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OhMann

Ein Kaufmannssohn. Privilegiert. Großbürgertum. Doch er will nicht so werden wie sein nervöser, vom Pflichtbewusstsein zusammengehaltener Vater, entdeckt die Musik und das Sehnen und stirbt früh. Thomas Mann hat ihn erfunden, Hanno Buddenbrook heißt er.

Oder Hans Castorp. Wieder ein Kaufmannssohn. Alles in allem ein ziemlich durchschnittlicher junger Mann, bloß etwas blässlich. Eine Karriere als Ingenieur ist ihm vorgezeichnet. Doch in einem Sanatorium in den Bergen wird er krank. Er bleibt dort oben, in der dünnen Luft einer moribunden Gegenwelt, bis er dem bürgerlichen Leben im Flachland mit Beruf und Familie, ohne es sich einzugestehen, entfremdet ist. Und bis der Erste Weltkrieg ausbricht und sowieso alles hinwegfegt.

Die „Buddenbrooks“ und „Der Zauberberg“, Manns berühmteste Romane. Pflicht­ethik und Lebenskrisen. Sexualität als Versuchung und Verhängnis. Starre Rollenmodelle, Künstlertum als Gegenmodell. Sinnsuche und Selbstverwirklichung als Verfall und Verfeinerung zugleich.

In der Mitte des Bürgertums rumort die Unruhe. Es ist, wenn man von den Thomas-Mann-Klischees mal einen Schritt zurücktritt, eigentlich ziemlich bemerkenswert, dass diese so waghalsigen wie entlarvenden Bücher nicht nur den Kanon prägten, sondern auch direkt die kulturelle DNA unserer Gesellschaft. Aber sie taten es und tun es zum Teil noch. Der heimliche Außenseiter, der aus der Selbstverständlichkeit Herausgefallene, das „Sorgenkind des Lebens“ (Th. Mann) als Identifikationsangebot und Zentralfigur – das hat Thomas Mann zwar nicht erfunden, aber feinst ausgemalt und popularisiert. Bis heute gibt es kaum einen Familienroman, der nicht von den „Buddenbrooks“ beeinflusst ist.

Jetzt, zum 150. Geburtstag, wird seiner vielerorts so beflissen gedacht, als könne die Besinnung auf ihn unsere gesellschaftliche Mitte zusammenhalten. Am 6. Juni findet in Lübeck fast schon ein Staatsakt statt, mit Bundespräsident und allem. Doch das Staatstragende ist nur eine Seite an Mann. Die andere: In seiner Mitte, so bürgerlich sie daherkommt, ist nichts stabil. Da sind Anstrengung und Sehnsucht, sublimierte Verzweiflung und nur schüchternes Glück.

Seine Bücher lesend, in diesen Kathedralen der Sprache wandelnd, versteht man denn auch, warum in der Moderne Gegenkultur und Subkultur, Therapiegesellschaft und Kreativitätsparadigma erfunden worden sind. Es musste irgendwann ja auch Raum geben, um Sexualität auszuleben und die Hinterfragung vorgegebener Rollen, die in seinen Büchern ergebnislos drängte, auch praktisch umzusetzen.

Nach außen hin stets bürgerlich-akkurat, aber dahinter: innere Dramen! Thomas Mann in Pacific Palisades, einem vornehmen Stadtteil von Los Angeles, vermutlich 1946 Foto: ETH-Bibliothek Zürich/Thomas-Mann-Archiv/TMA_5373

Wie Mitte ist Thomas Mann? Nach außen hin inszenierte er sich stabil, als kultureller Repräsentant, stets in Anzug und Krawatte oder mit Fliege (außer manchmal am Strand). Doch dahinter: innere Dramen. Neurosen. Abhängigkeit von Zuspruch und Anerkennung. Ein ständiges Hin und Her von Selbstbeobachtung und Bewältigung des an sich selbst Beobachteten. Und: lebenslanger Kampf, ja Kampf, gegen die eigene Homosexualität, ausgetragen im ehelichen Schlafzimmer und im eigenen Tagebuch. So repräsentativ er sich gab, er war sich immer auch selbst fremd. Heimlicher Außenseiter blieb er.

Auch politische Verzweiflung trieb ihn um. Nachdem Thomas Mann sich im Ersten Weltkrieg als Reaktionär inszeniert hatte, wandelte er sich in der Weimarer Republik erst zum Demokraten und im Zweiten Weltkrieg dann auch zum antifaschistischen Aktivisten. Mit einer „Rhetorik des entflammten Zorns“ (so der Mann-Forscher Dieter Borchmeyer) wandte er sich gegen die Nazis, vom kalifornischen Exil aus in Radioansprachen. Hoffentlich sehen die konservativen Menschen, die sich jetzt zu seinem Geburtstag auf Thomas Mann berufen, in Zeiten der erstarkten AfD auch diesen Aspekt: Spätestens ab 1930 war er eine leibgewordene Brandmauer. Dirk Knipphals

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