Österreichischer Satiriker über Corona: „Ironie ist Sache der Leidenden“
Ist Satire zu Coronazeiten aus Respekt vor den Opfern unangemessen? Ein Gespräch mit dem arbeitslosen Wiener Satiriker Alfred Dorfer.
taz am wochenende: Herr Dorfer, Covid-19 führe zu einem „neuen Ton der Ernsthaftigkeit“, diagnostiziert eine Chefgermanistin in der Zeit. Ein Kollege vom Tagesspiegel sieht einen „Krisen-Puritanismus“, und wirklich werden Witze bisweilen mit Hinweis auf die schweren Zeiten abgelehnt. Was machen wir?
Alfred Dorfer: Was dahintersteht, ist der absolute Abwehrkampf gegen Humor an sich. Das war bis 1989 auf Ostdeutschland beschränkt und ist nun massiv geworden. Dem gilt es entgegenzutreten. Witze sind die Möglichkeit der Beherrschten. Wir reden hier von einer Lebensbewältigung, die nicht ersetzbar ist.
Aber wenn Humor Menschen verletzt und damit alles noch schlimmer macht?
Das ist ein Standpunkt, der von Humorlosen vertreten wird. Humorlosigkeit ist Intelligenzmangel.
Aber das kapieren die Humorlosen nicht?
Nein, da sind die indolent.
Diverse Satiriker sind seit 2015 predigend unterwegs.
Ja, was wir erleben, ist das Hinüberwachsen der Satire in die Predigt. Vorher hatten wir das andersherum, etwa in Predigten von Landpfarrern, die durchaus humorvoll sind, damit es leichter flutscht. Und das überlappt sich jetzt, die Satiriker werden zu Landpfarrern.
ist Österreichs führender (Post-)Kabarettist. Er wurde 1961 geboren und lebt in Wien. Durchbruch in Deutschland mit dem Kinofilm „Indien“ (1995), Massenpublikum durch Late-Night-Show im ORF. Derzeit hat Dorfer Auftrittsverbot und schreibt am Libretto der Oper „Hochzeit des Figaro“, die er im Herbst in Wien inszenieren will.
Woran liegt das?
Ein Manko im Selbstverständnis vieler Satiriker ist, dass sie sagen: Wir machen zwar Humor, haben aber nicht die moralische Deutungshoheit. Und jetzt machen sie die Landpfarrer nach und liefern humoristische Predigten, die an Plattheit kaum zu überbieten sind.
Niemand ist davor gefeit, auch ich erlebe die Versuchung, den Pastor raushängen zu lassen.
Da müssen wir jetzt durchhalten. Das geht vorbei.
Auch wenn es eine zweite oder dritte Infiziertenwelle gibt?
Irgendwann wird das aus dem Bewusstsein verschwinden, Corona und ob man Witze machen darf. Was bleiben wird, sind soziale und ökonomische Verwerfungen.
Fußballer müssen immer sagen, dass sie aus Niederlagen lernen. Könnte die Gesellschaft das nicht übernehmen?
Es gäbe tatsächlich Dinge zu lernen, zum Beispiel, dass es verboten gehört, für 19 Euro nach Stockholm zu fliegen.
Jetzt werden Sie auch moralistisch?
Nein, das ist Mathematik, 19 Euro sind einfach keine Kostenwahrheit, also ist es weder moralistisch noch liberal, sondern es ist logisch. Da sowohl das Moralische als auch das Liberale gegen die Logik arbeitet, bin ich auf Seiten der Logik.
Mathematisches Sprechen ist aber im Moment auch nicht erwünscht, weil es der Würde des einzelnen Menschen nicht gerecht wird, wenn die Zahlen gut sind, aber er stirbt.
Wenn man von Mathematik spricht, ist die Würde sowieso ausgeklammert, denn Würde ist keine Wissenschaft. Eine statistische Betrachtung ist also immer würdelos.
Steckt hinter allem vielleicht, dass wir den Tod wiederentdecken und deshalb ein zartes Sprechen verlangt ist?
Die Lösung ist: Wir schonen uns mit Worten und sagen nicht mehr, was wir denken?
Der Tod ist angeblich in Österreich die Grundlage für Humor?
