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Aus taz FUTURZWEI

Ökonomin Sigrid Stagl im Interview Bisher wird nicht geliefert

Wie gehen Wachstum und Klimaschutz zusammen, Sigrid Stagl? Die Wiener Ökonomin im taz FUTURZWEI-Titelgespräch.

»Man hofft ständig, eine gute Form von Wachstum zu identifizieren«: Ökonomin Stagl vor dem Institute for Ecological Economics in Wien Foto: Andreas Jakwerth

taz FUTURZWEI: Liebe Frau Stagl, Sie sind die erste Doktorin der ökologischen Ökonomie gewesen. Gibt es sie denn heute in der gelebten Praxis, die ökologische Ökonomie?

Sigrid Stagl: Die ökologische Ökonomie zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Wirtschaft in die Gesellschaft eingebettet untersucht – und beides auf den biophysischen Grundlagen. Diese Herangehensweise, so meine Beobachtung, bekommt in verschiedensten Kreisen immer mehr Bedeutung.

Wo denn?

Die ökologische Ökonomie gibt es in internationalen Konferenzen, es gibt mehrere sehr erfolgreiche Journale. Was aber in zwanzig Jahren nicht gelungen ist: große Zentren aufzubauen, in Europa, in den USA, in Asien. Es handelt sich meist um einzelne, sehr engagierte Personen, die es manchmal schaffen, eine Gruppe um sich zu scharen und sich international zu vernetzen. Wenn Sie über die Wissenschaft hinaus fragen: Das Denken der ökologischen Ökonomie gewinnt in vielen anderen Organisationen an Bedeutung, sei es sustainability transition, sustainability economics, Sozioökonomie.

Unsere subtile Frage zielte darauf, dass die Ökonomie in der Praxis nach wie vor weit entfernt ist von einer ökologischen Ökonomie. Sehen Sie das anders?

Nein, da haben Sie Recht. Das Problembewusstsein für Klimaschutz und Biodiversität ist in den letzten paar Jahren in politischen Kreisen und auch bei Praktikern deutlich gestiegen. Von einer ökologischen Ökonomie im Sinne einer regenerativen, zukunftsfähigen Wirtschaft sind wir aber noch sehr weit entfernt. Leider!

Welche positiven Entwicklungen sehen Sie?

Zum Beispiel das Abkommen zum Schutz der Ozeane, das im März gelungen ist. Die Vereinten Nationen haben gerade den Internationalen Gerichtshof angerufen, um die rechtlichen Verpflichtungen der Staaten und den Schutz zukünftiger Generationen vor dem Klimawandel zu prüfen. Die EU hat gerade ihre Erneuerbare-Energien-Ambitionen erhöht. Die USA ist dabei, ein riesengroßes Investitionsprogramm für erneuerbare Energie zu implementieren, und Kanada und Großbritannien ziehen nach. China hat letztes Jahr so viel zusätzliche Photovoltaik-Kapazität auf Dächern installiert wie kein anderes Land. Sogar Australien hat ein Gesetz verabschiedet, um den größten Umweltschädigern die unternehmerische Grundlage zu erschweren. Das Problem ist: Das alles ist nicht koordiniert genug, nicht rasch genug und es basiert nicht in allen Fällen auf den besten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Mir reicht das nicht, was gerade passiert.

Am Ende brauchen wir eine nicht zerstörerische Wirtschaft. Das ist etwas, was wir seit der Industrialisierung nicht kennen. Wir leben auf Grundlage einer Wirtschaft, die mit billiger fossiler Energie läuft und dem ständigen Verbrauch von Ressourcen. Wie kommt man dahin?

Damit Märkte die Ergebnisse liefern, die für die Gesellschaft und für die Natur positiv sind, muss man sie systematisch in Richtung Klimaschutz und Biodiversitätsschutz und Kreislaufwirtschaft ausrichten. Es braucht Regeln, die nachhaltiges Handeln nicht nur erleichtern, sondern ermöglichen und erfordern – und zwar auf allen Ebenen, auf lokaler, regionaler, nationaler, internationaler Ebene. Auf europäischer Ebene halte ich, zum Beispiel, den Grenzausgleichsmechanismus für ein sehr hilfreiches Instrumentarium: Die, die schneller vorangehen wollen, in der Dekarbonisierung, in der Ausgestaltung einer klimafreundlichen Produktion, bekommen einen Vorteil. Das ist nötig in einer globalisierten Wirtschaft.

