Ökonomin Sonja Peterson über den Atomausstieg: "Seltsame Szenarien verglichen"
Aus den Szenarien für das Energiekonzept der Bundesregierung lässt sich keine Begründung für längere AKW-Laufzeiten herauslesen, sagt die Ökonomin Sonja Peterson vom Kieler Institut für Weltwirtschaft.
Frau Peterson, taugt das viel diskutierte Gutachten der schwarz-gelben Bundesregierung zur Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke für ein Energiekonzept?
Sonja Peterson: Es taugt auf jeden Fall nicht als Grundlage für eine Entscheidung über eine Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke. Für ein Energiekonzept liefert es gewisse Aussagen, die man verwenden kann. Aber eigentlich wurde es ja angefertigt, um die Frage nach den Laufzeiten zu beantworten. Die beantwortet es definitiv nicht.
Und warum nicht?
Weil in diesem Gutachten sehr seltsame Szenarien miteinander verglichen werden. Es gibt einmal ein Referenzszenario, in dem derzeitige Trends und die derzeitige Politik fortgeschrieben werden. Das ist ein übliches Vorgehen. Dem gegenübergestellt werden verschiedene Politikszenarien, die sich darin unterscheiden, wie lange die Kernkraftwerke laufen - das ist ebenfalls ein Standard-Vorgehen. Aber daneben unterscheiden sie sich auch noch in anderen Annahmen, insbesondere in Annahmen, die die Energieeffizienzsteigerung betreffen und die Stringenz der Klimapolitik. Das zusammengenommen macht es unmöglich zu sagen, woher die Unterschiede zwischen dem Referenzszenario und den anderen Szenarien stammen - ob aus der Laufzeitverlängerung oder aber aus den ganzen anderen Änderungen. Das ist ein in der Wissenschaft unübliches Vorgehen und sehr problematisch.
Das hört sich sehr unprofessionell an. Wie ist es dazu gekommen?
Das kann ich schwer sagen. Im Prinzip steht es den Auftraggebern frei, jedes Szenario zu bestellen, das sie sich wünschen. Auf mich wirkt es ein bisschen so, als wären die Annahmen so gesetzt worden, dass die Alternativ-Szenarien besser dastehen als das Referenzszenario mit dem Atomausstieg bis 2025.
hat über Mediation zur Lösung von Umweltkonflikten promoviert. Am Institut für Weltwirtschaft forscht sie über die internationale Klima- und Energiepolitik, Technologietransfer und Bioenergie.
Lässt das Gutachten Rückschlüsse darauf zu, ob Atomkraft als Brückentechnologie hin zu einer CO2-freien Energieerzeugung notwendig ist?
Das Gutachten lässt dazu keine Aussagen zu. Von vielen Seiten wird behauptet, die Atomkraft sei als Brückentechnologie notwendig, weil wir noch nicht genug erneuerbare Energien zur Verfügung hätten. Dem Gutachten zufolge ist die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien praktisch gleich - unabhängig davon, wie die Laufzeiten verändert werden.
Würden umgekehrt längere Laufzeiten die Entwicklung der erneuerbaren Energien behindern?
Das ist das, was die Gegner der Laufzeitverlängerung behaupten. Es fällt mir schwer zu sagen, ob das Gutachten das aussagt oder nicht, weil schwer nachvollziehbar ist, was da genau beim Ausbau der erneuerbaren Energien angenommen wird. Dem Gutachten nach würden die erneuerbaren Energien nicht leiden, wenn die Laufzeiten verlängert würden. Aber an welchen Annahmen das liegt, kann ich schwer beurteilen.
Sie deuteten an, für ein Energiekonzept könne das Gutachten durchaus Hinweise geben. Inwiefern?
Ein interessantes Ergebnis ist zu sehen, zu welchen Kosten jeweils das Ziel einer 80-prozentigen CO2-Reduktion bis 2050 erreicht wird. Laut Gutachten ist dieses Ziel unabhängig von einer Verlängerung der Laufzeiten erreichbar zu verträglichen gesamtwirtschaftlichen Kosten. Das ist eine Aussage, die für ein Energiekonzept hilfreich ist. Insofern ist es zu begrüßen, dass dieses 80-Prozent-Ziel sich als Ziel der Bundesregierung herauskristallisiert hat.
Beeinflusst die Laufzeitverlängerung die Kosten?
Wenn man diesem Gutachten traut, dann fast überhaupt nicht. Es sind kleine Änderungen zu sehen. Die bewegen sich beim Bruttoinlandsprodukt beispielsweise in 2040 im Bereich von 0,17 Prozent, 0,14 Prozent - höher oder niedriger. Die Unterschiede zwischen den Laufzeitverlängerungsszenarien sind minimal, verglichen mit den Unterschieden zwischen dem Referenzszenario und den Szenarien, in denen die Energieeffizienz steigt und eine stringentere Klimapolitik betrieben wird. Man kann aus dem Gutachten auch eine Empfehlung für eine stringentere Klimapolitik herauslesen.
Das heißt, bei einem Atomausstieg müssten wir uns keine Sorgen darüber machen, dass die Stromversorgung nicht gewährleistet wäre und auch nicht darüber, das die Energiekosten exorbitant steigen würden?
Dieser Meinung bin ich unabhängig von diesem Gutachten. Aber aus dem Gutachten kann man auch das herauslesen.
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