Ja, das ist bei uns eine Tradition: Die Bewusstheit, dass wir alle jederzeit an etwas sterben könnten. Wobei die Chance, an Corona zu sterben, in Deutschland und Österreich sehr, sehr gering ist. Ich weiß nicht, ob das jetzt würdelos war.
Laut Dorfer total würdelos, weil mathematisch gesprochen.
Es trifft mein Lebensgefühl, diese Pandemie hat bei mir keine Paranoia ausgelöst.
Das könnte Ihnen als Ausdruck von Privilegierung ausgelegt werden oder gar als Missachtung der Opfer.
Hören Sie: Ich selbst bin arbeitslos oder habe Arbeitsverbot – und bekomme keine staatliche Hilfe. Aber es stimmt, der Opferkult, der Diskriminierungskult ist auffällig. Tucholsky hat gesagt – oder wer auch immer es war –, für die meisten Menschen ist das Leben wie Schlechtwetter: Man stellt sich unter und wartet, bis es vorbei ist.
Und schimpft auf die anderen.
Es ist wichtig, Feindbilder zu haben, und die meisten Leute verwenden viel Zeit darauf, dieses Haustier zu füttern. Und wenn das fehlt, merken die meisten, dass sie gar keine Standpunkte haben. Das Fehlen des Feindbildes: Hier beginnt die Vernunft.
Ist das von Ihnen?
Das hört sich nach Kant an, der ja übrigens in Königsberg in freiwilliger Quarantänesituation war.
Ist Ironie und Humor trotzdem derzeit ein Privileg von festangestellten Nichtrisikogruppen?
Nein. Ironie ist keine Sache der Protegierten, sondern die der Leidenden. Daher ist diese These Unsinn. Das Leid mit Wortwitz zu lindern, das muss erlaubt sein.
Aber dass Humor „ansteckend“ ist, sollte man nicht mehr sagen?
Ich benutze das Wort auf jeden Fall. Mein Lieblingswort ist aber Reproduktionsrate. Da dachte ich früher immer an ganz was anderes. Interessant auch die Berufsgruppen, die plötzlich aus dem Schatten treten, etwa die Simulationsforscher.
Benutzen Sie die schöne Redewendung „in Zeiten von Corona“?
Nein, nein, aber wenn wir Filme sehen, dann sagen wir aufgrund der Tonalität „40er Jahre“ oder „50er Jahre“. Und in einigen Jahren werden Sprachforscher sagen: Das muss in der Corona-Ära gewesen sein.
Machen Sie eigentlich Streamings, Podcasts oder etwas in der Art?
Nein, ich habe eine wöchentliche Radiokolumne auf ORF 1 und arbeite an einem Libretto. Ich halte überhaupt nichts von „Künstler streamen sich selbst und erzählen, wie es ihnen so geht“.
Man möchte halt in der Welt sein?
Aber nicht so. Diese Redundanz und das Darstellen der Intimität vor anderen, das ist mir unangenehm. Wir Menschen haben nicht die soziale empathische Kapazität, um das aufzunehmen.
Das lernen wir jetzt?
Eben nicht.
Helfen Ihnen Corona-Tagebücher in diesen schweren Zeiten?
Ich lese nicht in solchen Tagebüchern, das ist eine Sache von Respekt und Abstand.
Es gibt auch dafür Bedürfnisse.
Ja. Das Bedürfnis, sich so zu veräußern und seinen Tagesablauf in die Öffentlichkeit zu bringen, und das Bedürfnis, diese Veräußerungen an sich heranzulassen. Da wird der Abstand nicht mehr eingehalten, der natürliche Intelligenzabstand.
Ein letztes Wort zu Klopapier?
Ist das nicht schön, dass sich der Mitteleuropäer darüber definiert, dass er genügend Scheißhauspapier zu Hause hat? Die Franzosen haben Wein gelagert. Vielleicht ist die wahre Grundlage der humoristischen Hartleibigkeit ja die Angst, sich nicht mehr den Hintern auswischen zu können? Daraus entsteht vermutlich diese deutschsprachige Humorlosigkeit.
Danke, ich habe sehr gelacht.
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