Online-Petition gegen Rassismus: Entnazifizierung, jetzt
Eine Online-Petition fordert provokant „Deutschland entnazifizieren“. Ein unabhängiges Gremium solle institutionellen Rassismus untersuchen, so die Petition.
BERLIN taz | Seit Anfang der Woche steht die Petition mit dem provokanten Titel „Deutschland Entnazifizieren!“ im Netz, auch auf Facebook gibt es eine Seite. „Deutschland hat ein Rassismusproblem“, heißt es in dem Aufruf. Die Verfasser fordern ein unabhängiges Gremium, besetzt von Migrantenverbänden, Antidiskriminierungsstellen und „antifaschistischen Initiativen“.
Dieses solle die Verstrickung von staatlichen Institutionen in die Mordserie der Thüringer Terrorzelle untersuchen – ob zusätzlich zu den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen im Bundestag und in Thüringen sowie der geplanten Bund-Länder-Kommission oder an deren Stelle, lassen sie offen.
Als Vorbild wird in der Petition die unabhängige MacPhersons-Kommission angeführt, die in den Neunzigerjahren in Großbritannien den Umgang der Behörden mit dem Tod von Stephen Lawrence untersuchte – der junge Schwarze war 1993 aus rassistischen Gründen ermordet worden, doch Polizei und Gerichte waren diesem Motiv nie richtig nachgegangen.
1999 erschien ihr Abschlussbericht, der als wichtiger Wendepunkt in der Geschichte der britischen Rechtsprechung gilt, weil er 70 Empfehlungen enthielt, wie dem „institutionellen Rassismus“ in den britischen Ermittlungsbehörden von 1999 zu begegnen sei.
Media-Watch-Stelle einrichten
Die Unterzeichner fordern auch die Einrichtung einer unabhängigen „Media-Watch-Stelle“ nach dem Vorbild des britischen Office of Communications“ (Ofcom). Sie soll, wie die britische Medienaufsichtsbehörde, darauf achten, ob und wie rassistische Darstellungen in die Berichterstattung einfließen. Hinter der Petition steht eine Gruppe von Künstlern, Journalisten, Politikern und Juristen.
Zu den Erstunterzeichnenden gehören mit Mechthild Rawert (SPD), Memet Kilic (Grüne) und Ulla Jelpke (Linkspartei) drei Bundestagsabgeordnete, die Theatermacherin Shermin Langhoff und Hans Coppi, der Vorsitzende der „Berliner Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen“.
Der Titel der Onlinepetition spielt auf die „Entnazifizierung“ genannte Überprüfung der deutschen Bevölkerung durch die alliierten Siegermächte nach dem Zweiten Weltkrieg an. In der vergangenen Woche, einen Tag vor der Trauerfeier für die Opfer der Neonazi-Mordserie, hatten Aktivisten nachts den Slogan „Entnazifizieren“ auf die Fassaden von Kanzleramt und Innenministerium projiziert.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier