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ÖkostromEin Ort mit guter Energie

Die Bürger von Schönau machen ihren Ökostrom selbst und beliefern 50.000 Kunden. Bald wollen sie den Energieriesen weitere Netze streitig machen.

Die Stromrebellen von Schönau erobern Mast für Mast Bild: dpa

SCHÖNAU IM SCHWARZWALD taz Den Heizungsraum? Immer wollen sie den Heizungsraum sehen! Walter Karle hat ein Schwimmbad, eine Sauna, ein Biorestaurant und 40 Betten. Vor der Tür lockt der Naturpark Südschwarzwald, das Rathaus mit Renaissance-Fassade, die Schönauer Talkirche, genannt "Münster des Wiesentals". Zu Karle aber, dem Hotelier, kommen Touristen selbst aus Korea - wegen seines Heizungskellers. Karle führt sie dann nach unten, schließt die Tür auf, zeigt seine Maschinen und sagt: "Ein kleines Rädchen, um unser Klima zu verbessern."

Das Hotel Vier Löwen ist ein Familienbetrieb. Karle ist Hausbursche, Gastwirt und Chefkoch in Personalunion. Die weiße Weste spannt sich über seinen Bauch, die Knöpfe stehen doppelreihig stramm, das rötliche Haar ist ein wenig zerzaust, der Händedruck kräftig. Nebenbei ist Karle Kraftwerksbetreiber.

Vor 30 Jahren hat er sich, als junger Mann, in den Rheinauen von Mücken zerstechen lassen, beim Demonstrieren gegen den geplanten Bau des AKW Wyhl. Vor 21 Jahren konnte er keine Pilze mehr sammeln im Wald, weil in der Ukraine das AKW Tschernobyl in die Luft geflogen war. Vor 16 und vor elf Jahren stimmte er in Bürgerentscheiden für die Übernahme des Schönauer Stromnetzes durch die Bürgerinitiative "Eltern für atomfreie Zukunft" (EFAZ). Die wollten Stromsparen belohnen und eine ökologischere Stromversorgung aufbauen. Und vor acht Jahren war eine neue Heizungsanlage für sein Hotel fällig. Da wollte Karle endlich konkret mitmachen bei der Energiewende. "Was kann mein Beitrag sein?", hat er die EFAZ gefragt, die inzwischen als Elektrizitätswerke Schönau (EWS) agierten und nur noch Ökostrom lieferten. "Bau ein Blockheizkraftwerk", rieten sie ihm. Er baute gleich zwei.

STROM VON REBELLEN

Nach Tschernobyl, 1986, bittet die Schönauer Bürgerinitiative "Eltern für atomfreie Zukunft" (Efaz) die Kraftübertragungswerke Rheinfelden (KWR) um Stromtarife, die Stromsparen belohnen. Die KWR wittert "Geschäftsschädigung". Mit zwei Bürgerentscheiden, 1991 und 1996, erzwingt die Efaz die Übergabe des von der KWR betriebenen Schönauer Stromnetzes an die von ihnen gegründeten Elektrizitätswerke Schönau (EWS). Eine bundesweite Spendenkampagne hilft bei der Finanzierung. Als der Strommarkt 1998 liberalisiert wird, kündigen die EWS die Stromlieferungen der KWR. Fortan vertreiben sie Ökostrom aus erneuerbaren Energien und hocheffizienter Kraft-Wärme-Kopplung (KWK). Die Stromerzeuger dürfen nicht mit der Atomindustrie verflochten sein. Seit August 1999 bietet die EWS Vertriebs GmbH ihren "Rebellenstrom" bundesweit an. Die Kundenzahl steigt von 1.700 auf knapp 50.000 im Juni 2007. Die EWS Netze GmbH betreibt das Stromnetz in Schönau, in einem kleinen Wohnviertel im benachbarten Wembach sowie in einem Neubaugebiet im Bad Bellinger Ortsteil Bamlach. In den kommenden Jahren wird in vielen Gemeinden der Betrieb der Stromnetze neu vergeben. Die EWS will sich in einigen bewerben. In diesem Jahr wurden die Elektrizitätswerke Schönau mit dem Deutschen Gründerpreis ausgezeichnet. SIM

Walter Karle wischt sich den Schweiß von der Stirn. Im Heizungsraum ist es heiß, stickig und eigentlich unspektakulär. Zwei dunkelgrüne Würfel, groß wie eine Waschmaschine, stehen darin. Am Steuergerät an der Seite leuchtet ein Lämpchen rot: eine kleine Störung. Der Techniker der EWS, sagt Karle, wird automatisch informiert.

