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Ökonomin über Spaniens Wirtschaft"Es gibt keine Atempause"

"Völlig pervertiert" findet die spanische Ökonomin Aurèlia Mañé Estrada den wirtschaftspolitischen Diskurs der Politik. Den Spekulanten sei egal, wer regiert.

Hoffen auf Erholung: Anhängerin von Rajoy in Madrid. Bild: dapd
Reiner Wandler
Interview von Reiner Wandler

taz: Frau Mañé Estrada, obwohl die Proteste gegen die Kürzungen stärker werden, hat die konservative Partido Popular (PP) mit absoluter Mehrheit gewonnen. Die PP steht für eine noch härtere Sozial- und Wirtschaftspolitik. Wie erklären Sie das?

Aurèlia Mañé Estrada: Die gleiche Frage habe ich mir heute Morgen auch gestellt. Wer das Wahlergebnis genauer anschaut, der sieht, dass die Konservativen die Wahlen gewonnen haben, obwohl sie kaum mehr Stimmen bekommen haben als bei anderen Wahlen. Die Wähler sind vor allem den Sozialisten davongelaufen, weil sie über die Krisenpolitik verärgert waren.

In Sachen Kürzungen wird sich nichts ändern. Die PP wird diese Politik eher noch verschärfen. Zumindest ist das in den Regionen so, wo sie bereits regiert.

Der wirtschaftspolitische Diskurs der großen Parteien hat sich in den letzten Jahren völlig pervertiert. "Wir können uns das einfach nicht leisten", lautet die Begründung für die Kürzungen. Die Wähler glauben das. Dabei ist dies völlig falsch. Das Bruttoinlandsprodukt hat sich in den letzten 20 Jahren verfünffacht, bei einem Bevölkerungswachstum von nur 5 Prozent. Statt: "Wir können uns das nicht leisten", muss es heißen: "Wir wollen nicht teilen." Das eigentliche Problem ist die Steuerpolitik. In den letzten Jahren haben die Regierungen immer weniger Steuern erhoben. Nicht die Ausgaben sind zu hoch, die Einnahmen sind zu niedrig.

Wahlsieger Rajoy hofft, dass ihm die Märkte "mehr als eine halbe Stunde Atempause" zugestehen.

Viele Wähler hoffen das auch. Sie glauben, dass die Finanzmärkte mit einer rechten Regierung vorsichtiger umgehen werden, und haben deshalb Rajoy gewählt. Doch die neue Regierung wird keine Atempause eingeräumt bekommen. Das Geld kennt keine parteipolitischen Farben. Wenn die Märkte sich Gewinn versprechen, spekulieren sie weiter. Die Risikoaufschläge bei den Staatsanleihen sind ein gutes Geschäft. Sobald die Märkte eine Regierung unter Druck setzen können, um die Rentabilität der Anleihen zu steigern, tun sie das, egal ob die Regierung von der Linken oder der Rechten gestellt wird. Was wir in Europa erleben, sind waschechte Staatsstreiche der Märkte. Die Politik hat nichts mehr zu sagen.

Bild: Archiv
Im Interview: Aurèlia Mañé Estrada

45, ist Professorin für Ökonomie in Barcelona und beschäftigt sich mit den wirtschaftspolitischen Beziehungen im Mittelmeerraum.

Rajoy hat die Wahlen gewonnen, ohne auch nur ein Wort über sein künftiges Regierungsprogramm zu verlieren. Was kommt auf Spanien zu?

Weitere Kürzungen und Rezession.

Spanien spart sich also tot?

Ja. Gestern beschäftigte sich der englische Guardian mit dem Thema. Der Autor meint, wir könnten die paradoxe Situation erleben, dass die Situation den Sozialisten Zapatero zu einer neoliberalen Politik gezwungen hat, während der konservative Rajoy eine neokeynesianische Richtung einschlagen muss.

Glauben Sie wirklich an einen Wandel vom Sparen weg und hin zu öffentlichen Investitionen, um die Wirtschaft anzukurbeln?

Ich kann mir das nicht vorstellen. Aber als einfache Bürgerin hoffe ich natürlich, dass dies eintritt.

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4 Kommentare

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  • F
    Florentine

    @Micha:Sie haben recht. Genau das versuchen die Entscheider in der Politik und deren Helfershelfer zu verschleiern.

  • K
    klaus

    Die bislang beste Analyse de Wahl und der ökonomischen Situation in Spanien, die ich überhaupt in der Presse finden konnte. Meinen Respekt, Frau Estrada!

  • W
    Weinberg

    Die SpanierInnen hätten eigentlich wissen sollen, dass es den Ackermännern ganz egal ist, ob die Regierung von den (jetzt abgewählten) „Bambi“-Sozialisten oder den Neofaschisten der PP gestellt wird.

     

    Eines ist sicher: Den SpanierInnen (wie immer natürlich mit Ausnahme der Oberschicht) wird jetzt vollständig und zudem äußerst schmerzhaft das restliche Fell über die Ohren gezogen.

     

    Mich erinnert das Geschehen in Spanien an die Worte von Bertold Brecht „Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihre Schlächter (von „PPSOE“) selber“.

  • M
    Micha

    Zitat: "Die Politik hat nichts mehr zu sagen."

     

    Alles was wir im Rahmen der Euro-Krise heute sehen, sind folgen von politischen Entscheidungen. Die Politik in Spanien hat eine Immobilienblase zugelassen und das Wachstum vor 5 - 10 Jahren nicht begrenzt. Jeder Entscheider kannte die Gefahren dieser Entwicklung, man traute sich aber trotzdem nicht regulierend einzugreifen. Insofern ist alles, was jetzt passiert Folge des Primats der Politik.