Wie sieht denn in einer nachhaltigen Welt der kapitalistische Unternehmer aus und wie handelt er?

Man muss unterscheiden zwischen Kapitalismus und Marktwirtschaft. Bis jetzt haben wir über die Marktwirtschaft gesprochen und dass die Regeln systematisch auf Klimaschutz, Biodiversität, Kreislaufwirtschaft auszurichten sind. Das ist eine notwendige Grundvoraussetzung. Die Pioniere, die Avantgarde in ihrer Branche, die sehr innovativ sind und etwas Positives bewegen wollen, können das nicht durchhalten, wenn die Regeln nicht angepasst werden. Deswegen fokussiere ich so stark auf die sozialen Institutionen, ohne Entscheidungsträgerinnen die Entscheidungsmacht entziehen zu wollen. Schwieriger ist die Frage, wie das im Kapitalismus funktionieren soll.

Jetzt wird's ernst.

Die Frage ist, wie Kapitalismus innerhalb von biophysischen Grenzen gut gelingen kann, denn unter fairen Bedingungen wird vermutlich Kapitalakkumulation deutlich erschwert – und das ist ja Kapitalismus. Deswegen bin ich skeptisch, inwiefern die hohen Kapitalgewinne in der Zukunft aufrechtzuerhalten sind, wenn die internationalen Spielregeln mehr auf Fairness ausgerichtet werden.

Revolution?

Ich glaube nicht, dass es eine Revolution braucht, aber eine Akzeptanz, dass Übergewinne, dass die starke Ausrichtung auf Kapitalakkumulation, die zu großen sozialen Ungleichheiten führt, nicht kompatibel ist mit einer fairen und regenerativen zukunftsfähigen Wirtschaft. Wenn die Regeln verändert werden, dann wird Kapitalismus weniger zu Kapitalakkumulation beitragen. Ob man dann eher zu einem solidarischen Wirtschaftsmodell übergeht oder ob man mit geringerer Kapitalakkumulation lebt, ist dann eine Frage des Geschmacks.

Wie definieren Sie zum einfachen Merken den Unterschied zwischen Marktwirtschaft und Kapitalismus?

SIGRID STAGL

Die Frau:

Professorin an der Wirtschaftsuniversität Wien, Gründerin und Leiterin des Institute for Ecological Economics (EcolEcon), Ökonomin und weltweit erste Doktorin der ökologischen Ökonomie.

Jahrgang 1968, geboren in Wien, lebt in Wien.

Das Standardwerk (mit Michael Common): Ecological Economics. Cambridge 2015.

Märkte haben wir seit tausenden von Jahren in der Menschheitsgeschichte. Kapitalismus ist ein jüngeres Phänomen. Märkte können wir durch Veränderungen der Spielregeln so ausgestalten, dass sie positiv zur Gesellschaft und zum Naturerhalt beitragen. Für eine zukunftsfähige Wirtschaft müssen wir die Ausbeutung von Menschen und Natur loswerden, weil es sonst nicht stabil sein kann. Innerhalb der biophysischen Grenzen zu bleiben, ist nötig, weshalb die Ausbeutung von Natur nicht mehr möglich ist.

Ist das eine linksideologische oder eine strikt wissenschaftliche Sicht von Ihnen?

Ich würde für mich in Anspruch nehmen, dass das keine Ideologie beinhaltet, jenseits der Normen, die wir immer haben als Wissenschaftler. Meine Herangehensweise ist, dass mir soziale Gerechtigkeit und biophysische Grenzen sehr, sehr wichtig sind. Das lege ich auf den Tisch. Aber mir wäre es lieber, wenn es innerhalb des bestehenden Systems gelingen könnte, wirtschaftlich erfolgreich zu sein, soziale Ungleichheit in einem verträglichen Ausmaß zu haben und nicht immer mehr – und innerhalb von biophysischen Grenzen zu bleiben.