Eine Amortisationszeit von acht Jahren haben sie damals über den Daumen errechnet. Tatsächlich brauchte es nur ganze vier. Duschen, Küche, Schwimmbad, im Winter die Heizung - Karles Mini-Gas-Kraftwerke kommen auf je 5.000 Betriebsstunden im Jahr. Die Wärme, die er nutzt, ist eigentlich das Abfallprodukt. Den Strom verkauft er an die EWS. "Das läuft", sagt Karle. Er meint es nicht nur im technischen Sinn. Er hat nichts gegen das Geld.

Er hätte die Anlagen auch angeschafft, wenn es sich nicht so schnell gerechnet hätte. Durststrecken gehören zum Geschäft, weiß er. Vor ein paar Jahren haben ihn seine Kollegen ausgelacht, weil er seine Küche auf heimische Bio-Produkte umstellte. Zwei Euro teurer wurde sein Essen deswegen. Karle erinnert sich noch gut, wie die Gäste vor der Tür die Preise verglichen - und bei der Konkurrenz speisten. Vier Gasthöfe gab es damals auf Schönaus Flaniermeile. "Die einzigen, die noch hier sind, sind wir." Das Hotel Vier Löwen brummt.

Ursula und Michael Sladek vom Elektrizitätswerk Schönau - und der Gründerpreis

Ursula Sladek, gelernte Grundschullehrerin und hauptberuflich Geschäftsführerin der EWS, könnte Ähnliches berichten. Die einstige Bürgerinitiative, die vor genau zehn Jahren, am 1. Juli 1997, das Schönauer Stromnetz übernahm, ist heute zweitgrößter Ökostromanbieter der Republik: Die EWS beliefern knapp 50.000 Haushalts- und Gewerbekunden, allein im Juni kamen rund 2.000 dazu. Doch statt Umsatzcharts hat Sladek ein großes Foto im Büro hängen. Es zeigt den zerstörten Kontrollraum des AKW Tschernobyl.

Die Schönauer Stromrebellen sind Idealisten, ohne Zweifel. In ihren Leitlinien stehen nicht Profit, sondern ökologische Ziele an erster Stelle. Dass Geld aber ein Anreiz sein kann, ökologisch zu handeln, wissen sie wohl. Deswegen zahlen die EWS ihren KundInnen, die selbst Ökostrom erzeugen, bisweilen noch einen Obolus auf die gesetzliche Einspeisevergütung obendrauf - damit das Finanzamt das Öko-Kraftwerk nicht als "Hobby" einstuft. Deswegen nehmen die EWS im eigenen Netz Strom aus Blockheizkraftwerken zu wirtschaftlichen Preisen ab und organisieren noch einen günstigen Sammel-Gaseinkauf für die Betreiber dazu. Und deswegen bekommen Ökostromerzeuger, die ins EWS-Netz Strom einspeisen, den dafür nötigen Zähler auch umsonst. "Politische Zielsetzungen mit marktwirtschaftlichen Instrumenten unterstreichen", nennt Sladek das. Knapp 1.000 Öko-Kraftwerke sind auf diese Weise in den letzten zehn Jahren bundesweit ans Netz gegangen. Fast ein Viertel des Schönauer Strombedarfs wird in Schönau selbst erzeugt, zwei Wasserkraft- und 14 Blockheizkraftwerke zählt der Ort, auf jeden der 2.500 Einwohner kommt rund ein Quadratmeter Solarzellen. Damit kann kein anderer deutscher Stromversorger in seinem Versorgungsgebiet aufwarten.

Und noch einen weiteren Rekord hält das Städtchen: Nirgendwo sonst gibt es prozentual mehr Ökostromkunden als hier. Denn zusammen mit den Kabeln, Schaltkästen und Umspannstationen mussten die Kraftübertragungswerke Rheinfelden (KWR) den EWS vor zehn Jahren auch die Schönauer StromkundInnen abtreten. Die erweisen sich als treu - auch nachdem ihnen der Gesetzgeber die Wahl des Stromanbieters freistellte. Ganze 17 haben der EWS den Rücken gekehrt, 17 von 1.700. Neue Kohlekraftwerke und längere AKW-Laufzeiten sind in Schönau kein Thema. Selbst Industriebetriebe, die zunächst gegen die Netzübernahme gewettert hatten, sind heute Fans der EWS: Der Ökostrom fließt zuverlässig. Und er ist weiterhin billiger als der Strom des regionalen Konkurrenten.

