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■ Ohne Demokratie gibt es in Serbien keine Befreiung vom Nationalchauvinismus. Eine Antwort auf Erich RathfelderZajedno verdient eine Chance

Serbien steht im zweiten Jahr nach einem Krieg, den es de facto verloren hat. Eine neue demokratische Bewegung hat sich herausgebildet, deren Ziel es ist, das Land zu europäisieren, eine parlamentarische Demokratie zu errichten und eine Wirtschaftsreform nach dem Vorbild der westlichen Marktwirtschaft durchzuführen. Serbien ist damit das letzte Land in der westlichen Hemisphäre, das diese Wandlung anstrebt, gut sieben Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer.

Erich Rathfelder, Balkankorrespondent der taz, hat nun kürzlich gefordert, die serbische Opposition müsse – vorab – die „wichtigsten Selbstlügen der serbischen Gesellschaft aufdecken“. Demokratie und stabiler Friede in der Region seien nicht möglich, wenn die Frage der serbischen Schuld am Balkankrieg nicht geklärt sei.

Eine hohe Forderung, die in der Historie ihresgleichen sucht. Es gibt meines Wissens kein Land, das noch unter der Knute einer Diktatur eine gesellschaftliche Diskussion über Kriegslügen, Kollektivschuld und moralische Verantwortung hätte führen können. Die Oppositionskoalition Zajedno ist nicht an der Macht. Sie untersteht auch keinem fremden Besatzungsregime, das der einheimischen Bevölkerung die Grundlagen der Demokratie beibringen könnte, wie dies in Deutschland der Fall war. Seine Führer sind zum größten Teil an westlichen Universitäten ausgebildet. Die Intelligenz spricht zahlreiche europäische Sprachen. Aber ihre Erfahrung in Demokratie ist eine geliehene. Dennoch behauptet sich die Opposition seit 50 Tagen gegenüber dem totalitären Staatsapparat mit Mut, Geschick und Ausdauer.

In diesem Oppositionsbündnis tummeln sich die verschiedensten Schattierungen der serbischen Gesellschaft, europäisch orientiert sind sie alle. Manche waren von Anfang an gegen den Krieg und gegen die diktatorisch-totalitäre Macht der Sozialistischen Partei unter Milošević, andere erst später. Manche haben mit der nationalistischen Variante des „Großserbentums“ geliebäugelt, andere damit nie gebrochen. Ideologische Versatzstücke des nationalistisch geprägten Beginns der Milošević- Diktatur halten sich, auch in der Opposition. Die Demokratische Partei unter Zoran Djindjić will noch heute eine Vereinigung mit der „Republika Srpska“ in Bosnien nicht völlig ausschließen. Weniger nationalistisch gibt sich dagegen die Serbische Erneuerungsbewegung unter Vuk Drašković, der schon 1991 einen Kampf auf Leben und Tod mit dem Regime einging und überlebte. Und die Serbische Bürgerallianz von Vesna Pešić ist gar von Anfang an gegen den Krieg aufgetreten und hat für die Gleichberechtigung der Kosovo- Albaner gestritten.

Die Vielfalt der politisch-ideologischen Weltanschauungen innerhalb des Oppositionsbündnisses Zajedno verbietet es, diese Koalitin in die Nähe der chauvinistisch-nationalistischen Ideologie der Milošević-Diktatur zu rücken. Es ist ja gerade die autoritäre Macht des Regimes, die eine offene gesellschaftliche Diskussion unterbindet. Die zentralen Medien sind fest in der Hand des Apparats. Und eine Antikriegspartei wie die Zivile Bürgerallianz stützt dieses durchaus heterogene Bündnis, um das Land von dieser Diktatur zu befreien. Denn ohne Demokratie kann es keine Bewältigung des serbischen Chauvinismus geben.

Das Belgrader Bürgertum ist nicht dafür zu verurteilen, daß es für die Anerkennung seiner Stimmen und die Aufrichtigkeit staatlicher Institutionen kämpft, gegen Korruption und diktatorische Anmaßungen. Es ist auch nicht dafür zu verurteilen, daß es national denkt und handelt. Es ist in Teilen gewiß dafür zu verurteilen, daß es dem Führer Milošević einmal gefolgt ist und den Krieg mitgetragen hat. Selbiges gilt für das österreichische oder deutsche Bürgertum in der Zeit des Nationalsozialismus in gleichem Maße. Das deutsche Bürgertum hat Jahrzehnte gebraucht, um die offensichtlichsten Wunden des Krieges anzuerkennen und die eigene Schuld gegenüber den geschundenen Völkern Europas einzugestehen. 1970, 25 Jahre nach Kriegsende, kniete der damalige Bundeskanzler Willy Brandt am Mahnmal des Warschauer Ghettos nieder. Und auch diese Geste blieb im deutschen Bürgertum heftig umstritten.

Man kann den serbischen Chauvinismus, der auch nach diesem Krieg noch Anhänger hat, gewiß nicht einfach als Irrweg im auseinanderfallenden Jugoslawien beiseite schieben. Dahinter stecken Mythos und Ideologie. Aber es ist falsch, den Führern der Demokratiebewegung oder der serbischen Gesellschaft einen genuin gewachsenen Nationalchauvinismus zu unterstellen. Noch wichtiger ist die Erkenntnis, daß es ohne freie Debatte keine Befreiung von jeder Art Nationalchauvinismus nicht geben kann. Genau dafür steht Zajedno ein. Zajedno jedoch erst dann als demokratisch anzuerkennen, wenn es sich auf eine gemeinsame Haltung zum Balkankrieg und seinen Ursachen verständigt, sich mit den Nachbarvölkern ausgesöhnt und seinen Teil der Schuld anerkannt hat, zeugt von einem moralischen Rigorismus, der die politische Realität außer acht läßt.

Die dominierende Ethnizität im früheren Jugoslawien waren zweifelsohne die Serben. Als solche wurden sie im zerfallenden Jugoslawien diskriminiert. Gewiß übersteigerten die serbischen Medien solche Diskriminierungen maßlos, um sie als Agitprop-Munition für den Krieg zu mißbrauchen. Trotzdem gab es sie. Auch deshalb konnte Milošević sich die Traumata des Zweiten Weltkrieges zunutze machen. Doch keines der neu entstandenen Länder auf dem Balkan hat die Rechte der Minderheiten in seinem Staatsgebiet respektiert. Kroatien bespielsweise ist wegen der diskriminierenden Behandlung der serbischen Minderheit, die einmal zwölf und heute nur noch drei Prozent ausmacht, wiederholt vom Europarat gerügt worden. Noch immer werden serbische Bürger Kroatiens im Paß als „inländische Ausländer“ gekennzeichnet. Moralische Postulate müssen aber für alle Seiten auf dem Balkan gelten. Oder sie haben keinen Bestand.

Fazit: Es nutzt nichts, eine ganze Nation und im besonderen ihre besseren Teile zu dämonisieren und unter den Generalverdacht „Nationalismus“ zu stellen. Auch andere Völker haben Jahrzehnte gebraucht, um ihre blutige Vergangenheit auch nur halbwegs aufzuarbeiten. Und wurden dennoch schon zuvor zu demokratischen Staaten. Diese Chance gebührt auch Serbien. Der Friede auf dem Balkan ist erzwungen. Es war die Niederlage des serbischen Nationalismus, die Zajedno erst hervorgebracht hat. Georg Baltissen

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