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■ ÖkolumneSiemens wird 150 – nix zu feiern Von Henry Mathews

Mit „weltweiten dezentralen Festveranstaltungen“ wollen die Chefs des Atom- und Elektromultis Siemens 1997 das 150jährige Gründungsjubiläum ihrer Firma feiern. Historische Innovationen bei Telegraphen, elektrischen Eisenbahnen und Röntgengeräten sollen den Gästen Appetit machen. Wer dabei einen Blick unter den Teppich riskiert, dürfte sich flugs mit dem Kopf in der Kloschüssel wiederfinden:

Im November 1932 etwa schrieb Konzernchef Carl Friedrich von Siemens gemeinsam mit anderen deutschen Industriellen an Reichspräsident Hindenburg und forderte ihn auf, die Regierung an den Führer der NSDAP zu übertragen. Zwei Monate später, am 30. 1. 1933, ergriff Hitler die Macht. Ab 1940 ließ sich Siemens als kriegswichtiger Konzern von der SS die ersten Zwangsarbeiter zutreiben. 1942 errichtete Siemens Fabriken in unmittelbarer Nähe zu den KZ Auschwitz und Ravensbrück. „Haftstätten“ unter SS-Verwaltung existierten auch bei 10 anderen Siemens-Werken – in Nürnberg um Beispiel und am Stammsitz Berlin-Siemensstadt. Bis 1943 stieg der Anteil von Fremdarbeitern, Kriegsgefangenen, jüdischen Zwangsarbeitern und KZ- Häftlingen auf 30 Prozent der Gesamtbelegschaft. Viele verhungerten oder wurden zu Tode geschunden. An ganze 2.203 jüdische Überlebende zahlte Siemens 20 Jahre später Entschädigungen. Natürlich wurden vor allem Rüstungsgüter produziert in diesen Vernichtungsfabriken. Siemens war zu jedem Zeitpunkt der Firmengeschichte Lieferant des Militärs. Bereits im Ersten Weltkrieg baute die Firma an U-Booten der deutschen Marine und lieferte auf Umwegen Elektrobauteile an die britische. Die Staatsnähe hat Tradition. Firmengründer Werner Siemens ergatterte schon 1848 den ersten Großauftrag von der preußischen Telegraphenkommission – der er als Leutnant der preußischen Armee höchstselbst mit Sitz und Stimme angehörte.

Doch heute? Mag die Firma ein staatsfernes Unternehmen geworden sein? Mitnichten! „Wie kaum ein anderes Unternehmen unterhält der Weltkonzern Siemens auf allen Ebenen enge Kontakte zu Bundesregierung, Parlament und bayerischer Staatsregierung“, ortete kürzlich die nicht eben linkslastige Wirtschaftswoche. „Vorstandschef Heinrich von Pierer zählt zum engsten Kreis um Bundeskanzler Helmut Kohl.“

Die Früchte dieser Intimität erntet Pierer oft und reichlich: Am Rande der letzten Kanzlerreise auf die Philippinen durfte er „in Anwesenheit von Präsident Ramos“ den Vorvertrag eines Milliardenauftrags unterzeichnen. Nach wie vor zählt Siemens zu den größten Lieferanten der Bundeswehr. Und wenn weltweit Financiers vor den Projekten des Konzerns zurückschrecken, weil die Gefahren und Umweltschäden unvertretbar sind, erfüllt ihm die Bundesregierung mit Hermesbürgschaften alle Wünsche – zuletzt für den Atomreaktor im slowakischen Mochovce und für den Drei-Schluchten-Staudamm am chinesischen Jangtse.

Daß Pierer dafür gern die Nähe des Kanzlers erträgt, ist verständlich. Als einzige Gegenleistung reicht das Kuscheln aber nicht. Deshalb sichert Siemens strategisch wichtige Industrieproduktionen für die Bundesregierung: Jahrelang haben die Münchner den Verlustbringer Nixdorf mitgeschleppt, um die einzige deutsche Computer-High-Tech-Firma zu erhalten; und der Nuklearbereich bewahrt langfristig eine deutsche Option auf die Atombombe. Helmut Kohl will schließlich in den Weltsicherheitsrat. Und deshalb scheren sich Kanzler und Konzernchef auch nicht darum, wenn sogar die US-Regierung dagegen wettert, daß der neue Siemens-Forschungsreaktor in Garching mit atomwaffenfähigem Uran gefüttert werden soll.

Noch vor der Jahrtausendwende wollen Siemens und der französische Partner Framatome die erste Baugenehmigung für ihren neuen „Europäischen Druckwasser-Reaktor“ (EPR) durch die Instanzen prügeln. Ein Betreiber hat sich noch nicht gefunden, der den ersten deutschen AKW-Neubau nach Tschernobyl in seiner Firmenchronik stehen haben will. Problemlos paßt der nur in die Vita des Hauses Siemens. Aber was, bitte schön, gibt es daran zu feiern?

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