Expertin zu CO₂-Handel: „Ich kenne keine erfolgreichen Beispiele“
Der Sinn vom Handel mit CO₂-Zertifikaten ist äußerst fragwürdig, sagt Ökonomin Claudia Horn. Helfen würde eine Umverteilung von Land.
taz: Frau Horn, marktbasierte Projekte wie Kohlenstoffkredite werden als Antwort auf die Klimakrise angepriesen. Viele dieser Projekte versprechen, Wälder zu schützen und gleichzeitig arme Gemeinden finanziell zu unterstützen. Klingt doch nach einer guten Idee, oder?
Claudia Horn: Solche Ansätze sind nicht neu: Sie stammen aus den 1980er Jahren und gehen auf Weltbank-Manager und Finanzakteure zurück, nicht auf den Globalen Süden. Ihr Fortbestehen hat viel mit den Interessen dieser Institutionen zu tun. Fraglich ist, wie zuverlässig solche Projekte CO₂-Einsparungen belegen können. Zwar speichern Wälder Kohlenstoff, doch viele Initiativen behaupten lediglich, ihre Intervention verhindere eine zukünftige Abholzung. Das sind hypothetische Szenarios, die kaum belegbar sind.
Jahrgang 1989, ist Dozentin für politische Ökonomie am King’s College London. Von 2018 bis 2023 lebte sie in Belém und forschte als Gastwissenschaftlerin an der Bundesuniversität von Pará. Kürzlich ist ihr Buch „Klimahilfe mit Nebenwirkungen. Kooperation und Konflikt im Namen des Amazonas-Schutzes“ im oekom-Verlag erschienen
taz: Können Sie das genauer erklären?
Claudia Horn: 2023 zeigte eine Recherche der britischen Tageszeitung Guardian, dass Verra – die weltweit größte Zertifizierungsstelle – systematisch mit überhöhten Basiswerten gearbeitet hat. Nur etwa sechs Prozent der ausgestellten Zertifikate führten tatsächlich zu einer messbaren Reduzierung der Entwaldung. Das Problem ist also strukturell, nicht punktuell. Die Legitimität des gesamten Systems steht auf unsicherem Fundament.
taz: Welche Auswirkungen haben CO₂-Projekte für die Menschen in den entsprechenden Regionen?
Claudia Horn: Viele Projekte werden auf dem Land traditioneller und indigener Gemeinschaften umgesetzt. Ihre Armut wird dabei häufig ausgenutzt: Mit dem Versprechen von Einnahmen oder Landtiteln werden Gemeinden zum Unterschreiben bewegt. Oft für Verträge, in denen sie ihre Nutzungsrechte abtreten. Gleichzeitig bleibt völlig intransparent, wie viel die Unternehmen tatsächlich verdienen und welcher Anteil davon überhaupt bei den Gemeinden ankommt.
taz: Einige Firmen werben damit, alles anders machen zu wollen – sozial gerechter, transparenter, nachhaltiger. Kann das funktionieren?
Claudia Horn: Ich kenne keine erfolgreichen Beispiele. Das ganze System basiert ja darauf, dass man Geld mit einem hypothetischen Szenario verdient. Vor diesem Hintergrund erscheint es wenig plausibel, dass wirklich robuste Erfolgsnachweise existieren.
taz: Viele Käufer von Kohlenstoffkrediten sind Unternehmen aus dem Ausland. Ist das nicht grundsätzlich eine gute Möglichkeit, verursachte Umweltschäden wiedergutzumachen?
Claudia Horn: Solche Projekte sind eher Verzögerungstaktiken, die es diesen Unternehmen ermöglichen, ihr Geschäftsmodell fortzuführen. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet große Emittenten wie Delta und Shell den Emissionshandel vorantreiben. Von „Wiedergutmachung“ kann angesichts einer sich abzeichnenden Erderwärmung von rund 3 Grad keine Rede sein. Statt Lösungen, die letztlich auf dem Rücken von Gemeinschaften im Globalen Süden ausgetragen werden, brauchen wir echte Maßnahmen zur Begrenzung der Erhitzung.
taz: Wie könnten die aussehen?
Claudia Horn: Es gibt wirksame und vergleichsweise einfache Maßnahmen gegen Entwaldung. Zentral ist die Demarkierung indigener Gebiete: Rund 600 sind in Brasilien bereits ausgewiesen, 162 weitere könnten sofort ausgewiesen werden. Ebenso notwendig ist eine Landreform. In Brasilien besitzt ein Prozent der Bevölkerung fast die Hälfte des Landes, was die Ausbreitung von Monokulturen und Viehzucht, Haupttreiber der Entwaldung, begünstigt. Wirksamer Schutz setzt an den Ursachen der Entwaldung an – etwas, das marktbasierte Projekte grundsätzlich nicht leisten.
taz: Kurz vor der COP hat die EU beschlossen, dass Mitgliedstaaten künftig auch internationale Kohlenstoffzertifikate anrechnen dürfen, um ihre Klimaziele zu erreichen. Wie bewerten Sie diesen Schritt?
Claudia Horn: Das ist ein deutlicher Rückschritt und zeigt klar, welche Kräfte die Klimapolitik prägen. Die neue EU-Regelung enthält auch eine Klausel, die es erlaubt, die 2040-Ziele bei wirtschaftlichen Interessen abzuschwächen. Die Kommunikation ist extrem widersprüchlich: Während die EU-Kommission die COP30 feiert, drängt Ursula von der Leyen auf den Abschluss des EU-Mercosur-Abkommens, das nachweislich mehr Entwaldung im Amazonas befeuern würde. Im Namen der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit wird der Klimaschutz zurückgestellt.
taz: Auf der COP wird derzeit über das von Brasilien vorgeschlagene TFFF-Modell diskutiert, ebenfalls ein marktbasiertes Instrument. Was halten Sie davon?
Claudia Horn: Anders als Kohlenstoffkredite vergibt der TFFF keine Zertifikate, sondern setzt auf ein groß angelegtes Finanzierungsmodell: Staaten erhalten jährlich Geld für Waldschutz, bei höherer Entwaldung sinken die Zahlungen. Der Fonds soll durch Kapitalmarkterträge finanziert werden. Die Mittel wären nicht projektgebunden, sondern frei einsetzbar. Trotzdem ist der Mechanismus problematisch.
Er adressiert nicht die Haupttreiber der Entwaldung, wie Agrarindustrie oder Landkonflikte. Unklar bleibt auch, wie finanzielle Anreize wirken sollen, wenn eine Regierung Entwaldung politisch fördert, wie es bei Bolsonaro der Fall war. Ohne politischen Willen greifen auch Boni oder Sanktionen kaum. Hinzu kommen hohe Risiken: Bei geringen Renditen werden zunächst Fondsmanager, Berater und Investoren bedient. Ob dann überhaupt Mittel bei lokalen Gemeinschaften ankommen, ist fraglich.
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