Witzige Show

Bei Olympia geht es nicht nur um Sport, sondern auch um lächerliche Rituale und natürlich den Weltfrieden. Es ist erstaunlich, wie ernst das lustige Schauspiel genommen wird

Olympischer Hokuspokus: Spyros Kapralos (l.) vom griechischen Nationalen Olympischen Komitee übergibt seinem französischen Kollegen Tony Estanguet die heilige Flamme Foto: imago

Aus Paris Andreas Rüttenauer

Dann turnt, lauft, schießt, reitet, schwimmt, tanzt, klettert und radelt mal schön. Nach der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele steht der Sport im Mittelpunkt des irrwitzigen Spektakels von Paris. Die großen Reden sind geschwungen, die Rituale zelebriert. Das olympische Feuer lodert in der Schale. Endlich geht es los. Schluss mit dem Zauber, der offensichtlich so lächerlich ist und doch so ernst genommen wird wie kaum ein anderes Event auf diesem Planeten.

Der ganze Vorlauf der Spiele mit den Reminiszenzen an das antike Olympia steht sinnbildlich dafür, wie man etwas ernst nehmen kann, was offensichtlich nicht ernst zu nehmen ist. Da wird an antiker Stätte in Olympia eine Flamme entzündet, die dann ein paar Tage später an antiker Stätte in Athen an die Gastgeber der Spiele über­geben wird. Man hat sich an diesen Unsinn gewöhnt. Der olympische Flammenzirkus findet dann auch noch in bemerkenswert dämlichen Verkleidungen statt.

Junge und nach den Maßstäben westlicher Ästhetik natürlich bestens aussehende Frauen verkleiden sich so, wie sich die Freunde der Antike zum Ende des 19. Jahrhunderts junge Frauen im alten Griechenland vorgestellt haben, und bilden die lebende Kulisse für diesen olympischen Fasching. Bei der Übergabe des Feuers an den Chef der Pariser Spiele Tony Estanguet waren etliche Statistinnen gar als antike Säulen verkleidet.

Aber niemand lacht, wenn dieses Ritual alle zwei Jahre vor den Spielen zur Aufführung kommt. Allen Ernstes hat sich Estanguet, der drei Mal olympisches Gold im Kanuslalom gewonnen hat und durchaus als Mann von Verstand gilt, dann auch noch bei der „Hohepriesterin“ für das Entzünden des Feuers mittels eines Parabolspiegels in Olympia bedankt. Es ist wirklich ein lachhaftes Schauspiel, das da aufgeführt wird. Die Rolle der Hohepriesterin hatte ja auch eine Schauspielerin übernommen. Aber es wird mit ernster Miene durchgezogen bis zum Entflammen des Feuers in der Gastgeberstadt. Dass es die Nazispiele 1936 waren, bei denen zum ersten Mal der Fackellauf, mit dem das Feuer zur Olympiastadt getragen wird, veranstaltet haben, stört dabei niemanden. Es geht schließlich um etwas.

Um Sport? Ja, irgendwie auch. Aber eigentlich geht es um mehr. Um den Weltfrieden. Für den stehen die Spiele. Und obwohl überall auf der Welt junge Menschen mit Waffen aufeinander losgelassen werden, muss niemand losprusten, wenn sich ein dröger Sportfunktionär wie Thomas Bach, der sich dank erfolgreicher Schmusereien mit Reichen, Mächtigen und Diktatoren in das Amt des Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees hochdienen konnte, am olympischen Dorf eine Friedensmauer einweiht und sich einen Schal umhängt, auf dem zu lesen ist: „Give Peace a Chance!“

„Olympic Truce“ wird dieser olympische Friedenswunsch genannt, nach dem die Waffen für die Zeit der Spiele ruhen sollen. Auch der Papst setzt sich dafür ein. Das kann dann wohl nicht lächerlich sein. Über den zu lachen wäre ja Blasphemie. Und auch Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron hat natürlich nichts gegen Weltfrieden und verbreitet die olympischen Botschaften mit derart ernster Miene, als würde er wirklich daran glauben. Von der Kraft des Sports ist die Rede, die sein gespaltenes Land einen möge, und wenn dann auch noch der Weltfrieden dabei rausspringen sollte, wer könnte da schon etwas dagegen haben.

Auf der Friedensmauer im Olympischen Dorf von Saint-Denis haben der israelische Fußballer Niv Yehoshua und die US-amerikanisch-palästinensische Schwimmerin Valerie Tarazi kleine Botschaften mit ihrem Namen hinterlassen. Das vermeldet das IOC stolz und sieht sich in der Rolle als erfolgreicher Friedensstifter. Derweil machen Bilder die Runde, auf denen zu sehen ist, mit welch irrwitzigem Polizeiaufgebot der Bus mit dem israelischen Olympiateam durch die Stadt eskortiert werden musste, um die Athleten vor antisemitischen Übergriffen zu schützen.

Auch der russische Schwimmer Jewgeni Somow ist zu der Friedensmauer gekommen, und Thomas Bach hat sich gefreut, dass er mit einem der wenigen Russen, die in Paris an den Start gehen werden, für ein Foto mit Friedensbotschaft posieren durfte. Ein echter Russe, der dem Frieden eine Chance geben möchte, Wahnsinn!

Somow ist der einzige Russe, der an den Schwimmwettbewerben teilnehmen wird. Als sogenannter neutraler Athlet darf er das. Weil der von den Russen begonnenen und von Belarus unterstützte Krieg gegen die Ukraine weiter tobt, dürfen keine nationalen Symbole der beiden Kriegstreiberländer bei Olympia zu sehen sein. Und nur Russen, die nachweisen können, dass sie den Krieg nicht unterstützen und keiner militärischen Organisation angehören, wurden eingeladen.

Thomas Bach hat sich gefreut, dass er mit einem der wenigen Russen für ein Foto mit Friedensbotschaft posieren durfte

Ob das bei Somow der Fall ist, bleibt auch nach der Überprüfung durch die Sportverbände umstritten. Ukrainische Sportaktivisten weisen jedenfalls darauf hin, dass er zum Armeesportklub ZSKA Moskau gehört und damit eigentlich die Kriterien für die Teilnahme nicht erfüllt. Selbst innerhalb der olympischen Familie, wie es so schön heißt, ist es nicht ganz so einfach mit dem Frieden.

Doch die große Friedensshow wird weitergehen – mal mit mal ohne Kostümshow. Gerade sind die nächsten Spiele vergeben worden. Die Winterspiele 2030 werden in den französischen Alpen stattfinden, wenn alle Verträge, die es dazu braucht, im Sinne des IOC unterschrieben sind. Im Sinne der Nation wird das schon passieren. Ob Diktatur oder Demokratie – für Propaganda oder Nationalmarketing bildet Olympia immer noch eine prächtige Kulisse.

Den Sportlerinnen und Sportlern bleibt dann oft nichts anderes übrig, als die Bilder zu liefern, mit denen Staaten für sich werben können. Sie sollen gefälligst große Momente herstellen. Das ist gar nicht mal so einfach. Die letzten wirklich großen olympischen Momente waren vielleicht Usain Bolts Olympiaauftritte 2016 in Rio de Janeiro. Von den Pandemiespielen in Tokio 2021 oder Peking 2022 sind vor allem Tierquälerei im Modernen Fünfkampf und der Dopingfall einer 15-jährigen Eiskunstläuferin in Erinnerung geblieben. Und doch behauptet das IOC immer wieder aufs Neue nach jeden Spielen, dass es diesmal noch einmal besser war als je zuvor. Auch so ein peinliches Ritual, über das viel zu wenig gelacht wird.