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Oral History mit Musik

■ Anekdoten über das Vorleben der neuen Spielstätte: Theater N.N. erarbeitet als erste Premiere „Im Ballhaus“

Es ist bewiesen: Kunst gedeiht im Chaos. In der neuen Spielstätte des Theaters N.N. im ehemaligen Freddy's Ballhaus wird seit Januar heftigst renoviert. So fand eine ers-te Pressekonferenz im Keller alias Foyer alias Probebühne statt. Im eigentlichen Theatersaal dominieren derzeit noch die Handwerker.

Doch von Bohrgeräuschen lässt sich ein Theatermacher nicht erschüttern. Ende März soll Premiere sein. „Die Plakate sind gerade frisch reingekommen“, freut sich Theaterchef Dieter Seidel. Alles scheint gleichzeitig zu passieren beim Theater N.N., weil viele mit anfassen. Das Plakat stammt vom Hamburger Künstler Frank Radmacher, der schon das überquellende Herz als Logo entworfen hat. Auch bei der Renovierung müssen alle mit anpacken. Zwar gab es für den Umbau 150.000 Mark von der Stadtentwicklungsbehörde. Doch zusätzlich sind Eigenleistungen im Wert von 30.000 Mark eingeplant. Da muss die Theatertruppe Malerarbeiten erledigen, während noch so viel Anderes anliegt.

Trotzdem: Bis Mai steht der Spielplan bereits. Drei eigene Premieren und ein Gastspiel sind geplant. Das Eröffnungsstück Im Ballhaus ist von der vierzigjährigen Geschichte des Hauses als Tanzschuppen inspiriert. Die Suche nach ehemaligen Stammgästen per Annonce hat leider keine Reaktion erbracht. Daher muss das Stück weitgehend ohne Original-Anekdoten auskommen.

Zusammen mit seinen Schauspielern hat Seidel das Stück in Improvisationen erarbeitet. Die Textfassung ist gerade fertig. Der Regisseur verspricht eine Zeitreise durch vier Jahrzehnte Mode, Musik und Weltereignisse. Die Musik kommt aus der Konserve. Zu Anfang vom Plattenteller, später folgen CD und Karaoke. Eine Diskokugel sorgt für Glitzerlicht. Menschen treffen sich zum Tanzen und Feiern. Doch persönliche Schicksale lassen sich nicht an der Garderobe abgeben. Bei Memphis, Hip Hop und Macarena brechen sie durch. „Eine Schwierigkeit ist, dabei die Theatersituation aufrecht zu erhalten“, erzählt Seidel. Denn eine Bühne gibt es nicht, und die Zuschauer sind als Gäste des Ballhauses im Raum verteilt.

Außerdem muss das Theater N.N. jetzt erstemals mehrere Stü-cke gleichzeitig planen: Im April hat zum Beispiel ein Stück über Kurt Weill und Lotte Lenya Premiere. Im Mai folgt ein Abend mit zwei Stücken von Jean Cocteau. Ein dichtes Programm, das auch nötig ist, da sich das Theater schnellstmöglich etablieren möchte. Denn die Miete ist dreimal so hoch wie in den vorigen Räumen am Altonaer Bahnhof. Zur Zeit wird sie vom Vermieter zwar noch gestundet. Aber Seidel ist Realist: „Wir müssen zu Geld kommen“.

Christian Rubinstein

Premiere des Stücks Das Ballhaus: Sonnabend, 30. März, 20 Uhr. Theater N.N. Hellkamp 68

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