Ökolumne: Ein Systemproblem
■ Die Finanzbeziehungen bedürfen einer besseren Regulierung
Wenn die Staats- und Regierungschefs der sieben führenden Industrienationen (G 7) nächste Woche über Schuldenerleichterungen für die Dritte Welt reden, steht nur ein Bruchteil der externen Gesamtverschuldung des Südens zur Debatte: die Schulden der rund 40 ärmsten Länder der Welt (HIPC). Mit gut 200 Milliarden US-Dollar machen die HIPC-Schulden gerade mal zehn Prozent aller Schulden des Südens und des Ostens bei den Regierungen, Banken und internationalen Finanzinstitutionen des Nordens aus. Der Substanz nach geht es um eine Krisennachsorge, um einen Restposten aus einem vergangenen Zeitalter, der irgendwie noch zu erledigen ist. Denn während die Schulden für die HIPC immer noch eine drückende Last sind, stellen sie für das herrschende Finanzsystem keinerlei Bedrohung mehr dar. Längst sind in den HIPC der Staat und multilaterale Organisationen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank zu den Hauptgläubigern avanciert, die Banken spielen keine Rolle mehr.
Ganz anders in Ost- und Südostasien, wo wir mit der ersten Schuldenkrise konfrontiert sind, die sich sowohl auf der Seite der Gläubiger wie auf der der Schuldner vollständig innerhalb des privaten Sektors entwickelt hat. Dabei wäre die Schuldenaufnahme in dem gegebenen Ausmaß angesichts der hohen inneren Sparraten in den Tiger-Ökonomien gar nicht erforderlich gewesen, um die notwendigen Investitionen zu finanzieren.
Genau dies verweist auf gravierende Funktionsmängel im System der internationalen Finanzbeziehungen, das an entscheidenden Stellen unterreguliert ist. Selbst der IWF – ansonsten in Sachen Südostasien ein ziemlich blindes Huhn – schreibt in seinem letzten „World Economic Outlook“, es wäre falsch,„Finanzkrisen ausschließlich den politischen Versäumnissen in den Krisenländern anzulasten“. Die Geschichte sei voll von Episoden, in denen das Kapital plötzlich aufgrund der Gewinnflaute in den Industrieländern in die Dritte Welt floß, wo sich scheinbar vielversprechende Gewinnmöglichkeiten böten.
Das war schon in den 70er Jahren der Fall, als die Beauftragten der Großbanken kreuz und quer durch die Welt reisten, um das sogenannte überschüssige Kapital, das sich im Zuge der Ölkrise in Europa angesammelt hatte, zurückzuschleusen. Seither hat sich diese Konstellation einer strukturellen Überakkumulation verfestigt. Mehr denn je fließt das Kapital in reine Finanzinvestitionen und Spekulationsgeschäfte. Und das kann jederzeit erneut zum Ausbruch von Finanzkrisen führen.
Um so bedauerlicher ist es, wenn jetzt die ersten Anzeichen von neu aufsprießender Zuversicht an den Finanzplätzen zum Anlaß genommen werden, um wieder zur Tagesordnung überzugehen. Der G-7/G-8-Gipfel, auf dem der Startschuß zu einer irgendwie neuen internationalen Finanzarchitektur fallen sollte, dürfte sich unter diesem Gesichtspunkt als Rohrkrepierer erweisen: Dem Thema „neue internationale Finanzarchitektur“ war nur ein kurzer Frühling beschieden. Die G-7-Regierungen folgen inzwischen wieder ziemlich genau den Erwartungen der Kapitalmärkte. Diese Marktergebenheit läßt keine Vorschläge zu, die die Gestaltungsspielräume vergrößern könnten. Das gilt für für die vieldiskutierte Antispekulationssteuer nach dem Wirtschaftsnobelpreisträger Tobin, deren Praktikabilität auch von mainstreamorientierten Fachleuten nicht bestritten wird. Und es gilt für Kapitalverkehrskontrollen, deren Wirksamkeit Malaysia soeben vorexerziert hat. Kein Wunder, daß die Bundesregierung das Stichwort „neue internationale Finanzarchitektur“ wieder kassiert hat und nur noch von einer „Stärkung der bestehenden“ spricht. Damit dürfte sie endgültig da angekommen sein, wo sich die alte schon so wohl fühlte.
Das sozialdemokratisch-grüne Marktvertrauen nimmt geradezu zynische Züge an, wenn man es mit den Auswirkungen der Krise konfrontiert, wie sie die neuesten Zahlen der Weltbank belegen: In Ländern, die bis vor kurzem dachten, sie stünden kurz vor der Überwindung der krassesten Armut, hat sich die Entwicklung ins Gegenteil verkehrt. Die Anzahl der Armen, die täglich weniger als einen Dollar haben, wird in diesem Jahr von 1,3 Milliarden auf 1,5 Milliarden zunehmen. Rainer Falk
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