Offensiven in der Ostukraine: Neue Brennpunkte des Leids
Die UN hofft auf Waffenruhe, Russland spricht vom dritten Weltkrieg – und greift weiter an. Auch Transnistrien könnte zu einem Hotspot werden.
UN-Generalsekretär António Guterres hat sich bei einem Treffen mit dem russischen Außenminister Sergei Lawrow am Dienstag in Moskau für eine rasche Waffenruhe und ein Ende des Krieges in der Ukraine ausgesprochen. Er habe ein Interesse daran, alles zu tun, um den Krieg und das Leiden der Menschen zu beenden, sagte er. Zudem müssten die Vorwürfe schwerer Kriegsverbrechen gegen die russischen Streitkräfte unabhängig untersucht werden. Am Dienstagnachmittag sollte Guterres Präsident Wladimir Putin treffen, am Donnerstag wird er in Kiew erwartet.
Am Montagabend hatte sich Lawrow auf dem Ersten Kanal in der Sendung „Das große Spiel“ zu der Möglichkeit eines Atomkriegs geäußert. Moskau wolle nicht, dass die Risiken künstlich aufgebauscht würden, aber es gebe doch so einige, die dies beabsichtigten. Dennoch sei die Gefahr real und dürfe nicht unterschätzt werden. Mit ihren Waffenlieferungen wollten westliche Staaten die Ukrainer zwingen, bis zum letzten Soldaten gegen Russland zu kämpfen, und sei es auch nur, weil sie hofften, dass Russland mehr und mehr unter diesem Krieg leide, sagte Lawrow.
Unterdessen dauerte die Offensive russischer Truppen im Osten der Ukraine an. Am Dienstag schlugen auf dem Gelände eines Betriebs in Saporischschja zwei russische Raketen ein. Das berichtete das ukrainische Nachrichtenportal Zerkalo Nedeli (ZN) unter Berufung auf die Bezirksregierung von Saporischschja. Dabei sei eine Person getötet und eine weitere verletzt worden. Die Zahl der Opfer könne noch steigen.
Zudem rücke russisches Militär weiter auf die Stadt vor, ukrainische Streitkräfte bereiteten sich auf einen Angriff auf Saporischschja von Süden her vor. Laut Berichten der lokalen ukrainischen Nachrichtenagentur inform.zp.ua seien am Dienstagmorgen zwei russische Marschflugkörper über dem Atomkraftwerk in Energodar gesichtet worden.
Großangriff in Nikolajew erwartet
Auch die Stadt Nikolajew rüstet sich für den Ernstfall. „Wir erwarten einen Großangriff oder eine Belagerung der Stadt“, sagte der Bürgermeister von Nikolajew, Aleksandr Senkewitsch, dem Nachrichtenportal Ukrainska Prvada. Man beobachte, dass russische Truppen von der Krim massenhaft Waffen und militärisches Gerät in die Region von Cherson brächten.
In dem Gebiet Luhansk, das russische Truppen angeblich zu 80 Prozent kontrollieren, gingen die Kämpfe ebenfalls weiter. Angaben des Gouverneurs Sergei Gaidai zufolge sollen russische Truppen in der Stadt Rubischne Kinder in ihre Gewalt gebracht und deren Müttern gedroht haben, diese zu erschießen, sollten sie nicht Informationen über Militärstellungen ukrainischer Soldaten preisgeben.
Zu einem weiteren Hotspot könnte auch die von der Republik Moldau und von Russland kontrollierte Region Transnistrien werden. Einem Bericht der russischen staatlichen Nachrichtenagentur RIA zufolge erklärte das Außenministerium am Dienstag, Russland wolle ein Szenario vermeiden, bei dem es gezwungen sei, in Transnistrien zu intervenieren. Von den rund 470.000 Einwohner*innen haben mehr als 200.000 russische Pässe.
In den vergangenen 24 Stunden hatten lokale Behörden mehrere Explosionen gemeldet. Neben dem Hauptquartier der Staatssicherheit in Tiraspol war auch das Dorf Majak betroffen, wo zwei Sendemasten noch aus Sowjetzeiten beschädigt wurden. In Transnistrien wurde die Terrorwarnstufe auf Rot angehoben, Moldaus Präsident Maia Sandu berief eine Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats ein. Der moldauische Abgeordnete Oazu Natoi sieht russische Geheimdienste hinter den Explosionen am Werk. Diese versuchten die Situation anzuheizen, um Kiew zu zwingen, einen Teil seiner Truppen in Richtung Transnistrien umzulenken, sagte er dem Portal insider.ru.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Protest gegen Kies- und Sandabbau
Der neue Kampf gegen Gruben