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Offener Tisch Wenn die alten Freunde gerade alle frisch operiert sind, muss es zum Abendessen etwas Leichtes geben: zum Beispiel Pasta mit Huhn und OrangensauceTanzen mit Krückstock

Von Philipp Maußhardt

Wir werden alle nicht jünger. Da ich es – so gut es geht – vermeide, in den Spiegel zu schauen, sehe ich das vor allem an den anderen. Vergangenen Sommer traf ich bei einer Tanzveranstaltung auf dem Dorfplatz von Talla einen alten Freund, die italienische Kapelle spielte einen Bossa Nova. Als er mich sah, kreiste er triumphierend mit den Hüften und rief: „Beide Hüften sind neu. Schau, es geht noch!“

Ich kannte Henk seit mehr als dreißig Jahren, ein begnadeter Läufer und Radfahrer, kein Berg zu hoch, kein Waldweg zu steil. Ich gratulierte ihm, verzichtete aber, ihm auf die Schulter zu klopfen. Vielleicht war die ja auch gerade frisch operiert.

Vergangenen Sonntag rief ich Jo an, auch er ein Freund aus alten Toskana-Tagen, um mit ihm und seiner Frau Mona ein gemeinsames Abendessen auszumachen. „Du kannst kommen“, sagte Mona, „aber Jo fühlt sich nicht so gut. Er geht an Krücken. Er hat gerade eine neue Hüfte bekommen.“ Das Bauernhaus, in dem beide wohnen, sei jetzt „eine Reha-Station und der Pa­tient ein wenig unleidig“. Ich versprach, für das Essen zu sorgen, und wir verabredeten uns für den Abend.

Jo und ich sind quasi Nachbarn. Die beiden Häuser liegen zwar zehn Kilometer auseinander, jedes für sich alleine auf einem Berg im Wald, doch dazwischen kommt man nur an ein paar einsam gelegenen Höfen und einem kleinen Weiler vorbei. Die Fahrwege zu den Häusern sind Waldstraßen, im Winter schlammig, im Sommer hart wie Fels. Man muss Bäche durchqueren und durch tiefe Spurrillen furchen. Ohne Geländewagen wäre man aufgeschmissen.

Tagliatelle mit Hühnchen

200 Gramm Bio-Hünchenbrust

etwa 50 Gramm Ingwer

eine Zwiebel

zwei Saftorangen

0,2 Liter Weißwein

0,2 Liter Brühe

150 Milliliter Sahne

Salz

frischer Pfeffer

Tagliatelle

Zubereitung siehe Text

Meine Freundin und ich packten die Zutaten in den Jeep und rumpelten den Berg hinunter. Was ist das richtige Gericht für einen gerade frisch operierten Hüftpatienten? Etwas Leichtes natürlich, nicht zu fett und vielleicht ein bisschen eisenhaltig für den Knochenaufbau. Es war Sonntag, die Geschäfte hatten geschlossen und so packten wir ein, was zu finden war: eine große Ingwerknolle (blutbildend), frische sizilianische Orangen (Vitamine), Bandnudeln und ein Öko-Hühnchen.

Als ich Jo das erste Mal vor etwa dreißig Jahren getroffen hatte, war er auf einem Schimmel ins Dorf geritten. Er trug einen Cowboyhut und band das Pferd vor der einzigen Bar fest. Dass er im Hauptberuf Rechtsanwalt sei, glaubte ich ihm erst nicht. Doch in den folgenden Jahren merkte ich, dass dieser Cowboy aus dem Wald an ziemlich großen juristischen Rädern drehte. An Riesenrädern sozusagen.

Mal verklagte er die Bundesrepublik Deutschland, weil sie ihrer Verpflichtung zur Entschädigung von italienischen Zwangsarbeitern nicht nachkam, dann zog er sogar vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Wenn die Menschen im hohen Weltgericht gewusst hätte, wo sich dieser Anwalt so seine Gedanken machte, in einem abgelegenen Bauernhaus, das man mit einem normalen Pkw nicht erreichen konnte – vielleicht hätten sie ihn gar nicht ernst genommen?

DamalsAls ich Jo vor dreißig Jahren das erste Mal getroffen hatte, war er auf einem Schimmel ins Dorf geritten. Er trug einen Cowboyhut und band das Pferd vor der einzigen Bar fest

Wir waren schon am späten Nachmittag da. Der Patient müsse früh zu Bett, hatte seine Frau gesagt. Jo empfing uns auf Krücken mit einem gequälten Lächeln im Gesicht. „Hacke, Spitze, eins, zwei, drei“, sagte er und deutete mit den Füßen ein kleines Tänzchen an. Ich hackte die Zwiebel und den Ingwer und briet sie in etwas Butter an. Der Gasherd funktionierte nur noch auf zwei Flammen, die anderen beiden wollte der Hausherr schon lange reparieren, nun kam die Hüfte dazwischen.

Ich löschte mit etwas Weißwein ab, während mir Jo von seinem letzten Besuch im griechischen Distomo erzählte, wo er den Präsidenten des griechischen Opferverbandes deutscher Nazi-Verbrechen getroffen und über Möglichkeiten beraten hatte, den letzten Überlebenden und deren Angehörigen eine Entschädigung zu verschaffen. Anschließend goss ich mit etwas Brühe auf und ließ die Masse zusammen mit frischer Sahne zu einer cremigen Masse einkochen, ehe ich den Orangensaft hinzugab. Die kleingeschnittene Hühnerbrust stäubte ich mit Mehl ein und bräunte das Fleisch mit etwas Salz an, bevor ich es schließlich über das fertige Nudelgericht streute.

Kurz darauf saßen wir um den alten Holztisch neben dem Kamin, die Krücken lehnten an der Wand und der Patient langte kräftig zu. Dass er sich ein Glas Wein einschenkte, obwohl er mit seinen Medikamenten doch eigentlich nicht trinken durfte, gefiel seiner Reha-Betreuerin nicht im Geringsten. Doch „Hacke, Spitze, Hacke, Spitze, eins, zwei, drei“: Wer wollte einem Kranken das bisschen Spaß verwehren?

Die Essecke: Philipp Maußhardt schreibt hier jeden Monat über seinen offenen Sonntagstisch. Sarah Wiener komponiert aus einer Zutat drei Gerichte, Jörn Kabisch spricht mit Praktikern der Küche, und unsere AutorInnen kochen gemeinsam mit Flüchtlingen.

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