Österreicher hilft Griechen: Medikamente auf Rädern

Vierzig Mal in drei Jahren ist Erwin Schrümpf von Österreich nach Griechenland gefahren – im Gepäck Medikamente und sanitäre Utensilien.

Ein ganzer Umzugskarton ist voll mit Medikamenten

Im Apothekenzimmer der Sozialklinik im Athener Stadtteil Elliniko sortiert eine freiwillige Helferin gespendete Medikamente. Foto: reuters

ATHEN taz | Erwin Schrümpf lehnt sich an den Kleinbus, den er am Rand des Syntagmaplatzes, unweit vom Parlamentsgebäude, geparkt hat. Griechenlandhilfe steht in roten Lettern darauf. Seit Januar 2013 bringt der Österreicher mehrmals im Quartal Medikamente, Verbandszeug, Windeln, Babynahrung und sanitäre Utensilien nach Griechenland. Die Spenden stammen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz. Nein, er habe früher nichts mit Griechenland zu tun gehabt, sagt Schrümpf. Aber es gab einen Punkt, an dem er es nicht mehr ertrug, nichts damit zu tun zu haben.

Schrümpf, 51 Jahre alt, kann den Punkt genau benennen. Er ist ein drahtiger Mann in Jeans, T-Shirt und Gesundheitsschlappen, möglichst bequem, die weite Fahrt ist anstrengend. Bis vor vier Jahren besaß er im österreichischen Seekirchen am Wallersee ein Geschäft für EDV-Zubehör. Als er ein Jahr Auszeit nahm, um zu überlegen, wie es mit seinem Leben weitergeht, sah er zufällig im Fernsehen eine Sendung über das griechische Gesundheitssystem. „Die Bilder waren kaum zu ertragen.“

Der Beitrag zeigte eine Frau, die zehn Tage mit ihrem toten Baby im Bauch herumgelaufen war, weil sie nicht wusste, an wen sie sich wenden konnte. Sie hatte ihren Job verloren und deswegen mehrere Monate ihre Beiträge für die Krankenkasse nicht gezahlt. „In einem Bündnisstaat passiert eine humanitäre Katastrophe, und Europa schaut zu – das geht doch nicht!“ Erwin Schrümpf ist noch immer fassungslos.

Im Beitrag wurde auch ein Arzt interviewt, der fehlende Medikamenten und medizinisches Zubehör beklagte. Schrümpf rief kurzentschlossen bei einem Pharmabetreiber an und fragte, ob er kostenlos Medikamente für Griechenland bekäme. „Die Frau am Telefon sagte, ich solle eine Liste schicken, dann würde ich das Fehlende bekommen.“ Und so war es auch. Die Griechenlandhilfe entstand.

Nur Sach- und Geldspenden

Mit einem Kleinbus brachte Schrümpf damals die Medikamente nach Athen. Die Griechenlandhilfe ist als Verein organisiert, der auf Sach- und Geldspenden basiert. Das Geld wird ausschließlich für die Fahrtkosten verwendet, die anfallen, um die Sachspenden an die jeweiligen Empfänger in ganz Griechenland zu bringen. Bisher gibt es dort 24 Anlaufpunkte: Krankenhäuser, Sozialstationen, Waisenhäuser. Schrümpf selbst finanziert sich durch seine Ersparnisse.

Heute ist ein Paar aus Österreich mit von der Partie, das einen zweiten Kleinbus mit Sachspenden fährt. Es ist der Firmenwagen ihres Schlossereibetriebs. Insgesamt fünf Transporter sind für die Griechenlandhilfe im Einsatz – alle gehören Privatpersonen. Zusätzlich bringt ein Lkw jeden Monat 20 Tonnen Sachspenden zum Selbstkostenpreis nach Griechenland.

Schrümpf lässt den Motor an, tippt einen Straßennamen in das Navigationsgerät. Er will heute zwei Kliniken und eine Sozialstation beliefern. Nach einigen Versuchen findet das Gerät den ihm fremden Straßennamen. Erste Station: das Sozialzentrum im Arbeiterbezirk Peristeri – einem der ärmsten Vororte von Athen. „Hier leben 15.000 Familien, die nicht wissen, was sie ihren Kindern am nächsten Tag zu essen geben können.“

Das hat Schrümpf vom Bürgermeister von Peristeri persönlich erfahren. Erst neulich habe sich eine auf 39 Kilo abgemagerte Rentnerin mit letzter Kraft ins Sozialzentrum geschleppt. „Das darf doch nicht sein, dass du in deiner Wohnung sitzt und auf den Tod wartest, weil du dir nichts mehr zu essen kaufen kannst“, sagt Schrümpf entrüstet.

Rund 5.000 Kilometer

Um 40 Prozent ist der Gesundheitsetat in den letzten Jahren gekürzt worden

Auf der Fahrt nach Peristeri sind links und rechts leere Schaufenster einstiger Geschäfte zu sehen. Rot auf Gelb steht dort auf Zetteln, was überall in der Stadt zu lesen ist: „Zu verkaufen“ oder „Zu vermieten“. Eine Besserung der Lage kann Schrümpf nicht feststellen – im Gegenteil. „Anfangs mangelte es an Dingen wie Medikamenten, Spritzen und Kanülen“, sagt er. Doch mittlerweile fehlten ganz elementare Dinge wie Decken und Lebensmittel. Seit ein paar Monaten erreichen ihn täglich Hilfsgesuche aus medizinischen oder sozialen Einrichtungen in Griechenland.

Vierzig Mal in drei Jahren ist Schrümpf die lange Strecke bisher gefahren – rund 5.000 Kilometer, erst von Österreich nach Italien, dann von Triest mit der Fähre nach Patras, der Hafenstadt auf dem Peloponnes. Dort macht er einen Tag Station, um unterschiedliche Sozialeinrichtungen und das Behindertenheim für Kinder zu beliefern. Von dort aus sind es dann noch etwa drei Stunden Fahrt bis nach Athen.

Schrümpf fährt in die Einfahrt des Sozialzentrums von Peristeri. Zielsicher geht er auf eine Seitentür des langgezogenen, flachen Gebäudes zu, wird freundlich von einer Angestellten auf dem Flur gegrüßt. Der Lagerraum sei offen, er könne ausladen. Schrümpf und die Helfer aus Österreich schleppen kistenweise Decken, Kleidung, aber auch Deutschlernbücher für den Fremdsprachenuntericht in den Sozialeinrichtungen des Bezirks sind darunter.

Anschließend besucht Schrümpf das Büro von Georgios Bathiotis, dem Berater der Gemeinde, das gleich um die Ecke liegt. Dort wartet Maria Moschou auf ihn. Die Deutschlehrerin vom Österreichischen Institut Athen übersetzt für Schrümpf, wenn die Menschen kein Englisch sprechen. Auch heute wird sie das Gespräch zwischen Bathiotis und Schrümpf dolmetschen. Die Begrüßung fällt herzlich aus. Schrümpf gehöre bereits zur Gemeinde Peristeri, sagt Bathiotis mit warmem Lächeln. Weitere Lieferungen werden besprochen. Bathiotis weiß, wo der Bedarf am dringendsten ist. Schrümpf verabschiedet sich, gibt dem Paar aus Österreich noch einige Anweisungen und schwingt sich wieder auf den Fahrersitz seines Busses.

Ein Apothekenzimmer

Nächste Station: die Sozialklinik in Elliniko, einem südlichen Vorort von Athen. Mehr als tausend Patienten kommen im Monat hierher. In der Sozialklinik werden sie von rund fünfzig freiwilligen HelferInnen kostenlos betreut und erhalten Medikamente, die aus dem In- und Ausland gespendet wurden. Ein Raum der Klinik wurde daher zur Apotheke umfunktioniert.

Schrümpf trifft hier den Kardiologen Georgios Bichas, der die Sozialpraxis vor vier Jahren ins Leben gerufen hat. Bichas bekam vor Kurzem den Europäischen Bürgerpreis 2015 zugesprochen, der vom Europäischen Parlament als Auszeichnung für „außergewöhnliches Engagement“vergeben wird. Er lehnte ab. Der Preis sei angesichts der derzeitigen Europapolitik pure Heuchelei, verkündete Bichas am 15. Oktober in Brüssel vor EU-Vertretern.

Rund drei von insgesamt elf Millionen Griechinnen und Griechen sind nicht mehr krankenversichert – mit dramatischen Folgen. Der staatliche Gesundheitsetat ist in den vergangenen Jahren um vierzig Prozent gekürzt worden.

Jetzt sitzt der hochgewachsene Mann im weißen Kittel wieder in seinem Sprechzimmer in Elliniko und reicht einem Patienten ein Päckchen mit Medikamenten. Der Mann hätte sich die Medizin selbst nicht leisten können. Bichas verabschiedet ihn und begrüßt Schrümpf mit seiner ruhigen freundlichen Art. Der Kardiologe arbeitet mehrmals die Woche nach seiner Schicht im staatlichen Krankenhaus in der Sozialklinik.

Wie er dazu kam, sie zu eröffnen? „Im Frühjahr 2011 hatte ich einen Patienten im staatlichen Krankenhaus, der halb tot war“, erzählt Bichas. Der Mann, arbeitslos, lebte auf der Straße und konnte sich seine Medizin seit Monaten nicht mehr leisten. „Da wurde mir klar, dass wir die Dinge selbst in die Hand nehmen müssen, weil der Staat nicht mehr funktioniert.“ Bichas fand dann das leerstehende Gebäude in Elliniko, das ihm der Bürgermeister überließ. Die Klinik funktioniert mit Hilfe von Spenden und freiwilligen HelferInnen. 2012 kamen 4.500 PatientInnen in die Klinik, im Jahr 2014 waren es bereits 16.000. „Und in diesem Jahr liegen wir jetzt schon jetzt bei 20.000 PatientInnen“, sagt Bichas. Tuberkulose trete nun wieder öfter auf, auch Hepatitis-Fälle häuften sich.

Krankheiten können sich ausbreiten

„Alles Krankheiten, die wir jahrelang im Griff hatten“, seufzt Bichas. „Sie werden verschleppt, weil die Leute nicht zum Arzt gehen. Die Ansteckungsgefahr nimmt zu.“ Der Arzt hat große Sorge, dass sich Krankheiten wie Kinderlähmung wieder ausbreiten. Denn sind die Eltern nicht versichert, sind es die Kinder auch nicht. Sie werden nicht mehr regelmäßig geimpft. Auch Typhus und Cholera könnten sich durch die miserablen Bedingungen in den Flüchtlingscamps wieder ausbreiten.

Ein Patient kommt. Schrümpf wartet, bis Bichas den Mann behandelt hat. Eine Frau kommt auf ihn zu. Die Diabetikerin kennt die Griechenlandhilfe, sie muss dauerhaft Medikamente nehmen und bekommt sie hier kostenlos. Bevor Bichas sie ins Sprechzimmer bittet, verabschiedet er sich von Schrümpf. Der Österreicher wirkt müde, er hat noch eine Tour vor sich. An der Fahrertür seines Kleinbusses ist ein Anhänger befestigt – ein Glücksbringer, den die Diabetikerin für ihn mitgebracht hat. Erwin Schrümpf lächelt leise, dann schwingt er sich auf den Fahrersitz – es geht weiter.

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