Oppositionsrechte in der GroKo: „Absichtserklärungen reichen nicht“
Grüne und Linke müssen auch in Zukunft einen Untersuchungsausschuss einsetzen können. Das fordert die Verfassungsrechtlerin Pascale Cancik.
taz: Frau Cancik, in dieser Woche wollen die Fraktionen im Bundestag darüber entscheiden, wie die Oppositionsrechte in der neuen Wahlperiode gesichert werden können. Grüne und Linke haben zusammen nur rund 20 Prozent der Sitze. Schützt das Grundgesetz die Opposition?
Pascale Cancik: Nicht ausdrücklich. Anders als in vielen Landesverfassungen, etwa in Bayern, sind die Wirkungsmöglichkeiten und die Ausstattung der Opposition im Grundgesetz nicht explizit angesprochen. Aus konkreten Regelungen kann jedoch entnommen werden, dass auch das Grundgesetz eine wirkungsvolle Opposition garantiert. So kann schon ein Viertel der Abgeordneten einen Untersuchungsausschuss erzwingen. Ebenso kann ein Viertel der Abgeordneten per Normenkontrolle dem Bundesverfassungsgericht jedes beliebige Gesetz zur Prüfung vorlegen.
Diese Garantien, die ein Viertel der Abgeordneten erfordern, laufen demnach zukünftig aber ins Leere.
Stimmt. Doch auch in solchen Fällen muss ein Grundbestand an Oppositionsrechten gewährleistet sein. Das folgt direkt aus dem Prinzip der parlamentarischen Demokratie im Grundgesetz.
Was heißt das konkret für die kommenden vier Jahre?
Die Opposition muss auch dann einen Untersuchungsausschuss durchsetzen können, wenn sie dafür im Bundestag weniger als 25 Prozent der Stimmen mobilisieren kann. Der Untersuchungsausschuss ist das stärkste Kontrollrecht der Opposition. Nur in einem Untersuchungsausschuss kann die Opposition zum Beispiel Akten anfordern und selbst auswerten. Nur dort kann sie Zeugen vorladen lassen und befragen.
46, ist Professorin für Öffentliches Recht an der Universität Osnabrück. Sie forscht unter anderem zum Parlamentsrecht.
Würde eine Selbstverpflichtung der Koalition genügen, um die Oppositionsrechte zu sichern?
Nein. Dieses Recht muss im Gesetz über parlamentarische Untersuchungsausschüsse konkretisiert werden. Bloße Absichtserklärungen der Koalitionsfraktionen genügen nicht.
Was passiert, wenn sich Linke und Grüne mal nicht einig sind?
Mitwirkungsrechte der Opposition können an ein Quorum, also eine Mindeststimmenzahl, gebunden werden. Eine heterogene Opposition kann dann nur gemeinsam einen Untersuchungsausschuss erzwingen. Ein Anliegen muss schon so wichtig sein, dass die Opposition bereit ist, sich zusammenzuraufen.
Soll die Opposition auch das Recht zur Normenkontrolle bekommen, obwohl sie nicht das laut Grundgesetz erforderliche Viertel der Abgeordneten stellt?
Die Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht gehört nicht zum Kernbestand einer wirkungsvollen Opposition. Ich fände es zwar politisch wünschenswert, die Hürde auch hier abzusenken, einen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf gibt es nach meiner Auffassung aber nicht.
Die Große Koalition hat der Opposition angeboten, ihren Anteil an der Redezeit deutlich anzuheben: von zwanzig Prozent auf ein Viertel bis ein Drittel. Die Grünen halten das nicht für ausreichend. Zu Recht?
Auch bei einer zahlenmäßig schwachen Opposition muss das essenzielle Prinzip von Rede und Gegenrede gewahrt bleiben. 25 Prozent Redezeit für die Opposition sind da deutlich zu wenig. Bei sehr kurzen Debatten muss die Redezeit außerdem so lang sein, dass die Position der Opposition noch angemessen dargestellt werden kann. Genaue Prozent- und Minutenzahlen sind dem Grundgesetz allerdings nicht zu entnehmen.
Was ist, wenn keine Einigung über die Oppositionsrechte zustande kommt?
Dann kann, wie auch bei der Verweigerung von Untersuchungsausschüssen, per Organklage das Bundesverfassungsgericht angerufen werden. Mit guten Erfolgsaussichten.
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