachte ich: Wird das jetzt der Vorwand für den Versuch einer polizeilichen Räumung? Und genau so scheint es jetzt zu kommen. Obdachlosigkeit kann man aber nicht mit Polizeieinsätzen beseitigen.

Wie sollte es weitergehen mit den Menschen, die jetzt weiter in den Zelten leben?

Sie müssen akzeptable Unterkünfte angeboten bekommen. Ein Zeltlager ist nicht geeignet, um dort im Winter zu wohnen. Aber die, die weiter dort demonstrieren wollen, müssen das auch dürfen. Es gibt ein Recht, seine Meinung zu äußern, und zwar nicht nur tagsüber. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und der Berliner Senat müssen das respektieren.

Wie ist eigentlich die langfristige Perspektive?

Die Lampedusa-Flüchtlinge sollten ein Bleiberecht in Deutschland bekommen. Das geht nach dem Ausländerrecht aus humanitären Gründen für eine ganze Gruppe, dafür wäre der Innensenator zuständig und der Bundesinnenminister müsste zustimmen. Oder man macht es als Einzelfalllösung etwa über die Berliner Härtefallkommission. Und natürlich muss man das Grundproblem auf europäischer Ebene angehen: Staaten wie Italien müssen Flüchtlinge angemessen versorgen und und ein faires Asylverfahren sicherstellen. Und die EU muss den Flüchtlingen gestatten, ihren Wohnort frei zu wählen, statt allein die Staaten an den Außengrenzen verantwortlich zu machen.

Georg Classen ist Sprecher des Berliner Flüchtlingsrates

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26 Kommentare

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  • @ Hannah: wo/bzw was ist denn vorne? Der nächste Stau? Der nächste Börsencrash? Der nächste Korruptionsskandal? Sind Flüchlinge Dinge?

  • Ach, da bin ich ja mal gespannt, was die seriösen Zeitungen in ihrem Wirtschaftsteil so über Rohstoffbeschaffung für die Industrieländer und deren Auswirkung auf die Bevölkerungen in den Lieferländern schreiben. Ist bestimmt eine Lektüre für schöne Tage.

  • G
    genericseduoti

    Europa,Deutschland,muss gar nix!Afrika muss!In 50 Jahren von einer Trümmerwüste zum Exportweltmeister!Über die Felder fuhr seit 50 Jahren kein Traktor mehr!Die Buren sollen es richten!Welcome to Congo!Wer den Fehler findet darf ihn behalten!

     

    http://www.youtube.com/watch?v=69V1eYMJK3c

  • G
    Gregor

    Wow, haben die Kommentare hier Niveau! Muss ich heute Abend lesen und dann erst kommentieren, null Zeit jetzt. Der lange Beitrag von Konrad Litschko in der taz heute war auch super. Das nenne ich mal Aufklärung in eine chaotische Situation bringen. Guten Arbeitstag!

    • G
      Gregor
      @Gregor:

      Ich erneut. Alles durchgelesen, doch nicht so hohes Niveau, sah nur so aus. Teilweise sehr stichhaltige Argumente. Ein paar der Kommentierer hatten jedoch lieber Lust auf ungepflegten Streit. Auf besser.

  • Die Charta der Vereinten Nationen ist der Gründungsvertrag und damit die „Verfassung“ der Vereinten Nationen (UN). Die Charta als völkerrechtlicher Vertrag bindet alle Mitglieder aufgrund der entsprechenden Bestimmungen des Völkerrechts.

     

    Die Charta besagt, dass die Völker der Vereinten Nationen den „Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen, ob groß oder klein, erneut“ bekräftigen und „den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit“ fördern. Des Weiteren verspricht Art. 1 in den Zielen der VN, dass die Vereinten Nationen „die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen“.

     

    Artikel 53 legt ferner fest, dass die Charta keinen verbesserten Schutz der Menschenrechte durch nationale Verfassungen oder die Europäische Menschenrechtskonvention einschränken kann. Gemäß Artikel 52 können Grundrechte nur im Einklang mit dieser Charta aufgehoben werden. Demnach sind die Grundrechte in der EU dreifach geschützt: durch nationale Verfassungen, EMRK und Charta, wobei das für betroffene Menschen günstigste Recht anzuwenden ist (Meistbegünstigungsklausel).

     

    Werden die Grundrechte und die Meistbegünstigungsklausel von Ausländerbehörden immer beachtet? Folgender Artikel der T.A.Z. beweist die Missachtung der Menschenrechte

     

    http://www.taz.de/Junge-Fluechtlinge/!127963/

     

    Also sind die Forderungen der Camp Bewohner gerechtfertigt!

  • Auf der EU-Ebene müssen Maßnahmen getroffen werden. Es gibt mehrere Gesetze Europäische Menschenrechtskonvention, die zwar Flüchtlinge schützen sollen, die in der Tat anscheinend nicht umgesetzt werden. Einige Länder der Europäischen Union wurden vielfach kritisiert.

     

    Zudem wird stark kritisiert, dass inländische Gesetze und Ausländerbehörden die übergeordneten Gesetze der EU-Ebene nicht einhalten, wenn ein „faires Asylverfahren“ gewährleistet werden soll. Es geht vor allem um Genfer Flüchtlingskonvention, die IN DER UMSETZUNG DURCH BEHÖRDEN nur RECHTE IM ASYL, aber KEIN RECHT AUF ASYL beinhalte. D.h. kaum jemand bekommt in der Bundesrepublik Deutschland nach diesem Gesetz Asyl.

     

    Solche Ungerechtigkeiten sind schon durch verboten Meistbegünstigungsklausel.

  • Herr Classen hat völlig Recht!

    Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben.

     

    Jede Person hat das Recht, sich frei und friedlich mit anderen zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen.

    Diese Rechte dürfen nicht entzogen werden.

     

    Es ist gut und fair gegenüber allen Flüchtlingen, dass T.A.Z. Herrn Classen interviewte. Er ist ein anerkannter Experte auf dem Gebiet.

  • F
    fast

    "Und natürlich muss man das Grundproblem auf europäischer Ebene angehen: Staaten wie Italien müssen Flüchtlinge angemessen versorgen und und ein faires Asylverfahren sicherstellen."

    So ein Satz sagt beinah schon alles. Wer, zum Teufel, ist MAN?

     

    Was ist überhaupt das GRUNDPROBLEM?

    Es wäre sicher sehr hilfreich, dieses mal zu benennen. Das würde vielleicht diese verworrene Situation etwas klären.

     

    Ich lese übrigens, dass die Kommunen im wesentlichen pleite sind.

    Ich lese, dass Deutsche und andere sich oft zu hunderten um einen (nicht mal gut bezahlten) Job schlagen.

    Ich lese, dass hierzulande zehntausende Sozialwohnungen fehlen. Ein Defizit, dass auf absehbare Zeit wohl auch nicht mehr behoben werden wird.

    Ich lese, dass Hartzer per Gesetz an ihren Wohnort "genagelt" werden. Andernfalls gibt es die berüchtigten Sanktionen. Und die Flüchtlinge fordern Reisefreiheit, Arbeitsplätze, Wohnraum usw.

     

    Es dürfte schon bald die vorhersehbaren Reaktion der Bevölkerung geben.

     

    Und da es den Klimawandel mit all seinen Folgen nun mal gibt, dürfte sich Berlin u.a. schon bald nach so einer kleinen Gruppe zurücksehnen. Es werden noch viel mehr kommen. DAS gehört m.E. mit zu diesem Problem.

  • "Es gibt ein Recht, seine Meinung zu äußern, und zwar nicht nur tagsüber. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und der Berliner Senat müssen das respektieren. "

     

    Daraus ein Recht abzuleiten auf Land das einem nicht gehört ohne Genehmigung Bauwerke zu errichten ist aber ziemlich bescheuert.

    • @Tim Leuther:

      ach ja, herzelchen - wem gehört denn der O-platz? hat der einen privateigentümer?

      oder ist er öffentlicher raum unter freiem himmel? wo mensch sich versammeln darf, um seine meinung zu äußern?

      und dass zelte bauwerke sind - na na na.

      • K
        Kimme
        @christine rölke-sommer:

        Liebe Frau Rölke-Sommer, bitte informieren Sie sich erst bevor Sie sich unqualifiziert äußern. Herr Leuther hat recht: Auch Zelte gelten als Bauwerke. Vor allen Dingen, wenn Sie für die Dauer von mehr als 6 Monaten errichtet worden sind. Weiter ist das Zelten und Übernachten in öffentlichen Räumen und der Wildnis nur auf dafür gekennzeichneten Flächen erlaubt. Das bedeutet, die Damen und Herren auf dem O-Platz handelt gleich in mehrfacher Sicht gesetzeswidrig.

  • Es muss in einem der reichsten Länder der Welt möglich sein, den Armutsflüchtlingen Unterkunft und Essen über den Winter bereitzustellen. Für andere Dinge, die viel mehr Geld kosten, ist doch auch Geld da. (Flughafen, Managerabfindungen, Steuererleichterungen für Großindustrie ...

    • A
      Ach........
      @aujau:

      aujau

      "Es muss in einem der reichsten Länder der Welt möglich sein bla bla bla........",

       

      Hoppla, vielleicht einmal den Wirtschaftsteil in seriösen Zeitungen lesen? Ansonsten wünsche ich Ihnen schöne Tage im illusionären Paralleluniversum in dem Sie sich zu bewegen scheinen .

       

      mfG

    • H
      hannah
      @aujau:

      manche dinge bringen das Land nach vorne andere nicht

  • D
    Desillusionierter

    Also langsam reicht es mir. Bisher habe ich geglaubt, in einem Rechtsstaat zu leben, in dem es keine rechtsfreien Räume gibt. Die Kreuzberger BezirksbürgermeisterInnen belehren mich eines Schlechteren.

     

    Die Flüchtlinge haben ihren rechtlich geordneten Status (mit Unterkunft, Sicherheit, Versorgung, Taschengeld usw.) aufgegeben, um durch selbstgeschaffene spektakuläre Notlagen den Staat zu erpressen. Was soll man von potentiellen Einwanderern und möglicherweise künftigen Mitbürgern halten, die als erstes die Gesetze des gewünschten Aufnahmelandes übertreten und Rechtsbrüche begehen?

     

    Es gibt andere Wege, die staatliche Flüchtlings- und Einwanderungspolitik zu kritisieren und ggf. zu korrigieren: z. B. Parteien, Institutionen, Kirchen, Verbände als Mittler einschalten. Oder Happenings dort zu veranstalten, wo man zur Residenz verpflichtet ist.

     

    Die Residenzpflicht ist keine Schikane, sondern dient geordneter Verteilung und Wohlfahrt. Auch Hartz-IV-Empfänger oder Geistliche unterliegen einer Residenzpflicht, auch Ärzte können sich nicht überall niederlassen, wo sie wollen.

     

    Ich habe den Eindruck, die Flüchtlinge lassen sich von der staatsfeindlichen Autonomen- und Anarchoszene instrumentalisieren. Hauptsache, es geht gegen „den Staat“, als sei er das Böse an sich (obwohl er ja auf Flüchtlinge Anziehungskraft ausübt). Wünschenswert wäre dagegen, dass sie - es handelt sich ja meist um jüngere und fittere Menschen – mit gleichem Aktivismus gegen korrupte Staatsgewalten in ihren Heimatländern vorgingen, damit sich die Zustände dort endlich einmal bessern. Auch die Französische Revolution mussten schließlich die Franzosen in Frankreich selber in die Hand nehmen.

     

    Wer hier aber Zuflucht sucht, sollte sich an die Gesetze halten. Das tun die Einheimischen schließlich auch.

    • @Desillusionierter:

      so so, die einheimischen halten sich an die gesetze....

      jetzt weiß ich endlich, wieso die französische revolution (oder noch ne bessere) hier immer noch auf sich warten läßt!

  • SS
    Sven Schmidt

    Der Herr Classen spinnt in meien Augen. Recht wird gebeugt, gebrochen aber wir müssen das ja verstehen...

  • A
    Anton

    Hoffentlich nimmt die Situation am Oranienplatz ein humanitäre Ende.

