Ökolumne: Unsinnige Hoffnung
Steuergeschenke werden die Deutschland AG nicht aufbrechen
Stück für Stück verabschiedet sich die Bundesregierung von ihren Plänen für mehr ökonomische Gerechtigkeit. Vermögens- oder Erbschaftssteuer? Die sind längst vom Koalitionstisch gefegt worden. Eine Versteuerung der Gewinne aus Lebensversicherungen? Nachdem man der Assekuranz einen Verkaufsboom beschert hatte, verschwand die Idee in den Schubladen. Im Entwurf zur Steuerreform 2000 verwarf das Berliner Kabinett nun auch sein letztes Prunkstück: Investmentfonds bleiben von der Körperschaftssteuer befreit.
Über den ökonomischen Sinn der einzelnen Tischvorlagen kann gestritten werden. Merkwürdig bleibt jedoch die Summe der gekippten Konzepte – und der verschenkten Einnahmemöglichkeiten. Sie bringt die rot-grüne Regierung in den Ruch, vor den Lobbyisten in die Knie zu sinken. Vorerst letzter Bückling: Bundesfinanzminister Hans Eichel will in seiner Steuerreform bestimmte Konzerngewinne, nämlich Erträge aus dem Verkauf von Beteiligungen, steuerfrei stellen. Das können Aktien sein oder auch der Anteil an einer GmbH.
Dass diese Änderung Milliarden bewegen wird, liegt am speziellen deutschen Bilanzrecht. Im Wirtschaftswunderland der Adenauers und Erhards zählte vor allem eines: „Grundsolide“ musste ein Unternehmen sein. Darum sollten Profite in der Bilanz untergehen und nicht an den Fiskus, an Aktionäre oder die Arbeiter ausgezahlt werden.
Sehr hilfreich war dabei das so genannte Niederstwertprinzip. Eine gekaufte Aktie kann bis heute in der Bilanz mit dem niedrigsten Wert angegeben werden. Wenn nun eine Bank ihre Anteile an einem Konzern mit dem ehedem gezahlten Preis von 10 Mark bilanziert hat und sie heute zu einem Börsenkurs von 100 Mark verkauft, bliebe der satte Gewinn von 90 Mark pro Aktie zukünftig steuerfrei. Bislang kassierte der Fiskus rund die Hälfte davon.
Befürworter nennen drei Begründungen für die überraschende, selbst von den betroffenen Branchenverbänden gar nicht in dem Maß geforderte Steuerbefreiung: Bundeskanzler Gerhard Schröder verspricht sich davon eine Zerschlagung der Deutschland AG. Die Grünen hoffen auf einen Push für Existenzgründer. Und alle zusammen meinen, dass kaum Steuerverluste entstehen. Bislang hätten Unternehmen ja eben wegen der hohen Steuer keine Beteiligungen verkauft. Sie alle liegen falsch: Seit Jahren begradigen Versicherungen ihre internen Verluste durch den Verkauf von Beteiligungen, und Großbanken leben gut vom steuerpflichtigen Eigenhandel mit Aktien. Um mutige Investoren in Wagniskapital zu unterstützen, müsste der Finanzminister wohl kaum pauschal jeden Anteilsverkauf steuerbefreien. Und selbst Kanzler Schröder wird sein pragmatisches Wunder erleben.
Eine Entflechtung der Deutschland AG wird es wegen dieser Steuerreform nicht geben. Die deutschen Konzerne sind über personelle Querverbindungen, Geschäftsbeziehungen und Depotstimmen seit über einem Jahrhundert engstens verstrickt. Und sie schätzen das. Strategische Beteiligungen werden weder die Deutsche Bank noch die Allianz verkaufen, einige der Manager haben das hinter vorgehaltener Hand längst zugegeben.
Allerdings könnte unterhalb der Ebene der strategischen Beteiligungen mehr Leben in die Bude kommen. Die Portefeuilles können nun leichter, weil billiger, umgeschichtet werden. Das wird das Fusionsfieber weiter anheizen. Inländische Konzerne werden einen Teil des Tafelsilbers verkaufen, um dafür internationale Konzernperlen zu erwerben. Und ihre Schatztruhen sind üppig gefüllt. So erlaubte uns kürzlich die Münchner Rückversicherung einen Blick hinein: Die neue Bilanzierung nach dem durchsichtigeren IAS-Modell brachte bislang verborgene Kleinodien von über 50 Milliarden Mark ans Licht. Die darüber hinaus verbliebenen Bewertungsreserven gibt der Konzern mit rund 30 Milliarden Mark an. Der Dax raste seit 1995 von 2.000 auf 7.000 Punkte hoch.
Warum sollten Firmen, die davon profitieren, ihren Gewinn nicht versteuern müssen? Steuersystematisch ist die Freistellung falsch, politisch katastrophal. Die vernünftige Grundidee der Steuerreform 2000, „Steuersätze runter, Bemessungsgrundlage verbreitern“, wird hier böse konterkariert. Zweckmäßig wäre eine Teilversteuerung. Ein Steuersatz von etwa 20 Prozent, wie er laut Finanzministerium in einigen EU-Ländern erhoben wird, würde keinen ökonomisch gebotenen Verkauf verhindern, aber der Steuergerechtigkeit dienen. Hermannus Pfeiffer
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