Opern, die niemand braucht: Skandal ohne Empörung
Das Theater zeigt einen "Barbiere di Siviglia" der so bereits 1981 Premiere feierte und in etwas besserer Qualität und zu schmalerem Preis als Video und DVD zu haben ist.
Empörung gibt es nicht. Der Vorhang senkt sich, die Hände spenden warmen Beifall, und es war ja auch alles ganz ordentlich. Ja, selbst die Titelpartie von Gioachino Rossinis "Barbiere di Siviglia" - Alberto Albarrán hat sie, obwohl nur eingesprungen, sehr anständig gemeistert, das verdient Respekt. Es ist wirklich alles glatt gegangen, trotz kleinerer Defizite beim Orchester, die sich aber im Rahmen des Erträglichen halten.
Und doch: Diese Opernpremiere ist ein Grund, sich aufzuregen. Sie ist der letzte Akt eines sich über drei Spielzeiten vergrößernden Theater-Skandals. Und zwar eines Skandals, der das Haus beschädigt. Diese Präzisierung ist wichtig. Denn meistens sind Theater-Skandale kein schlechtes Zeichen: Wenn Publikum und Presse sich aufregen, ist das auch ein Indiz für ein lebendiges Theater. Eines das Horizonte eröffnet, das zum Denken zwingt, zu Ablehnung oder Zustimmung. Für dieses Wagnis - und nur dafür - wird Theater üppig subventioniert. Der Bremer Rossini-Zyklus von Altregisseur Michael Hampe hingegen entfaltet dagegen höchstens sedierende Wirkung. Schon Aschenputtel, also "La Cenerentola", war zwar so hübsch, aber auch nur so aufregend wie eine Biedermeier-Kommode. Im Folgejahr wurde mit "Maometto II." eine selten gezeigte Opera Seria aufgeführt - allerdings "beschämend konventionell", wie die taz urteilte.
Der "Barbiere" jedoch übertrifft das. Denn gezeigt wird in Bremen, im beginnenden Frühjahr 2010, eine Aufführung, die schon 1981 Premiere feierte. Schon damals galt sie vielen zwar als mustergültig - wohl niemandem jedoch als zukunftsweisend. Seit 1988 ist eine 157 minütige Filmaufzeichnung von ihr im Handel, als Band in Video Home System-Qualität natürlich - das war seinerzeit, als die Mauer noch stand, verbreitet. Die digital remasterte DVD gibts auch, ab 11,95 Euro, also deutlich billiger als die durchschnittliche Opernkarte. Klar, live ist was Besonderes. Aber auch die Konserve hat so ihre Vorzüge: An Cecilia Bartolis Sangeskunst reicht Nadja Stefanoff als Rosina noch nicht ganz heran. Und der Bassist Robert Lloyd war seinerzeit auf der Höhe seines Schaffens, genau wie damals sein Generationsgenosse Kurt Rydl, der jetzt in Bremen den Don Basilio knarzt.
Altregisseur Hampes Inszenierungen sind, neben dem Marie Antoinette-Debakel, die größten Ausgabe-Posten im Bremer Theaterhaushalt gewesen. Sie gehen, wie das ruinöse Musical-Projekt, direkt auf eine Initiative des designierten Seebühnen-Intendanten Hans-Joachim Frey zurück: Wahr ist, dass die Opern-Spielpläne einen herausragenden Anteil zeitgenössischen Musiktheaters aufweisen. Gerade am Freitag erlebten "Die Gehetzten" ihre Uraufführung. Und so gesehen ist ein konservatives Gegengewicht bis zu einem gewissen Grade sogar gut: historisieren, konservieren und restaurieren - das sind Kulturtechniken, die aus der Gegenwart unternommen unser Verhältnis zur Tradition mitbestimmen. Aber die Rekonstruktion einer historisierenden Aufführung aus einem Jahr, in dem die Stationierung von Pershing II-Raketen das kontroverseste Thema der Republik war und Werders Wiederaufstieg Bremens größte Sorge - das ist ein Skandal. Denn sie räumt ein: Der Barbiere hat - im rekonstruierenden Ansatz - mit der Gegenwart nichts zu tun. Wir zeigen ihn nur, um Gelegenheit zu geben, die Abendgarderobe auszuführen. Ein Theater, das diese Botschaft verkündet, kann auch seine Schließung fordern.
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