: Oh Deutschland
■ Zur Einheit: Eisler, Beethoven, Wagner
Kein Konzertprogramm dürfte kritischer ausgewählt sein, als jenes, das Ingo Metzmacher zum sogenannten „Tag der deutschen Einheit“ dirigieren wird: Mit Richard Wagners „Meistersinger“-Vorspiel, Ludwig Beethovens „Wellingtons Sieg“ und Hanns Eislers „Deutsche Sinfonie“ wird Musik zur Aufführung gebracht, die eine Auseinandersetzung mit Geschichte darstellt, die der Marxist Eisler als „Dialektik des Materials“ zu beschreiben wüsste. Die Auswahl selbst erscheint bereits als Kritik am Musikleben: von Beethoven, der als Sinfoniker zum Publikumsliebling wurde, eine Phantasie; von Wagner nur ein Vorspiel. Es ist „nationale Musik“, die aber zum Mahnmal des Antinationalismus wird: Beethoven, der bürgerliche Revolutionär, dessen Werk bereits das Scheitern des Humanismus vorwegnahm; Wagner im Gewand des als „Communist“ getarnten Antisemiten vollendete es im Bayreuther Größenwahn. Schließlich Eisler, dem Beethoven als die einmal erreichte Höhe bürgerlicher Musik galt, der Wagners „Meistersinger“ salopp „Dummheit mit Niveau“ nannte.
Die „Deutsche Sinfonie“, die ursprünglich „Konzentrationslagersinfonie“ heißen sollte, entstand zwischen 1935 und 1947 als Eislers umfangreichstes Werk. Die einzige Sinfonie umfaßt elf Teile nach Texten – bis auf die „Bauernkantate“ – von Bert Brecht. Sie ist bestimmt von der Zwölftontechnik, wobei der Epilog „Seht, unsere Söhne, taub und blutbefleckt“ zur Uraufführung 1959 hinzugefügt wurde: Eisler empfahl, diese Worte mit Fotos aus der „Kriegsfibel“ Brechts zu unterstreichen. Die kompositorische Konstruktion verrät die Intention: Einheit und Zerstörung, Leid, Terror, aber auch Hoffnung. Die eigentliche Sinfonie wird von säkularisierten kirchenmusikalischen Formen, Oratorium und Kantaten, umrahmt und damit als musikalische Form infragegestellt.
Bisweilen fällt die „Deutsche Sinfonie“ in romantisierenden Proletkult zurück, behält allerdings ihre negatorische Kraft, die sich im Gegenwartsbezug bestätigt: Im Einheitsdeutschland, das Krieg und Rassismus demokratisch normalisiert, hat das Praeludium „Oh Deutschland, bleiche Mutter“, welches im entscheidenden Moment die „Internationale“ zitiert, nichts an Aktualität verloren.
Roger Behrens
Musikhalle, Kleiner Saal, So, 3.10., 11 Uhr; Mo, 4.10., 20 Uhr.
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