Olympia-Boykott: Die Macht der Fernbedienung
Der Zuschauer hat die Macht, die Spiele vom Bildschirm einfach wegzuzappen. Ohne Zuschauer würden die Spiele rapide an Wert verlieren, ihre Attraktivität wäre dahin.
Ob sich die Situation angesichts der wohl bevorstehenden Olympischen Spiele in Peking noch komplizierter als jetzt gestalten kann, ist ungewiss. Eindeutig aber ist, dass die Überforderung sämtlicher Parteien seltsame Blüten treibt. Da ist zum einen der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) mit seinem Präsidenten Thomas Bach, der in diesen Tagen gerne seinen in Landtagsdebatten erprobten Generaldirektor, den ehemaligen Grünen-NRW-Minister Michael Vesper, ins Gefecht schickt. Vesper darf als mustergültiger Exponent einer wankelmütigen DOSB-Linie betrachtet werden, der sich in Peking sogar mündige Athleten wünscht. Es sei besser, hinzufahren und auf "Dialog und Verständigung" zu setzen, sagte Vesper. Die Geschichtsschreibung hat für solche Anbiederei das Wort Appeasement geprägt. Dass Vesper im Grunde Realpolitiker ist, verriet sein Ausspruch, dass es naiv sei, zu glauben, durch einen Boykott bessere sich die Situation in Tibet. Dankenswerterweise ließ der Funktionär in seiner bemerkenswert schlichten Argumentation unerörtert, ob es den Menschen im Fall eines Boykotts schlechter ergehen würde als jetzt.
Stundenlange Litaneien über die Versäumnisse der Vergangenheit bleiben nicht aus. Natürlich ist es ein Fehler gewesen, einer Diktatur, deren Sportpolitik sich über Jahrzehnte hinweg nicht um Olympia geschert hat, die Spiele zu geben. Aber das Lamento wird nichts mehr ändern. Vielmehr wäre es an der Zeit, dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) zu verstehen zu geben, dass es die Spiele gefälligst nicht an Regime zu vergeben hat, für die Bürger- und Menschenrechte per se Fremdvokabeln sind.
Das Argument, wonach die Spiele die Öffnung beschleunigen würden, darf ins Reich der Fabel verwiesen werden. Und wenn dem so wäre, dann hieße der beste Kandidat für eine Fußball-WM Iran. Der Zuschauer allerdings besitzt die Macht, das IOC, das Vertretern aus totalitären Regimen niemals wirklich abweisend gegenüberstand, vor solchen Pannen in der Zukunft zu schützen. Er kann die Spiele einfach und ohne Aufwand boykottieren, indem der Bildschirm leer bleibt. Ein weltweiter TV-Boykott hätte schwere Folgen. Die Sponsoren würden erkennen müssen, dass der Werbewert nur ein Bruchteil dessen wert gewesen ist, was sie bezahlt haben.
Die Spiele würden rapide an Wert verlieren, ihre Attraktivität wäre dahin - für Sponsoren, für potenzielle Ausrichter. Es wäre ein Signal, ein Schritt zur Demokratisierung des Vergabeprozesses per Fernbedienung. Und außerdem würde die Mehrheit der Deutschen gewahr werden, wie wenig das Dressurreiten, das Gehen, das Sportschießen ihnen fehlen würden - Sportarten, die olympisch sind und für die der DOSB steht. Vielleicht ist es diese Erkenntnis, vor der Michael Vesper seine Athleten und vor allem sich selbst mittels Boykottverzicht bewahren will - die Einsicht, im Unterhaltungsprogramm eine entbehrliche Rolle zu spielen.
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