„On the Beach“ auf Formentera: Die Reste einer aussterbenden Kultur
Auch die kleine Baleareninsel hat sich vom Hippie- zum Touristenmagneten entwickelt. Doch noch heute ist der Flair der siebziger und achtziger Jahre zu spüren.
War ja klar, dass irgendwann dieser Song kommen musste. Von der Hotelbar im Hafenstädtchen La Savina fällt der Blick auf die kleine Bucht. Bötchen liegen darin als weiße Farbtupfer im pastellblauen Meerwasser. Fische huschen weg, während ein Mann im knietiefen Wasser zu seinem Boot watet.
Die klirrende Gitarrenlinie in Chris Reas „On The Beach“ dudelt umher, sonnentrunkene Gelassenheit klingt aus dem Achtziger-Jahre-Hit, zu dem das Originalvideo einst hier auf der Insel gedreht wurde. Die Tür zu Ekkis Instrumentenwerkstatt in San Fernando steht sperrangelweit offen, laut tosen die Stones durch den großen Raum. „You Cant Always Get What You Want“, posaunt Mick Jagger breitmäulig. Es riecht nach Holzstaub. Gitarren und Bässe hängen an den Wänden wie eine dreidimensionale Strukturtapete.
Chris Rea? „Der hat bei mir keine Gitarre gebaut“, stellt Ekki trocken fest und grinst. Aber „On The Beach“ findet er als Formentera-Lied durchaus gelungen: „Die Stimmung steckt da schon drin, wenn du spätnachmittags am Strand bist, die Hitze, das ist authentisch.“
Der Mann mit der alternativen Aura und dem bürgerlichem Namen Ekkehard Hoffmann gehört zu jenen, die ihrem alten Leben in Deutschland den Rücken gekehrt und sich hier ein neues aufgebaut haben. Und damit zu der Gruppe Zugezogener, deren Zahl seit Einsetzen des Tourismus in den fünfziger Jahren und vor allem in den vergangenen zehn Jahren stark gestiegen ist. War die Einwohnerzahl zuvor jahrelang recht konstant, so hat sie sich seit den Sechzigern mehr als verdreifacht; heute sind es um die 10.000. Die meisten Zuwanderer stammen vom spanischen Festland, aus Deutschland oder Italien.
Ekki hat die Musik hergeführt. 1989 war er das erste Mal auf Formentera, um im Rahmen eines Ferienkurses einen Bass zu bauen. Zwei Jahre später stieg der studierte Diplomingenieur aus Darmstadt selbst bei „Formentera Guitars“ ein, seit 2001 betreibt er das Geschäft allein.
Auf der Insel geblieben
„Der erste Urlaub hier hat mein Leben geändert“, sagt Ekki, Anfang sechzig, dessen fast weißes Haar flusig ein blassblaues Augenpaar einrahmt. Was ihn angezogen hat? „Diese Insel ist immer so n bisschen hinter der Zeit her.“
Das Flair der siebziger und achtziger Jahre sei bis heute spürbar - ob bei einer Flower-Power-Party, dem Kunsthandwerkermarkt oder einem der vielen Livekonzerte.
Auf Formentera leben die Überbleibsel einer Kultur, die anderswo längst ausgestorben ist: Da kann man tagsüber am Strand einem nackten Althippie beim Klampfespielen zuhören und nachts vor dem Kultlokal „Fonda Pepe“ eine Dreadlocks-Dichte bewundern, die sonst höchstens bei einem Reggae-Festival zusammenkommt.
„Es gibt hier sehr viel Kreativität“, sagt Ekki. Doch er schränkt ein: „Wenn im Juli und August alles voll ist, dann hupt es ständig.“ Deshalb habe es den Plan gegeben, die Rollerdichte einzudämmen. „Aber dann wurde der größte Rollervermieter Bürgermeister, und da war der Plan gegessen.“
Hassprojekt Designerstraßenlampen
Noch folgenreicher ist die Schwemme an Jachten: Ihre Anker pflügen durch den Meeresboden und zerstören die Posidonia-Seegraswiesen, die 1999 zum ozeanischen Unesco-Weltnaturerbe erklärt wurden. Dagegen macht sich eine Bürgerinitiative stark.
Es ist eine lange Liste von Negativentwicklungen, die Ekki mal kopfschüttelnd, mal verärgert aufzählt: Da werde viel für unnötige Verschönerungen im öffentlichen Raum ausgegeben – ein Hassobjekt sind etwa die Designerstraßenlaternen, die derzeit überall auftauchen. Anderswo fehle Geld, etwa zur Säuberung der Strände. „Die bauen die Insel kaputt.“
Essen, Wohnen, die Drinks bei Pepe - vieles sei teuer geworden. „Wo Häuser für viel Geld touristisch vermietet werden können, wird auch Wohnen teurer.“ Der Mammon herrscht unter den neureichen Einheimischen. „Sie versuchen, das Spezielle des Orts in Geld umzuwandeln, und zerstören ihn dabei.“
Doch es gibt auch Gegenbewegungen, etwa die mittlerweile ins Parlament eingezogene Gruppierung Gente X Formentera. „Die haben viel aufgebaut“, berichtet Ekki. So sei das Busnetz ausgebaut und die Müllentsorgung modernisiert worden.
„Wenn man die Insel vor zehn Jahren konserviert hätte, wäre sie heute ein Paradies der Ursprünglichkeit“, bedauert Ekki. Trotz alledem: Er wird bleiben. „Ich glaube, hier kann man besser alt werden als anderswo.“
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