■ Ökolumne: Arbeit für alle! Von Franz Alt
Trotz anderslautender Versprechungen vieler Spitzenpolitiker: Im herkömmlichen Sinne wird es Vollbeschäftigung nie mehr geben. Wenn wir Arbeit nicht anders zu verstehen lernen als bisher, dann ist Massenarbeitslosigkeit unser Schicksal. Schon heute haben wir etwa 7,5 Millionen offene oder verdeckte Arbeitslose.
Wie, was, wozu, wann, wie lange und womit arbeiten wir? Nicht die Arbeitsgesellschaft, die alte Industriegesellschaft ist am Ende. Die heutige Sinnkrise der Arbeit besteht darin, daß viele Menschen nicht arbeiten, um zu leben, sondern leben, um zu arbeiten.
Zeitsouveränität und nicht der dichtgedrängte Terminkalender ist künftig das Symbol für ein gelingendes Leben. Wir werden Geschmack finden am „Verzicht auf Arbeit“, damit eine neue Vollbeschäftigung einen tiefen Sinn bekommt. Etwa die Hälfte der deutschen Arbeitnehmer will heute flexiblere und variable Arbeitszeiten, gelegentlich ein Jahr zur Fortbildung oder zum Faulenzen. Die heutigen Arbeitskarrieren sind noch überwiegend „männlich“ geprägt: Schule, Berufsausbildung, 30 bis 40 Jahre derselbe Beruf, Rente. Eine flexiblere Arbeitswelt für das 21. Jahrhundert bedeutet eine „Feminisierung“ der Arbeitszeiten mit Erziehungs- und anderen Pausen.
Da die Erwerbsarbeit immer weniger Aufwand erfordert, wird eine neue Kultur der Eigenarbeit entstehen, bezahlt, teilbezahlt oder unbezahlt: im Handwerk, in der Pflege, in der Nachbarschaftshilfe, in Haus und Garten und Umwelt. Diese Arbeitskultur des direkten Umfeldes kann zur Wiedergeburt von sehr alten Werten und neuen Sinn-Empfindungen führen, zur „Wiederverzauberung der Welt“. Der „Verzicht“ auf die alten Arbeitszeiten führt nicht nur zu neuen sinnvollen Arbeiten, sondern zu neuen Freiheitschancen und zu einem anderen Konsumverhalten. Es kann sehr wohl sein, daß viele Menschen künftig weniger arbeiten, weniger verdienen, aber besser leben.
Die Flexibilisierung der Arbeitswelt, die Ökologisierung der Wirtschaft, ihre Entwicklung zu einer Kreislaufwirtschaft, die Schaffung regionaler statt globaler Wirtschaftsstrukturen, eine völlige Neubewertung, das heißt Aufwertung von Eigen-Arbeit, Haus- Arbeit, Familien-Arbeit sowie die Bezahlung der Arbeit mit Kindern, Kranken und Pflegebedürftigen und vor allem die Entwicklung von umweltschonenden Zukunftstechnologien schaffen eine Vollbeschäftigung, wie wir sie nie zuvor gekannt haben.
Für viele Menschen – Männer und Frauen – werden Halbtagsstellen die Norm sein. Ihnen bleibt mehr Zeit für Kinder, Familie, Sport, Eigenarbeit, Religion, Zeit für Körper, Seele und Geist. Auch in vielen Führungspositionen kommt die 30- und die 25-Stunden-Woche. Es muß ja nicht gleich die Halbstags-Bundeskanzlerin sein, die zusammen mit dem Halbtags-Bundeskanzler regiert.
Wir können eine neue Kultur der Zeit und der Arbeit schaffen. Jeder Mensch hat dann Zeit für Lohnarbeit, Zeit für soziale Arbeit, Zeit für Familien- und Kinderarbeit, Zeit für freiwillige Arbeit, Zeit für spirituelle Entwicklung und – freie Zeit. Das Zusammenspiel all dieser „Zeiten“ vermittelt dem Leben einen tiefen Sinn. Die erste Nachkriegsgeneration hat das Wirtschaftswunder geschaffen. Um den dritten Weltkrieg gegen unsere gesamten Lebensgrundlagen zu beenden, brauchen wir jetzt ein ökologisches Wirtschaftswunder.
Wie die 25-Stunden- Woche in 20 Jahren finanziert werden soll? Das Umwelt- und Prognose-Institut (UPI) hat für die nächste „Zeitsprung“-Sendung so gerechnet: Wenn wir die ökologische Steuerreform einführen und die Energie- und Rohstoffpreise 20 Jahre lang jährlich nur um 5 Prozent erhöhen, dann ergibt das am Ende pro Jahr 470 Milliarden Mark Steuereinnahmen. Damit können die heute noch zu hohen Lohnnebenkosten halbiert, viele neue Arbeitsplätze geschaffen und zusätzlich für 15 Millionen Menschen ein monatliches Bürgergeld von 1.000 Mark finanziert werden. Das wäre der Einstieg in eine soziale Grundsicherung für alle. Durch Steigerung der Arbeitsproduktivität kann bei kürzerer Arbeitszeit das heutige Lohnniveau gehalten werden. Weniger arbeiten bei ökologischem Wohlstand: Das ist die vielleicht humanste Vision für das 21. Jahrhundert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen