Ökonom Schulmeister zu EU-Institutionen: "Verblüffend lernfähig"
Die Ergebnisse des Euro-Gipfels haben Stephan Schulmeister überrascht. Für ihn sind sie ein erster Sieg über die Finanzmärkte, die Eurozone werde zur Wirtschaftsregierung.
taz: Herr Schulmeister, viele Notenbanker und Experten kritisieren die Ergebnisse des Euro-Gipfels. Sie auch?
Stephan Schulmeister: Im Gegenteil. Ich bin von den Beschlüssen richtig angetan. In Brüssel wurden verblüffende Entscheidungen getroffen. Die Elite hat sich erstaunlich lernfähig gezeigt.
Was freut Sie am meisten?
Die Eurozone entwickelt sich jetzt in Richtung einer Wirtschaftsregierung. Es findet ein spannendes Spiel statt, das sich in den nächsten Monaten fortsetzen wird. Die Frage ist: Wer hat das Primat? Die Politik oder die Finanzmärkte?
Und die Politik hat gesiegt?
Zumindest hat sie die Freiheit der Finanzmärkte beschnitten, indem jetzt der Zins festgelegt wird.
63, ist einer der bekanntesten österreichischen Ökonomen und Kritiker des Neoliberalismus. Er forscht an dem Wirtschaftsforschungsinstitut, kurz: Wifo, in Wien.
Das müssen Sie erklären.
Das Signal aus Brüssel ist eindeutig: Wenn die Zinsen für spanische oder italienische Staatsanleihen auf den Finanzmärkten zu stark steigen, dann springt der EU-Rettungsschirm ein, indem er selbst die Staatsanleihen aufkauft oder billige Kredite gewährt. Dies ist die zugespitzte Ansage an die Finanzakrobaten: dass man verhindern wird, dass sie als Herde gegen ein Land spekulieren.
Aber wie soll das funktionieren? Der Rettungsschirm wurde für diese neuen Aufgaben nicht aufgestockt.
So gering ist das Kapital nicht, das zur Verfügung steht. Immerhin sind es 440 Milliarden Euro. Ich kann mir aber vorstellen, dass die Politiker die Garantiesumme ruckzuck erhöhen. Die Regierungen sind gereizt und sauer auf die Ratingagenturen. Aber wichtig ist: Aus dem Rettungsschirm ist eine strategische Waffe geworden. Bisher war er nur eine Notlösung und mit Schande behaftet. Jetzt wird er zu einem offensiven Instrument gegen die Spekulanten, das im psychologischen Spiel der Einschüchterung eingesetzt werden kann.
Zentrales Thema auf dem Euro-Gipfel war die Rettung Griechenlands. Inzwischen haben die Griechen nachgerechnet und sind enttäuscht: Ihr Schuldenberg von derzeit 350 Milliarden Euro wird nur um 26 Milliarden sinken. War der Schuldenschitt nicht groß genug?
Ich war noch nie ein Freund des Schuldenschnitts. Dann würden auch die Portugiesen irgendwann verlangen, dass ihnen Schulden erlassen werden. Andere würden ebenfalls folgen. Die Griechen könnten ihre Kredite bedienen, falls die Wirtschaft wieder wächst. Wichtig ist daher, dass die EU die Förderung der Realwirtschaft fortsetzt, wie sie es jetzt mit dem Marshall-Plan für Griechenland begonnen hat.
Die Profiteure stehen nach dem Euro-Gipfel jedenfalls fest. Es sind die Banken und Versicherungen. Sie müssen sich an den Kosten kaum beteiligen.
Die Beteiligung der Gläubiger ist tatsächlich nur fürs Schaufenster. Da wird nicht viel rauskommen, was ich aber ganz gut finde. Die Trader erwischt man doch sowieso nicht. Die Deutsche Bank hat kaum noch griechische Staatsanleihen, hat aber mit dem Handel der entsprechenden Derivate bestens verdient. Mit einer Gläubigerbeteiligung trifft man nur die Unglücksraben, die weniger Schlauen. Das sind Opferrituale für den Boulevard: Du musst auch deine Strafe kriegen.
Aber kritisieren Attac und der Steuerzahlerbund nicht zu Recht, dass jetzt die Steuerzahler die Rettungskosten ganz allein tragen müssen?
Dieser Schulterschluss von Attac und Steuerzahlerbund war mir schon immer verdächtig. Die Steuerzahler haben doch bisher nichts gezahlt. Stattdessen hat der deutsche Staat von den Griechen Zinsen in Höhe von 200 Millionen Euro kassiert. Auch in Zukunft ist eine Beteiligung der Steuerzahler klar ausgeschlossen - und zwar gerade durch die gemeinschaftliche Haftung der 17 Euroländer. Mit dieser Macht auf den Finanzmärkten spricht nichts dagegen, dass wir es wie Japan oder die USA machen: also permanentes "roll over". Fällige Staatsschulden werden einfach durch neue ersetzt.
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