Für uns Laien: Was unterscheidet diesen Kapitalismus mit extremer Form von Kapitalakkumulation von der sozialen Marktwirtschaft der Nachkriegsgesellschaft?

Die Nachkriegsgesellschaft wird ja als Golden Age of Capitalism bezeichnet. Die Wohlfahrtstaaten wurden in Europa etabliert, und Umweltprobleme gab es zwar schon, aber nicht in der heutigen Dimension. Das gute Leben für alle wurde erhöht, zwar nicht für jede einzelne Person, aber im Aggregat. Das hat sich durch Zuspitzung der Kapitalakkumulation in den 70ern und dann vor allem in den 80er-Jahren verschlechtert, zuungunsten der sozialen Gleichheit und der Natur.

Welche Kollateralschäden bringt die Reduzierung von Kapitalakkumulation mit sich?

Darin sehe ich nicht notwendigerweise ein Problem, weil die Gewinnerwartungen in den letzten Jahrzehnten sehr oft auf Kosten von Menschen und Umwelt gegangen sind, und das können wir langfristig nicht aufrechterhalten.

Wie reguliert man diese Form der extremen Kapitalakkumulation: Mit Steuern?

Eine Kohlenstoffsteuer ist ein adäquates Instrument. Es ist aber kein Allheilmittel. Die Frage ist, in welchem Ausmaß man eine Transformation über Steuern gestalten will und in welchem Ausmaß über andere Regulierungen? In der ökologischen Ökonomie argumentieren wir dafür, Preise zu korrigieren, weil Preise in einer Marktwirtschaft ein wichtiges Signal sind, aber eben nicht das einzige Signal. Aber je mehr wir über Steuern gestalten, über Preisanpassungen, desto mehr wirken die Maßnahmen regressiv.

Das heißt?

Es braucht einen progressiven Ausgleich, damit nicht die Haushalte unmäßig stark betroffen sind, die einen höheren Anteil ihres verfügbaren Einkommens für Energie verbrauchen. Es ist ja auch sehr naheliegend, mit Regulierungen für sehr energieineffiziente Haushaltsgüter zu arbeiten. Es braucht also eine kluge Kombination von Ordnungspolitik und Steuern. Man kann der Bevölkerung nicht Nachhaltigkeit antun, aber man kann sie befähigen, nachhaltig zu handeln.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Bei der Mobilität ist es offensichtlich, dass der öffentliche Verkehr ausgebaut werden muss. Die Entscheidungsträger fürchten sich aber vor den enormen Ausgaben, die dann auf die öffentlichen Kassen zukommen. Deswegen muss man angepasste, differenzierte Maßnahmen für die jeweilige Situation finden, und zwar zusammen mit den Stakeholdern des Mobilitätssektors. Das sind die Leute, die die Busse bestellen, die Entscheidungen in der Gemeinde treffen und so weiter. Man muss sich die jeweilige konkrete Situation anschauen: Was brauchen die Menschen, die in einer Gegend mobil sein müssen, ganz konkret, um nachhaltig handeln zu können?

Es gibt Wissenschaftler, die sagen, Zukunft geht nur mit Schrumpfen der Wirtschaft. Andere sagen, es geht nicht ohne Wachstum, weil Wachstum neben anderem auch die Grundbedingung dafür ist, dass der Sozialstaat im Sozialdemokratismus Westeuropas bezahlt werden kann. Stimmt das?

»DIE FRAGE IST, WIE KAPITALISMUS INNERHALB VON BIOPHYSISCHEN GRENZEN GUT GELINGEN KANN, DENN UNTER FAIREN BEDINGUNGEN WIRD VERMUTLICH KAPITALAKKUMULATION DEUTLICH ERSCHWERT.«

Sigrid Stagl

Der Sozialstaat funktioniert besser, wenn wir Wirtschaftswachstum haben. Das können wir anerkennen. Auch der Arbeitsmarkt funktioniert besser, wenn wir Wirtschaftswachstum haben. Das heißt aber nicht, dass es keine Alternativen gäbe. Es ist erschreckend, wie wenig akademische Analyse dazu gemacht wird, wie ein Sozialsystem in Europa funktionieren kann, wenn wir kein Wirtschaftswachstum haben, weil wir es uns global nicht mehr leisten können, aufgrund der damit verbundenen Emissionen und des Ressourcenverbrauchs. Wie könnte ein Arbeitsmarkt funktionieren, wenn wir kein Wirtschaftswachstum haben, aber Produktivitätsgewinne? Würden diese Produktivitätsgewinne dann eher in Arbeitszeitverkürzung ausgezahlt werden statt in Lohnzugewinnen?