Ursula Sladek aber hegt schon größere Pläne. In den kommenden Jahren laufen in vielen Gemeinden erneut die Konzessionsverträge für den Betrieb der Stromnetze aus. Die großen Energieversorger stehen bereits auf der Matte und werben um vorzeitige Vertragsverlängerung - wie 1994 die KWR in Schönau. Die Stromrebellen wollen ihnen erneut in die Quere kommen. "Wir haben großes Interesse, weitere Netze zu übernehmen", sagt Sladek, "allein oder in Kooperation mit Kommunen oder Bürgern". Denn Ökostrom vertreiben ist das Eine. Das Andere aber - und da darf man nach Sladeks Überzeugung die Infrastruktur nicht außer Acht lassen - ist "die Systemfrage": Welche Struktur hat die Energieversorgung? Wer hat die Macht? Wer kassiert das Geld?

Der Mammon: Er soll nicht in die falschen Hände fließen. Kein Strom aus Ökokraftwerken, die über drei Ecken doch wieder einem Atomkonzern gehören, lautet die Maßgabe der EWS beim Stromeinkauf. Kein Geld an Netzbetreiber, die mit Atomstromern verflochten sind, wäre die konsequente Fortsetzung.

Zugegeben: Sladek, die Ökostromhändlerin, denkt da nicht ganz uneigennützig. Formal sind Netz und Vertrieb zwar getrennt, Stromnetze sind heute nur noch ohne StromkundInnen zu bekommen. Real beziehen die allermeisten ihren Strom aber doch von dem Konzern, der auch das örtliche Netz betreibt. Sladek geht davon aus, in einem neuen Netzgebiet das Gros der KundInnen gewinnen zu können. Die Konkurrenz offenbar auch: Kampflos will sie die Netze jedenfalls nicht aufgeben.

Man könnte das Ansinnen Sladeks und ihrer MitstreiterInnen auch politisch ausdrücken: Netze den BürgerInnen, nicht den Konzernen. Weil die Schönauer eine Energiewende nur mit dezentralen und nicht mit zentralistischen Strukturen für möglich halten. Und weil die BürgerInnen und Gemeinden dann wieder Einflussmöglichkeiten auf die Energiepolitik hätten. An der Tür zu Sladeks Büro reckt die rote Anti-Atom-Sonne ihre Faust nach oben. "Fight the Power", steht darüber.

"Wer das Netz hat, der kann sagen, was da geht", drückt es Martin Halm aus, der als Geschäftsführer den Netzbetrieb der EWS verantwortet. Erst mit dem Netz, ist er überzeugt, könne man "optimale Rahmenbedingungen für die Energiewende schaffen": aktive Unterstützung beim Bau und Betrieb von Solar-, Wasser-, Wind-, Blockheizkraftwerken und bei Energiesparmaßnahmen. Kostendeckende Vergütung für Strom aus hocheffizienter Kraft-Wärme-Kopplung. Intelligente Steuerungstechniken, die Verbrauchsspitzen kappen und Kraftwerke überflüssig machen. Nicht zu vergessen nachhaltige Investitionen in das Stromnetz selbst, zugunsten der Versorgungssicherheit. Finanzieller Spielraum für all dies sei durchaus vorhanden, sagt Halm - und verweist auf die EWS. Deren Netzsparte schreibt schwarze Zahlen, sogar trotz teurer Erdverkabelung. Wie das? "Wir müssen keine großen Gewinne machen", sagt Halm. Geld ist eben doch nicht alles.

Die allermeisten Gäste, berichtet Walter Karle, sind interessiert bis begeistert, erfahren sie von seinem Kraftwerk. Manchen ist es egal, Hauptsache, die Duschen sind warm. Ein paar wenigen jedoch geht sein Engagement gegen den Strich. "Quatsch" sei das, was er da mache, finden sie, und Diskussionen mit ihnen verlaufen nach Karles Erfahrung meistens fruchtlos. Der Gastwirt wischt mit der Hand durch die Luft, er muss nicht jeden überzeugen.

Einmal aber konnte er es nicht mehr hören. Da ist er zum Gegenangriff übergegangen und hat es ihnen ins Gesicht gesagt, einfach so. "Sie schaffen bei der Atomindustrie", hat er gesagt. Es war nur so ein Gefühl. Karles Erzählfluss stockt, er hat das Nicken seiner Gäste noch vor Augen. "Brutal", entfährt es ihm.

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