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■ ÖkolumneTabak, Autos & Revolver Von Peter Tautfest

Sally Brown ist eine ziemlich normale Amerikanerin und Dothan, Alabama, eine ziemlich normale amerikanische Stadt. Sally ist 160 cm groß und wiegt 120 kg – mehr als einen Zentner zuviel. Dothan ist kreisförmig angelegt, und auf der großen Ringstraße, die sie umrundet, weiß man nie genau, wo man ist, denn alle klassischen Merkmale, an denen man sich sonst orientiert, kommen zweimal vor: zwei McDonald's, zwei Burger Kings, zwei Shoneys, zwei Hardees und zwei Pizza Hutts. Sally weiß das zu schätzen, denn egal welche dieser Fast-food-Lokale sie wählt, einer ist immer ganz in ihrer Nähe. Zu Hause ißt sie so gut wie nie. Sie kann nicht kochen. Keine Zeit, keine Lust, keinen Spaß dran, nie gelernt! Herd oder Mikrowelle werden allenfalls zur Erwärmung von Fertiggerichten angemacht.

Ihr Übergewicht teilt Sally mit 25,4 Prozent der weiblichen und 26,7 Prozent der männlichen Bevölkerung des Landes, den Trend zu Fast-food und Fertigware auch. Eine Untersuchung Anfang des Jahres ergab, daß der Anteil der Mahlzeiten, bei denen wenigstens eine von der Hausfrau selbst zubereitete Zutat auf den Tisch kommt, von 60 Prozent vor 10 Jahren auf 43 Prozent zurückgegangen ist. Nach einer Untersuchung der Harvard Medical School trägt Sally Brown ein erhöhtes Risiko, vorzeitig zu sterben. Sally Brown raucht nicht! Es leiden in Amerika deutlich mehr Menschen an Übergewicht als Zigaretten rauchen. Da Herzerkrankungen die führende Todesursache in Amerika sind – alle 45 Minuten stirbt jemand am Herzinfarkt – (nach manchen Statistiken hat Krebs inzwischen diese Position übernommen), und da Übergewicht eine 50prozentige Erhöhung des Infarktrisikos bedeutet, kann man sagen, daß Fehlernährung ein Gesundheitsrisiko ist, das dem Zigarettenrauchen nicht nachsteht. Amerikanische Krankenkassen müssen nicht nur die enormen Folgekosten tragen, sondern geraten unter Druck, auch die Kosten für die Bekämpfung der Fettleibigkeit zu tragen.

Warum eigentlich prozessieren die Justizminister der Bundesstaaten nicht gegen die Fast-food-Ketten genauso wie gegen die Tabakindustrie? Der Anfang der Gleichbehandlung von Zigaretten und Food-Industrie ist mit der umfangreichen Kennzeichnungspflicht auf Nahrungsmittelverpackungen schon gemacht – so fing der Kampf gegen die Zigarettenindustrie auch an, und gewehrt haben sich beide Industrien dagegen.

Oder nehmen wir die Autoindustrie. 1995 kamen auf Amerikas Straßen 42.000 Menschen um – zugegeben nur ein Zehntel der mehr als 400.000 Tabaktoten. Doch die Statistik berücksichtigt noch nicht die schwer zu quantifizierenden mittelbaren Schäden: Autoabgase tragen zur Bildung von bodennahem Ozon und ihre Reifen zur Anreicherung der Atemluft mit Partikeln (dem sog. Particular Matter) bei. Sie sind mithin mindestens mitverantwortlich für den dramatischen Anstieg von Asthmaerkrankungen vor allem bei Kindern in den USA. Auch hier könnten sich die öffentlichen und privaten Krankenkassen an der entsprechenden Industrie nach dem Vorbild des Feldzugs gegen die Tabakindustrie schadlos halten.

Und dann erst die Waffenindustrie. 1994 kamen durch Feuerwaffen in Amerika 38.000 Menschen um. Seit 1992 übersteigt in Regionen wie Texas und Kalifornien die Zahl der Erschossenen die der Verkehrstoten. Dr. Michael Jaker, Direktor an der Universitätsklinik des New Jersey Medical Center in Newark, plädiert dafür, Schußverletzungen unter epidemiologischen Gesichtspunkten zu sehen. Die mit Schußverletzungen verbundenen medizinischen und sozialen Kosten belaufen sich auf 17 Milliarden Dollar, der Wert verlorener Arbeitsstunden macht 40 Milliarden, Sachwertverluste eine Milliarde Dollar aus. Summa summarum 58 Milliarden Dollar. Der Vorschlag, Munition entsprechend zu besteuern, ist schon gemacht worden.

Amerikaner würden sich nie ihr Allerheiligstes, ihre Autos und ihre Waffen, nehmen lassen? Die National Rifle Association, die Waffenlobby, ist eine der mächtigsten im Lande, von deren Geldspenden politische Karrieren abhängen? Das alles traf auch mal auf die Zigarettenindustrie zu.

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