Das sind Fragen, die Sie stellen, Antworten haben Sie nicht?

Meines Erachtens gibt es dazu viel zu wenig Forschung, deshalb ist es verständlich, dass Entscheidungsträger:innen sich ganz schwertun, Maßnahmen zu implementieren, die nicht dem Wirtschaftswachstum zuträglich sind. Aber genau diesen Paradigmenwechsel brauchen wir. In unseren Analysen betrachten wir das Wirtschaftswachstum als Mittel zum Zweck.

Zu welchem Zweck?

In der Ökonomie der letzten vierzig Jahre ist man davon ausgegangen, ohne das explizit zu benennen: Solange es Wirtschaftswachstum gibt, ist alles gut. In der Zeit davor hat man noch von einem magischen Vieleck der Wirtschaftspolitik gesprochen, von Zielen, die sich ergänzen, und Zielen, die sich ausschließen. Die Kunst des Wirtschaftspolitikers bestand darin, die verschiedenen Ziele unter einen Hut zu bringen.

Das war dann obsolet?

Ja, man dachte, mit Wirtschaftswachstum sind auch die anderen gesellschaftlichen Ziele erfüllbar. Das ist nicht einfach passiert, das wurde betrieben. Diese unmäßige Fokussierung auf das Bruttoinlandsprodukt war intellektuell schädlich und für die Gesellschaft auch, weil nicht alle gesellschaftlichen Ziele mit dem BIP positiv korrelieren.

Was ist mit der Finanzierung des Sozialstaats?

Eben, manchmal korrelieren sie schon, die Möglichkeit, Sozialausgaben zu tätigen, ist besser bei höherem Bruttoinlandsprodukt. Aber dann gibt es erhebliche negative Faktoren, wie zum Beispiel eben die CO2-Emissionen, die noch immer ganz stark an das BIP gekoppelt sind, leider. Ich hatte gehofft, dass wir da weiter wären. Solange nicht feststeht, dass es eine eindeutige Korrelation zwischen dem BIP und bedeutenden gesellschaftlichen Zielen gibt, ist es meines Erachtens eine Fehlkonzeption, ganz auf Wirtschaftswachstum zu setzen.

Was schlagen Sie stattdessen vor?

BIP ist kein Ziel. Ziele können beispielsweise sein, das Wohlbefinden der Bevölkerung zu steigern oder die Lebenserwartung der Bevölkerung oder ein ganz spannender Punkt: die gesunden Lebensjahre in der Bevölkerung zu steigern. In Österreich ist die Lebenserwartung hoch, aber die Erwartung für gesunde Lebensjahre ist sehr schlecht, fünf, sechs Jahre geringer als in Deutschland.

Gesunde Lebensjahre steigern: Das wär doch auch was für unsere zwei Rentner-Parteien Union und SPD!

Jedenfalls dürfte es ein gesellschaftlich weitgehend unumstrittenes Ziel sein, die Zahl der gesunden Lebensjahre zu steigern, wie auch soziale Ungleichheit zu adressieren und innerhalb der biophysischen Grenzen zu bleiben.

Um innerhalb des biophysischen Gleichgewichts zu bleiben, trägt das BIP überhaupt nichts bei?

Es ist diesem Ziel abträglich. Wir haben ja gehofft – und da gibt's zwanzig Jahre lang Analysen der ökologischen Ökonom:innen –, dass wir weiter wachsen können und gleichzeitig den Umweltverbrauch senken, wenn wir grünere Präferenzen, ambitioniertere Klimagesetze und bessere Technologien haben. Die Empirie entspricht nicht der Hoffnung.

Wir haben in Europa, in diversen Ländern, seit vielen Jahren Wachstumssteigerungen und sinkende Emissionen, zumindest relative.

Das sind keine durchgängigen Phänomene. Es kommt drauf an, welche Indikatoren man wählt, welche Länder, welche Vergleichszeiträume.

Sie haben gesagt: Man muss die Marktwirtschaft auf Klimaschutz, auf Biodiversität und auf Kreislaufwirtschaft ausrichten. Nochmal die Gretchenfrage: Funktioniert diese grüne Wirtschaft nur ohne Wachstum oder nur mit?

Der Umbau, in dem wir in neue Technologien investieren, befördert wieder Wachstum. Man generiert damit auch wieder ein Problem.

Da sagt unser Vizekanzler, der Wirtschafts- und Klimaminister: Das ist gutes Wachstum! Warum lachen Sie jetzt?

Ob das jetzt nachhaltiges Wachstum oder grünes Wachstum oder smartes Wachstum genannt wird: Man hofft ständig, eine gute Version von Wachstum zu identifizieren. Ich kann dem Ansinnen sehr viel abgewinnen.

Oje.

Das Problem ist nur, dass bisher hinsichtlich der Auswirkungen nicht geliefert wird. Was wir geschafft haben, ist die relative Entkopplung, das heißt: In Deutschland und Österreich verbrauchen wir heute durch bessere Technologien und so weiter weniger Ressourcen als in den 1970er-Jahren. Ansonsten wären wir in einem noch größeren Schlamassel.

Aber?

Aber wenn wir die Emissionen um ein Prozent senken können und das Wirtschaftswachstum zwei Prozent beträgt, dann haben wir trotzdem Emissionssteigerung.

Wenn wir die Emissionen um zwei Prozent senken, aber das Wirtschaftswachstum nur um ein Prozent steigern, haben wir eine absolute Entkopplung, die Emissionen sinken bei Wachstum.

Aber nicht im ausreichenden Ausmaß, weil uns Wirtschaftswachstum jedes Mal die Hürde höher legt. Ich glaube nicht, dass wir in einer Situation sind, wo wir uns das leisten können. Wir müssen schauen, dass wir endlich über die Hürden hüpfen, die wir derzeit haben.

»Von einer regenerativen, zukunftsfähigen Wirtschaft sind wir noch weit entfernt«: Sigrid Stagl in Wien Foto: Andreas Jakwerth

Wenn man einige Grüne Politiker richtig versteht, dann werden wir jetzt die besten Elektroautos der Welt und andere innovative Produkte emissionsfrei produzieren. Damit werden wir dann den Weltmarkt aufmischen, und das wird die anderen Länder so inspirieren, dass sie selbst auch tolle Elektroautos und andere Produkte bauen, mit denen sie auch den Weltmarkt überschwemmen und am Ende sind alle wohlhabend und glücklich und emissionsfrei.

Der Elektromotor ist deutlich effizienter als der Verbrennungsmotor und kann mit grünem Strom betrieben werden. Das Problem ist, dass wir für die Umstellung auf Elektromotoren viel Strom brauchen, von dem wir nicht wissen, wo wir ihn herkriegen. Und wir haben so viel Embodied Carbon im Fahrzeug, dass uns das wieder wahnsinnig zurückwirft.

Woraus folgt?

Der Elektromotor ist nur ein Teil der Lösung. Wir müssen vor allem auch die sozialen Praktiken und die Infrastrukturen ändern, weg vom Besitz, hin zu geteilten Autos. Das ist ein Hebel von sieben, das heißt: Für die gleichen Mobilitätsdienste bräuchte man dann nur ein Siebtel der Fahrzeuge. Stellen wir uns vor, was das für den öffentlichen Raum in den Städten bedeutet, wenn da nur noch ein Siebtel der Fahrzeuge rumsteht. Dann kommt man langsam zu einem Paket eines anderen und besseren Lebens.

Corona, russischer Angriffskrieg und seine wirtschaftlichen und geopolitischen Folgen, sachter Versuch, eine Transformation ins Postfossile einzuleiten: Das alles soll zumindest von unserer Bundesregierung nach dem Prinzip gelöst werden: Geld drauf schütten. Das ist doch kein nachhaltiges Konzept, oder doch?

