Ökolandwirtschaft: Alles Bio - notfalls mit Chemie
Die deutschen Bauern können die wachsende Nachfrage nach Biolebensmitteln nicht befriedigen. Öko-Test meint, dass auch bei Discountern Bio drin ist, wenn Bio draufsteht.
BERLIN taz Ist noch Bio drin, wo Bio draufsteht? Nicht nur der Discounter Lidl will mit Bio Geld verdienen, auch Aldi, Plus oder Edeka bauen ihr Biosortiment rasant aus. Deutschland ist im Biorausch. Allein im vergangenen Jahr haben die Deutschen 4,6 Milliarden Euro für Ökoessen ausgegeben - 18 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Am häufigsten kaufen Kunden Biomilch oder Biomüsli. Seit neuestem auch gefragt: Ökotiefkühlgemüse.
Was heute an der Ladentheke als Bio verkauft wird, ist nicht mehr das, wofür die Etiketten einmal standen. Obst und Gemüse kommen nur noch selten vom Bauern nebenan, sondern aus der ganzen Welt. Der Ökoacker ist 2006 hierzulande nur um 2,3 Prozent gewachsen. Natürlich "kann jeder die globale Ausweitung der Ökolandwirtschaft nur gut finden", sagt Felix Prinz zu Löwenstein vom Bund ökologische Lebensmittelwirtschaft. Aber die Ökopioniere hätten Öko einst nicht nur als lukrativen Markt verstanden, sondern vor der Haustür eine andere Landwirtschaft gewollt - ohne Agrarindustrie. Die deutschen Bauern verpassten nun diese Chance.
Ein Problem: Wer seinen Hof umstellen will, braucht Geduld - und Geld. Zwei Jahre muss ein Bauer bereits nach Ökorichtlinien gearbeitet haben, bevor er seine Ernte als Bioware verkaufen darf. Die Bundesländer haben in den letzten Jahren jedoch die Umstellungsprämien zusammengestrichen. Bio-Anfänger können Sonderbelastungen kaum abfedern.
Statt Ökogemüse fördere der Staat lieber Rohstoffe für Agrosprit wie konventionell angebauten Mais, kritisiert Thomas Dosch vom Anbauverband Bioland. So sei das Förderprogramm "Nachwachsende Rohstoffe" in diesem Jahr mit 50 Millionen Euro gefüllt. Mit dem Geld werden Forscher unterstützt. Im Bundesprogramm "Ökologischer Landbau" steckten derweil nur 16 Millionen Euro. 2010 soll es ganz auslaufen. Deshalb blieben Fragen offen: Wie werden Hühner robuster fürs Ökoleben im Freien? Oder: Wie viel besser ernährt sich der Mensch mit Bio?
Noch ist nicht bewiesen, dass Ökoessen die Gesundheit fördert. In Bioobst finden sich aber weniger Gifte. Denn Ökobauern verzichten auf Chemie - eigentlich. Erst vor kurzem flog auf, dass 12 Prozent der Biofrüchte aus Italien unzulässige Spritzmittel enthielten. Dosch fürchtet schon ums Image. Ist Bio bei Lidl & Co weniger zuverlässig? Die Zeitschrift Öko-Test kommt in ihrer neuen Ausgabe zum Ergebnis, dass auch beim Discounter meistens Bio drin ist, wenn es draufsteht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen