Oldenburg ehrt NS-Journalistin: Der Nazi-Propagandistin geglaubt
Dass Edith Ruß NSDAP-Mitglied war, hat die Stadt Oldenburg aktiv geleugnet. Gestützt hat sie sich auf die Darstellung der Museumsstifterin.
Die Stifterin des Edith-Russ-Hauses in Oldenburg, einer Galerie für Medienkunst, war entgegen bisheriger offizieller Darstellung NSDAP-Parteimitglied. Dass sie für die Nazis als Propagandistin gearbeitet hatte, war der Stadt schon vor der Einweihung im Jahr 2000 bekannt. Man störte sich daran jedoch nicht.
Keine 100 Meter Luftlinie von der neuen Synagoge entfernt und in Sichtweite des Mahnmals für die Opfer des Nationalsozialismus wurde das Museum am 22. Januar 2000 feierlich eröffnet. Die Stadt verbreitete jahrelang den Mythos, Ruß hätte sich auch als Redakteurin – NS-Jargon: Schriftleiterin – der Oldenburgischen Staatszeitung, dem offiziellen Verkündungsblatt der NSDAP, ihre Unabhängigkeit bewahrt.
Nachdem die taz kriegspropagandistische Zitate von Ruß nachgewiesen hatte, kam aber auch in der Stadtverwaltung der Verdacht auf: Ist die NSDAP-Propagandistin, die zum Heldentod an der Front aufrief und vom germanischen Erbteil der blauäugigen Volksgenossen im Nordseegau schwärmte, vielleicht Nationalsozialistin gewesen? Um das zu klären, wurde in Reaktion auf die Berichterstattung ein historisches Gutachten in Auftrag gegeben.
Noch bevor die Arbeit am Gutachten begonnen hat, zeigt sich: Die lange gepflegte Rechtfertigung scheint frei erfunden. So war seitens der Stadt über Jahre betont worden, dass Ruß zwar beim örtlichen NSDAP-Blatt als Leiterin des Kulturteils tätig, jedoch nie Mitglied der Partei gewesen wäre.
Die Stadt hat an der Legende mitgestrickt
Eine These, die auch Oberbürgermeister und Kulturdezernent Jürgen Krogmann (SPD) öffentlich im Kulturausschuss wiederholte. Der studierte Historiker erinnerte sich bei der Gelegenheit an persönliche Begegnungen mit der 1993 verstorbenen Nachbarin.
Der Oldenburger Lars Schwarz setzt sich für Transparenz in der Kommunalpolitik ein und hatte Zweifel an dieser offiziellen Version der Stadt: „Die Geschichte kam mir komisch vor.“ Er tat, worauf in Oldenburg bislang anscheinend niemand gekommen war: Er fragte beim Bundesarchiv nach, ob dort etwas über Ruß bekannt ist.
Und siehe da: Edith Maria Ruß hatte am 21. November 1940, zehn Monate nach Erreichen der Volljährigkeit, ihre Mitgliedschaft in der NSDAP beantragt und erhalten. Ab dem 1. Januar 1941 war sie Parteigenossin Nummer 8.346.788.
Die Stadt hatte sich in ihren Behauptungen jahrelang auf eine von ihr selbst zur Eröffnung des Edith-Russ-Hauses herausgegebene Biografie gestützt, verfasst von der jetzigen Kulturbüroleiterin Paula von Sydow. Diese ist für die Erinnerungskultur Oldenburgs verantwortlich.
Darin heißt es, die NSDAP-Propagandistin Ruß habe sich ihre Unabhängigkeit bewahrt und in ihren Artikeln würden alle Bezüge zur nationalsozialistischen Ideologie fehlen. Nie sei sie in die NSDAP eingetreten. Eine Anfrage beim Bundesarchiv, in solchen Fällen Standard, hätte schon vor 25 Jahren das Gegenteil bewiesen.
Ohne weitere Prüfung hielt sich die Stadt jedoch offenbar an Ruß’ eigene Angaben aus ihrem Entnazifizierungsverfahren, bei dem sie als „entlastet“ eingestuft worden war. Sie hatte ihre Mitgliedschaften in Partei und Reichspressekammer sowie ihre Arbeit für den „NS-Gauverlag Schlesien“ wohlweislich verschwiegen. Inzwischen vertreibt die Stadt das Buch nicht mehr.
Oldenburg früh unter NS-Herrschaft
Der Landtag des Freistaats Oldenburg war 1932 der erste im Reich, in dem die NSDAP die absolute Mehrheit der Sitze erhalten hatte und folglich die Alleinregierung stellte. Umso erstaunlicher, wie sorglos die Stadt mit der Vergangenheit umgeht. Denn Edith Ruß ist nicht der einzige Fall, in dem Lücken in Oldenburgs offiziellem Gedächtnis zutage treten.
So war kürzlich, um bedeutende Frauen der Stadtgeschichte zu würdigen, eine Reihe von zehn Porträts als 200-Quadratmeter-Wandgemälde in Auftrag gegeben worden. Zwei der so geehrten waren Nazis, eine dritte zumindest Mitläuferin. Auch dass der völkische Antisemit und Nationalsozialist Bernhard Winter noch immer Ehrenbürger der Stadt ist, war erst nach Anfragen der taz aufgefallen.
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