Die Änderung der Spielregeln, von denen ich spreche, passiert nicht im ausreichenden Ausmaß. Wenn man in einer Marktwirtschaft lebt und an Preissignale glaubt, dann sollte man die Preissignale auch mal wirken lassen. Im Falle des russischen Angriffskriegs haben die Energiemärkte ja funktioniert. Es gab eine Knappheit, die Preise sind gestiegen.

Und schon war Matthäi am letzten oder man tat zumindest so.

Ein Großteil der Probleme, die wir bezüglich Klimawandel haben, resultiert daraus, dass wir uns über Jahrzehnte auf billige fossile Energie verlassen haben. Die Anpassungsgeschwindigkeit, die jetzt erforderlich war, ist frustrierend schnell, aber die Tendenz geht in die richtige Richtung: Etwas Wertvolles wie Energie hat einen adäquaten Preis bekommen. Kurzfristiges Abfedern und Hilfe für soziale Notlagen und Härtefalle ist nötig, um gesellschaftliche Unruhen zu verhindern, aber das Ausmaß, in dem das passiert ist, ist meines Achtens viel zu hoch gewesen, da hat es an politischem Mut gefehlt.

Irgendjemand muss die Transformation bezahlen, und auch wenn die Linken sagen, die Reichen sollen das übernehmen, ist das richtig, aber eher unwahrscheinlich. Wie kann das gelingen?

Na ja, ein Umbau einer Gesellschaft ist natürlich eine teure Angelegenheit. Einerseits soll man schon die Preise korrigieren lassen, aber in einer Form, die die Teile der Bevölkerung nicht zu sehr stresst, die eh schon unter ökonomischem Druck sind. Auf der anderen Seite aber sollte man auch Maßnahmen ergreifen, die eben nicht über die Preise gehen. Das Tempolimit würde Klimagase, Verkehrstote und sonstige Verschmutzung reduzieren, da haben Mobilitätsforscher:innen klare Evidenz vorgelegt. Natürlich wird auch der Benzin- und Elektroverbrauch reduziert. Noch dazu ist es eine Maßnahme, die praktisch nix kostet. Wir müssen diese kostengünstigen Maßnahmen überall nutzen, wo es möglich ist, auch wenn das manchmal nicht mit einer Ideologie zusammenpasst, dass alles über Märkte geregelt werden muss.

Gibt es auch ein Theoriedefizit in Ihrer Wissenschaft, Frau Stagl, braucht es nicht einen theoretischen Überbau für das neue Wirtschaften? Sie haben mal von einer »Theorie der Endlichkeit« gesprochen.

Wir sprechen sehr oft in der Klimadebatte darüber, was nicht mehr möglich ist und nicht mehr wünschenswert ist. Das erhöht die Hürde, zu einem Mehrheitsprogramm zu werden, das von Massen gewollt wird. Dem müssen wir begegnen. Zum einen, indem wir das von Ihnen angesprochene Theoriedefizit angehen.

Passiert dann was?

Wir arbeiten an der Wirtschaftsuniversität Wien daran, eine sozialwissenschaftlich und naturwissenschaftlich informierte Ökonomie anzubieten, in der Umweltprobleme nicht nur eine Spezialisierung sind, sondern in der Umwelt überall mitgedacht wird; dito Sozialprobleme. Das heißt natürlich nicht, dass es dann ein Denkrahmen ist, der alles jederzeit erklärt. Aber es gibt dann einen Überbau, der biophysische Grenzen kennt, eine Ökonomie der Endlichkeit, eine Ökonomie der Versorgungssysteme, mit der man viel näher dran ist am Lebensalltag der Menschen und Bedürfnisbefriedigung für gutes Leben für alle ganz klar konzeptualisiert. Das ist ein Versuch, auf der Lehrebene junge Menschen zu befähigen und ihnen einen so kohärent wie möglichen Denkrahmen anzubieten. Grundsätzlich glaube ich, dass wir als Gesellschaft viel zu wenig über attraktive Zukunftsbilder sprechen.

Interview: PETER UNFRIED und HARALD WELZER

Dieser Beitrag ist im Juni 2023 in unserem Magazin taz FUTURZWEI N°25 erschienen.