Österreichs Nationalteam vor der EM: Depressive Dösis

"Wir sind der krasseste Außenseiter, den es je bei einer EM gegeben hat": Österreich geht nach einer 3:0-Führung noch mit 3:4 gegen die Niederlande unter.

Der Jubel war nur von kurzer Dauer: Österreichs Team vor dem Zusammenbruch. Bild: dpa

WIEN taz Pessimismus ist seine Sache nicht. Insofern ist Alfred Gusenbauer gar kein typischer Österreicher. Als der Bundeskanzler der Alpenrepublik beim gestrigen Workshop zur EM 2008 unter dem Motto "Der Countdown läuft - wo stehen wir, was ist noch zu tun?" sein Grußwort sprach, wollte Gusenbauer nicht in den Chor der Schwarzseher einstimmen. "Ich bin Berufsoptimist. Wir sind auf dem richtigen Weg", sagte der Politikchef. Trotzig entgegnete der Kanzler im Hilton Hotel am Wiener Stadtpark den notorischen Nörglern.

Das ganze Land fragt sich nämlich in kollektiver Besorgnis, wie die Nationalmannschaft nach einer 3:0-Führung am Mittwochabend noch eine 3:4-Niederlage gegen die Niederlande kassieren konnte. Es war ein Rückschlag, in der sich alle Extreme des österreichischen Fußballs widerspiegelten; Schwankungen zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt - komprimiert in turbulenten anderthalb Stunden. "Wenn man so verliert, überwiegt das Negative", mäkelte Herbert Prohaska, der Chefkritiker in Günter-Netzer-Funktion, "uns geht immer nach einer Stunde die Luft aus." Schon ist das Selbstmitleid wieder allgegenwärtig. Die Wiener Psychologin Henriette Wursag bietet für 54 Euro bereits Seminare an, die dem Umgang mit der Niederlage der österreichischen Nationalelf lehren. Der Zulauf ist beachtlich. Und wer beobachtete, wie depressiv der gemeine Besucher aus dem Ernst-Happel-Stadion flüchtete, der weiß, wie weh dieser Rückschlag tut. "Wir sollten den Platz hergeben für jemanden, dessen spielerisches Unvermögen nicht dermaßen eklatant groß ist", klagte ein Zuschauer. Frustration, Ernüchterung allerorten. Erlebt die Internet-Initiative, die ernsthaft den Rückzug von der EM erwogen hat ("Österreich zeigt Rückgrat") nun einen neuen Zulauf? "International werden alle Fehler bestraft: Das müssen wir uns hinter die Ohren schreiben", räumte der patzende Torwart Helge Payer ein.

Die Furcht geht um, dass die Ösis am Ende die Euro-Dösis sind. "Ein echter Jammer", titelte der Kurier, "ein schräges Spiel", schrieb der Standard. Sogar die Tagesordnung des EM-Workshops wurde deshalb kurzfristig geändert: In der Mittagspause durften Teamchef Josef Hickersberger und Assistent Andreas Herzog ihre Erklärungsansätze verbreiten. "Wir müssen erkennen, dass wir Fehler machen, wenn wir unter Druck geraten", gestand Hickersberger, der nach eigener Aussage nicht beunruhigt ist und sich ausgesprochen humorvoll präsentierte. "Die erste Halbzeit war Sonnenschein, in der zweiten hat es hereingeregnet."

Kaum hatten Andreas Ivanschitz (6. Minute) und Sebastian Prödl (18. und 35.) die Österreicher unter gütiger Mithilfe des niederländischen Ersatztorwarts Henk Timmer sensationell mit 3:0 in Führung gebracht, brach der EM-Gastgeber ein. Genau wie am 6. Februar gegen Deutschland. Die Österreicher verloren mit jeder Spielminute so offensichtlich die Spielkontrolle, dass den 40.500 Augenzeugen angst und bange wurde. Hat so etwas ursächlich mit fehlender Kraft oder Klasse zu tun? "Beides", glaubt Hickersberger.

Der 69-Jährige sagte, es sei bei den Seinen keineswegs ein Problem der Kondition, "sondern ein Problem der Ökonomie, wir teilen uns die Kräfte mental und körperlich nicht richtig ein". Was fatale Auswirkungen hat: Dem Vollgasfußball folgt der Kompletteinbruch. Hickersberger: "Wir hängen dann wie ein angeschlagener Boxer in den Seilen, der die Hände nicht mehr hochkriegt." Weiterer Kritikpunkt: "Unsere in der T-Mobile-Bundesliga beschäftigten Akteure sind solch ein Tempo über 90 Minuten nicht gewohnt." Jan Klaas Huntelaar (37. und 86.), John Heitinga (67.) und Veenegoor of Hesselink (82.) drehten die Partie - den schlimmsten Fauxpas leistete sich der Bald-Bremer Prödl, der nach seinen ersten Länderspieltoren erst ein furchtbares Luftloch trat, dann final ins Leere grätschte. Immerhin raffte sich der Verteidiger in der verbalen Nachbearbeitung zu einem Volltreffer auf. "Wir waren von den drei Toren geblendet. Die Stärke der Niederlande ist uns dann extrem um die Ohren geblasen. Die Niederlande sind ein Titelass, wir der krasseste Außenseiter, den es je bei einer Europameisterschaft gegeben hat."

Optimismus klingt anders. Nur gut, dass Gusenbauer dies nicht gehört hat.

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