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Opposition fordert AufklärungSondersitzung nach Behördenpanne

IT-Probleme legen seit März viele Ausländerbehörden lahm. Nun befasst sich der hessische Landtag mit der durch taz und FragDenStaat aufgedeckten Panne.

Ein Mitarbeiter in der Ausländerbehörde Frankfurt am Main Foto: rheinmainfoto/imago

Frankfurt am Main taz | Eine massive IT-Störung bei den hessischen Ausländerbehörden sorgt für Wirbel im hessischen Landtag. Die Grünen-Fraktion hat am Mittwoch eine Sondersitzung des Innenausschusses beantragt. Hintergrund ist ein Schriftwechsel zwischen dem hessischen Innenministerium und Ausländerbehörden, den FragDenStaat und die taz in der vergangenen Woche veröffentlicht hatten.

Demnach konnten 32 Ausländerbehörden in ganz Hessen seit Mitte März keine Aufenthaltstitel mehr erteilen. Grund sind technische Probleme an den Schnittstellen zwischen dem Bundesverwaltungsamt (BVA) und dem Online-Sicherheitsprüfungssystem (OSiP) Hessen. Auch Behörden in Baden-Württemberg, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und vereinzelt in Sachsen-Anhalt waren von den Problemen betroffen. Das könnte bedeuten, dass mehrere Tausend Anträge seit Anfang März unbearbeitet geblieben sind.

Lara Klaes, Grünen-Abgeordnete und Mitglied im Innenausschuss des Landtages, kritisiert das Innenministerium scharf. Ihre Fraktion will in der Sondersitzung am kommenden Dienstag unter anderem erfahren, warum Ausschuss und Öffentlichkeit über die Probleme nicht informiert wurden und wie viele Menschen in Hessen von den Problemen betroffen sind. „Es ist völlig unverständlich, warum ein solch drängendes technisches Problem über mehr als zwei Monate nicht gelöst werden konnte, dass offenbar keine funktionierenden Notfallpläne existieren und dass das Innenministerium nicht früher darüber informiert hat“, so Klaes.

Auch die FDP-Fraktion im hessischen Landtag hat bereits in der vergangenen Woche eine Kleine Anfrage gestellt und kritisierte das Innenministerium: „Dass die Landesregierung weder die Öffentlichkeit noch den Landtag informiert hat, verwundert gar nicht, denn sie entzieht sich in diesem Feld komplett ihrer Verantwortung“, sagt der Abgeordnete Yanki Pürsün. Die Landesregierung kümmere sich gar nicht um IT-Themen und spiele „die Probleme herunter, die mit diesem Ausfall verbunden sind“. Für die Betroffenen und die Ausländerbehörden habe das größere Auswirkungen.

Personal klagte über Chaos

Auch der bei FragDenStaat einsehbare Schriftverkehr macht die kritische Lage in den hessischen Ausländerbehörden deutlich. So heißt es in einer E-Mail eines Mitarbeiters einer Ausländerbehörde, der Umgang mit der fehlerhaften Schnittstelle verursache „einen zwischenzeitlich nicht mehr darstellbaren Kommunikations- und Koordinationsaufwand“. Die Behörde sei nicht mehr in der Lage, „ihre gesetzliche Aufgabe wahrzunehmen“. Mehrere Antragstellerinnen und Antragsteller, die auf ihre Aufenthaltserlaubnisse warten, berichteten der taz, dass sie über die Hintergründe der Verzögerungen erst durch Medienberichte erfahren hätten.

Die technischen Probleme sind auf die Modernisierung der Schnittstelle zurückzuführen. Seitdem waren beispielsweise alle Entscheidungen über unbefristete Aufenthaltstitel zwischen dem 12. und 18. März verloren gegangen.

Während der Ausfälle erhielten betroffene Antragstellerinnen und Antragsteller sogenannte Fiktionsbescheinigungen – vorläufige Aufenthaltstitel. Laut dem hessischen Innenministerium haben diese keine Auswirkungen auf Studium oder Ausbildung.

Flüchtlingsrat sieht Folgen für Betroffene

Timmo Scherenberg vom Hessischen Flüchtlingsrat widerspricht dieser Einschätzung. Die Fiktionsbescheinigungen brächten erhebliche Probleme mit sich, vor allem bei Arbeitgeber*innen. „Manche kennen dieses Dokument nicht und akzeptieren es daher nicht.“

Besonders höre man von Schwierigkeiten beim Jobwechsel oder „bei Leistungsbehörden, die Zahlungen einstellen, weil sie die Dokumente nicht anerkennen“. Wer keine gültigen Papiere habe oder nur abgelaufene, bekomme auch bei einer Polizeikontrolle zusätzliche Probleme. „Auch dort stößt man auf wenig Verständnis.“

Darüber hinaus kritisiert Scherenberg, dass auch der Flüchtlingsrat über die Situation erst durch die Medien erfahren habe. „Wir hätten uns gewünscht, vom Ministerium und der Ausländerbehörde frühzeitig informiert zu werden“, so der Geschäftsführer.

Anhaltende Probleme in Hamburg und Baden-Württemberg

Eine Sprecherin des nordrhein-westfälischen Ministeriums für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration (MKJFGFI) bestätigte der taz, dass es dort zwischen dem 12. und 18. März ebenfalls zu Störungen und Datenverlusten kam – ähnlich wie in Hessen. Nach Angaben des Bundesverwaltungsamtes laufen die Verfahren in Hessen und NRW seit vergangener Woche wieder.

Die Behörden in Hamburg und Baden-Württemberg unterstütze man dabei, schnellstmöglich wieder regulär arbeiten zu können. „Die aktuell anstehenden Schritte zur Behebung müssen abgewartet werden“, hieß es aus dem Ministerium der Justiz und für Migration in Baden-Württemberg auf Anfrage der taz.

Wie viele Ausländerinnen und Ausländer bundesweit von der Panne betroffen sind, ist derzeit nicht bekannt. Allein in Hessen waren während der Zeit der Schnittstellen-Schließung nach Angabe des dortigen Innenministeriums rund 20.000 Anfragen aufgelaufen. Zwischen dem 28. Mai und dem 30. Mai um 12 Uhr konnten knapp 5.000 davon bearbeitet werden. Bis zum Ende der Woche rechne man mit der vollständigen Abarbeitung der Rückstände.

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