     

    Ist das nicht möglich, dass die obdachlosen Menschen von dort in einer, dies Mal in der Zahl stimmigen, Aktion warme Schlafplätze von der Stadt zusammen mit privaten Trägern gestellt bekommen?! Gibt es keine Reichen in Berlin, die ein Herz haben und sich dafür einsetzen?! In der Weihnachtszeit?!

     

    Danach wäre ein Infozelt und gegebenenfalls Mahnmal auf dem Oranienplatz wohl die beste Lösung.

     

    Wenn immer neue obdachlose Menschen auf den Platz nachkommen, befürchte ich gestärkte rechte Stereotype in der Stadt. Selbst wenn die Obdachlosen - für mich sind sie in erster Linie nur das, obdachlose Berliner - um ihr Überleben kämpfen. Der Alltagsrassismus und rechtes Gedankengut sitzt bei einem nicht unerheblichen Teil der Berliner Bevölkerung zu tief, die Öffentlichkeitsarbeit der Obdachlosen ist zu unprofessionell, als dass ihr Kampf unter dem Strich gegen Rassismus wirkt.

     

    Ein Problem kann schwerwiegendere Probleme hervorrufen.

  • V
    Verantwortungslosigkeit (2)

    "Und die EU muss den Flüchtlingen gestatten, ihren Wohnort frei zu wählen, statt allein die Staaten an den Außengrenzen verantwortlich zu machen."

     

    ... und es heißt natürlich auch, dass sich die Zahl der Asylbewerber, die sich nach Europa aufmachen vervielfachen werden. Ich habe mich in den 90ern um Flüchtlinge (ja, das waren sie!) aus Bosnien gekümmert. Es ist überaus bedauerlich, dass mittlerweile aber der ideologische Wahnsinn in dem Bereich Einzug gehalten hat.

  • B
    beat

    Kritisches Nachfragen unerwünscht oder wie? Was hat das mit Meinungsfreiheit zu tun? Recht zu demonstrieren ohne Anmeldung/Genehmigung?

  • V
    Verantwortungslosigkeit

    "Und die EU muss den Flüchtlingen gestatten, ihren Wohnort frei zu wählen, statt allein die Staaten an den Außengrenzen verantwortlich zu machen."

     

    Was heißt, ca. 50% der Asylberwerber nach Deutschland. Ich kann so ein verantwortungsloses Gebrabbel einfach nicht mehr ertragen.

    • @Verantwortungslosigkeit:

      tut mir ganz schrecklich traurig, aber: das verantwortungslose gebrabbel, dass alle, aber doch bestimmt 50% nach 'schland wollten, ist nur dieses, nämlich verantwortungsloses gebrabbel! die meisten wollen gar nicht nach 'schland, die wollen nur durch 'schland durch! es zieht sie nach GB und nach skandinavien, nach Holland und nach Belgien. aber 'schland hindert viele an der weiterwanderung.

      auch deshalb wäre ein für alle in der EU anerkannten flüchtlinge für die gesamte EU geltendes recht auf freizügigkeit und arbeitsaufnahme ein teil der lösung des grundproblems. dieser lösung stemmt sich unser bundesinnenfriedrich mit verantwortungslosem gebrabbel entgegen.

  • G
    Gershwin

    Fassen wir mal kurz zusammen:

    Flüchtlinge dürfen nach Herrn Classen weiterhin Gesetze der Gastländer brechen, sich ihren verordneten Pflichten als Asylbewerber entziehen, Räumungsverfügungen von Behörden missachten und bekommen im Gegenzug trotz illegalen Aufenthalts und einer anderen zugewiesenen Unterkunft Obdach in Berlin und möglichst ein dauerhaftes Bleiberecht, obwohl ihr Flüchtlingsstatus überhaupt nicht geprüft ist.

    Vielleicht sollte sich Herr Classen mal ganz grundsätzlich überlegen, ob er und sein Flüchtlingsrat mit solchen Ansichten noch auf dem Boden von Recht und Gesetz stehen.

    • F
      frida
      @Gershwin:

      ist sicher auch ein autonomer, für die gelten recht und gesetz nicht.

  • M
    Michael

    Lieber Georg, vielen Dank für deine klaren Worte. Endlich wurde von der taz mal ein Experte befragt, der sich seit Jahrzehnten für die Menschenrechte von Flüchtlingen einsetzt.