Olympische Spiele der Arbeiterbewegung: Gegen den Ungeist des Nationalismus
Vor 90 Jahren veranstalteten Arbeiter ihre eigenen Olympischen Spiele – als Zeichen gegen die IOC-Spiele und für Völkerverständigung.
Keine Nationalfahnen, keine Nationalhymnen, kein Medaillenspiegel – vielleicht ließe sich Olympischen Spielen unter solchen Bedingungen ja so manches abgewinnen. Vorstellbar sind solche Veranstaltungen heute nicht mehr, doch vor 90 Jahren gab es sie: Im heute polnischen Szklarska Poreba, ehemals Schreiberhau, und in Frankfurt am Main, wo die Spiele am 24. Juli 1925 im kurz zuvor eingeweihten Waldstadion eröffnet wurden, fanden die ersten beiden Olympischen Spiele der Arbeitersportbewegung statt.
Der hiesige Arbeiter-Turn und Sportbund (ATSB), der in Konkurrenz zu den bürgerlichen Verbänden einen eigenen Sportbetrieb organisierte, war „auf der Grundlage sozialistischer Erkenntnis und Weltanschauung gebaut“. So war es 1920 in einem Antrag beim Bundestag des Verbands formuliert. In Deutschland und Österreich hatte das Arbeitersportmilieu seine internationalen Hochburgen.
Was man von den bürgerlichen Olympischen Spielen hielt, daran ließ der Arbeitersportpionier Fritz Wildung, Vater der späteren Bundestagspräsidentin Annemarie Renger (SPD), anlässlich der proletarischen Sommerspiele in Frankfurt keinen Zweifel: Die vorangegangenen herkömmlichen Spiele in Antwerpen (1920) und Paris (1924) seien „Kriege mit sportlichen Mitteln“ gewesen. Und im Festbuch der Frankfurter Sommerveranstaltung heißt es: „Die bürgerlichen Olympischen Spiele werden noch lange den Ungeist des Nationalismus an der Stirn tragen, denn die kapitalistische Welt kennt keine wahre Versöhnung.“ Bei allem Pathos: Unprophetisch war diese Einschätzung ja nicht.
Diesen „Ungeist“ verkörperten bei den Sommerspielen 2012 und den Winterspielen 2014 die Athleten des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB), die dort unter dem Motto „Wir für Deutschland“ an den Start gingen. Die Arbeitersportler definierten sich dagegen nicht als Angehörige einer Nation, sondern als Mitglieder einer Klasse. Insgesamt gab es nur je zwei rote Winter- und Sommerolympiaden. 1931, im zweiten und letzten Austragungsjahr, fanden die Winter- und Sommerspiele in Österreich statt: im Winter in Mürzzuschlag und im Sommer in Wien, dort unter anderem im neu erbauten Praterstadion (heute Ernst-Happel-Stadion).
„Freiübungen“ für jedermann
Zu den Zielen der Organisatoren gehörte es, die Grenze zwischen Aktiven und dem Publikum teilweise aufzuheben und den Kreis der Teilnehmer so weit wie möglich auszudehnen. Teil des Programms in Frankfurt waren sogenannte Freiübungen für jedermann, an denen sich am „Tag der Massen“ 100.000 Menschen beteiligten, auch Arbeitersportler, die nicht an den olympischen Wettbewerben mitwirkten. In Wien fand zum Auftakt ein „Fest der Kinder“ mit rund 30.000 Teilnehmern statt.
Mit den Wiener Sommerspielen ist eine der am meisten verbreiteten Anekdoten verknüpft, die rund um den Arbeitersport existieren. Nach dem 9:0 der deutschen Arbeiterauswahl gegen Ungarn trugen begeisterte Fans Erwin Seeler, in Hamburg für den SC Lorbeer aktiv und im Broterwerb Hafenarbeiter, auf den Schultern vom Platz. Kein Wunder, schließlich hatte der Mann, der später noch als Vater Uwe Seelers Bekanntheit erlangen sollte, sieben Tore erzielt. Zu Hause in Hamburg herrschten ihn aber die kickenden Genossen an, weil er sich dem Personenkult hingegeben hatte. Das mag heute niedlich wirken. Dennoch: Die Erinnerung daran, dass es einmal Hochleistungssport ohne Personenkult gab, kann auch produktiv sein.
Leni Riefenstahl drehte mit
Die Bedeutung der Arbeiterolympiaden lässt sich auch daran ermessen, dass der Regisseur Wilhelm Prager über die Spiele in Frankfurt den seinerzeit wirkmächtigen Dokumentarfilm „Die neue Großmacht“ drehte. Ironie am Rande: Assistentin Pragers war Leni Riefenstahl.
Diese Personalie verweist auch auf Schwächen des Konzepts Arbeitersport: Wurde hier nicht einer ähnlichen Körperideologie gefrönt wie bei der politischen Konkurrenz? Konnte von einem „befreiten“ Sport die Rede sein, oder übernahm man – Sozialismus hin oder her – dann doch viel von den verhassten bürgerlichen Verbänden? Viele Sporthistoriker weisen darauf hin, dass die Arbeitersportler keineswegs das Leistungsprinzip des bürgerlichen Sports infrage gestellt hätten.
Als Leni Riefenstahl ihre eigenen Olympia-Filme drehte, war der organisierte proletarische Sport in Deutschland und Österreich schon Geschichte: Die Nationalsozialisten hatten die Arbeitersportvereine in beiden Ländern 1933 bzw. 1934 verboten.
Was lässt sich lernen?
Kann einem die Beschäftigung mit den Olympischen Spielen der Arbeitersportler heute mehr bringen als ein wohliges nostalgisches Gefühl? Lässt sich etwas lernen aus diesen Veranstaltungen, obwohl „sozialistische Erkenntnis und Weltanschauung“ längst aus der Mode gekommen sind und eine Arbeiterbewegung gar nicht mehr existiert? Zumindest erinnern die Spiele in Schreiberhau, Frankfurt, Mürzzuschlag und Wien, wie notwendig solche Gegenmodelle heute sind – auch wenn man sie jetzt natürlich anders ausgestalten müsste.
Die renommierte Tate Gallery of Modern Art in London hat das wohl ähnlich gesehen, als sie 2012 „Die neue Großmacht“ zeigte. Der Film war bis dahin in Großbritannien nicht zu sehen gewesen. Die Organisatoren verstanden die Vorführung auch als eine Kritik an den damals bevorstehenden Sommerspielen in ihrer Stadt. Vielleicht stößt „Die neue Großmacht“ in den nächsten Monaten ja bei Olympia-Kritikern in der Bewerberstadt Hamburg auf Interesse.
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