■ Ökolumne: Casino Erde Von Thomas Worm
Die Welt ist ein Dorf. Und das Dorf heißt Las Vegas. „Väterchen Staat“ jobbt inzwischen als Croupier in der modernen Chip-Ökonomie. Er streicht die Jetons der Verlierer ein in der Spielhölle der Global Financial Players. Neue Weltwirtschaft: Die schlanke Verwaltung ist unscheinbar, sie holt sich Steuern nur noch von jenen, die so dumm sind, sie auch zu zahlen.
Parallel dazu wächst die Spekuliersucht ins Grenzenlose. 1,5 Billionen Dollar werden weltweit auf den Devisenmärkten verschoben, und im Wertpapierroulette ist es noch mal soviel. Jeden Tag. „Deregulierung der internationalen Kapital- und Finanzmärkte“, heißt das Spielchen. Und alle machen heißhungrig mit. Der Elektrogigant Siemens zum Beispiel verdient mit Finanzgeschäften mehr als mit seiner Produktion.
Unterdessen bekommen Konzernbosse und Großverdiener vom Zählen ihrer Kontoauszüge wunde Finger. Noch nie schwoll das Vermögen des oberen Zehntels schneller. Und noch nie in der Ära Kohl lag die echte Steuerlast von Unternehmern und Selbständigen niedriger. Ihr Anteil an den gezahlten Steuern hat sich in Deutschland binnen eines Jahrzehnts halbiert. Was dem Fiskus fehlt, wird woanders weggenommen. Bevorzugt bei Arbeitssuchenden, Obdachlosen, Kranken. Und natürlich auch im Umweltressort.
Das immer freizügigere Schalten und Walten von Banken und Konzernen zerteilt die Gesellschaft, reißt Löcher in die Staatskassen. Mit der Globalisierung schrumpfen die Handlungsmöglichkeiten der Nationen. Grandios, wie sich führende Politiker der Demokratien sehenden Auges von Hoechst, Nestlé oder Microsoft abkochen lassen. So mußte auch die FAZ kürzlich wieder einmal feststellen, „wie gering der Spielraum des Staatslenkers unter den Bedingungen der Globalisierung der Wirtschaft geworden ist“. Die Deregulierer schaffen die politische Gestaltbarkeit ab.
Dafür fallen immer mehr Entscheidungen in den Glaspalästen der Multis von Atlanta bis Singapur. Ob Handelszölle, Abgabebefreiung oder Investitionszulagen – die Industrielobby hilft notfalls mit der „Standortkeule“ nach. Das gilt erst recht für die Ökologie. Bei Abwassergesetzen und Energiesteuern geben heute nicht unabhängige Parlamentarier den Ausschlag, sondern allseits beschworene Standortnachteile.
Noch existiert die Untersuchung nicht, die zeigt, wie Wechselkursschwankungen das Umweltmanagement von Daimler beeinflussen oder wie Bayer und BASF durch Auslagerungsdrohungen die Ökostandards niedrig halten. Daß nicht Artensterben und Treibhauseffekt die Umweltpolitik bestimmen, sondern der globale Renditepoker, schwant auch der Enquete-Kommission des Bundestages. Deshalb wird sie demnächst eine Studie zum Thema „Globalisierung und Ökologie“ in Auftrag geben.
Höchste Zeit. Denn der Mechanismus wirkt fatal, und andere Steuerungsinstrumente sind bereits angedacht. Beispiel Aktienspekulation. Der besinnungslose High-speed an der Börse hat die gewinnträchtigen Kursausschläge im Auge. Da werden Aktien in erster Linie aus Spekulationsgründen erworben, nicht wegen der dauerhaften Dividende. „Diese Eigendynamik zwingt die Konzernmanager ständig zu Neuinvestitionen. Die müssen den Wert ihrer Firmen steigern, die Erwartungen auf Kursgewinne fördern und dadurch die Aktienpreise in die Höhe treiben“, sagt der Umweltökonom Hans-Chistoph Binswanger. Würde ein großer Teil der Gewinne als Dividenden ausgeschüttet, könnte sich das Kaufmotiv für Aktien von Spekulationsabsichten weg verschieben. Dann hätten Unternehmen durch die Ausschüttungen weniger Mittel für ihre zerstörerische Expansion zur Verfügung. Leider läßt die „ökologisch differenzierte Geldpolitik“ mangels politischen Willens auf sich warten.
Doch weshalb sich den Kopf über nachhaltige Wirtschaften zerbrechen, wenn doch Junk bonds für saubere Profite sorgen? Zwischen New York und Frankfurt regiert nun mal die Spielleidenschaft. Oder würde nicht jeder gern einmal am Hebel der globalen Slotmachine sitzen? Willkommen im Casino Erde!
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