piwik no script img

Öko-Wohnprojekt in LichtenbergLichtblicke in Lichtenberg

Anwohnen gegen Nazis und gegen den schlechten Ruf eines Bezirks: Das Öko-Wohnprojekt "Lichte Weiten" steht in direkter Nachbarschaft zur berüchtigten Weitlingstraße in Lichtenberg.

Einen Lichtblick gibt es auch in Lichtenberg - das Öko-Wohnprojekt Bild: AP

Brigitte Mohaupt ist eine resolute Frau. Die 60-Jährige nimmt das schreiende Kind aus dem Kinderwagen und setzt es sich einfach auf die Schultern. Dann ist Ruhe, der Kleine kann besser gucken. Die Rentnerin schaut sich auch gern um in ihrem neuen Viertel. "Es ist hier alles viel weiter", sagt sie und zeigt auf die breiten Straßenzüge mit dem flachen Alt- und Plattenbauten. Viel weiter, meint sie, als in Charlottenburg. Dort hat sie Jahrzehnte gelebt, vor zwei Monaten ist sie nach Lichtenberg gezogen.

Die Rentnerin mit den kurzen grauweißen Haaren lebt in dem Öko-Wohnprojekt "Lichte Weiten" in der Wönnichstraße, in einem Mehrgenerationenhaus mit Biowasseranlage, Gemeinschaftsküche und großem Garten, in dem die Bewohner eines Tages ihr eigenes Gemüse anbauen wollen. Jenseits des Ökohauses sieht die Welt ganz anders aus. Die Wönnichstraße befindet sich direkt neben der berüchtigten Weitlingstraße. Dort, wo die Wählerstimmen gesondert präsentiert werden, weil hier acht bis neun Prozent die NPD wählen. Brigitte Mohaupt wohnt sozusagen fast Wand an Wand mit den Nazis. Man könnte aber auch sagen, sie und die anderen von Lichte Weiten wohnen gegen die Nazis an - und gegen den schlechten Ruf des Bezirkes.

Ihre Charlottenburger Freundinnen, erzählt Brigitte Mohaupt, hätten sich nur gewundert, als sie ihnen ankündigte, dass sie nach Lichtenberg, in den tiefsten Osten, gehe: "Da gibt es doch nur Stacheldraht", haben sie gesagt. Sie haben wohl das gemeint, was sich in den Köpfen vieler einstellt, wenn der Bezirksname Lichtenberg fällt: ein diffuses Bild, wo die Stasi und die Nazis drin vorkommen, die Glatzen und die Platten.

Aber Brigitte Mohaupt findet es schön in Lichtenberg. Die gelernte Krankengymnastin, die zuletzt ein halbes Jahr in Spanien verbracht hatte, wollte zurück in Berlin unbedingt in ein Mehrgenerationenhaus ziehen. Hier sitze sie nicht die ganze Zeit allein vor der Glotze, sondern eher bei einer Tasse Tee mit den Leuten aus dem Haus, erzählt sie. Mit ihrem Nachnamen spricht sie hier keiner an. "Der hat mir eh viel Ärger eingebrockt", sagt sie, weil er dem einer früheren RAF-Terroristin so ähnelt. Für die Mitbewohnerin mit dem Kind ist sie einfach "Gritte", obwohl sie erst seit ein paar Wochen mit ihr zusammenwohnt. Gerade ist die Mitbewohnerin krank und Gritte fährt ihr Kind spazieren.

Das ist genau das Leben in Gemeinschaft, das Ferdinand Beetstra und Irmina Körholz vorschwebte, als sie vor zehn Jahren begannen, sich mit Lichtenberg anzufreunden. Der holländische Planer, der zuvor über ökologischen Bau in Eindhoven forschte, und die Architektin Körholz suchten ein Haus für ein Wohnprojekt und fanden es in der Wönnichstraße 103. Sie gründeten den Verein Lichte Weiten, der das Grundstück kaufte, und sanierten das Haus. "Wir wollten ausprobieren, wie umweltfreundlich kann man sanieren und was ist das Maximale an sozialem Wohnungsbau ohne große Tüten mit viel Geld."

Heute wohnen Beetstra und Körholz in dem Haus, zusammen mit 13 Erwachsenen, einem Jugendlichen und fünf Kindern. Nicht in Eigentum, denn das bringe nur Probleme mit sich, sagt Beetstra. Die "Mieter" zahlen ein Nutzungsentgelt, das liegt bei 4,50 Euro pro Quadratmeter.

Auf ihrem Ökohaus aber wollten sich Körholz und Beetstra nicht ausruhen. Sie kauften 2006 mit ihrem Verein auch das Grundstück gegenüber, die Wönnichstraße 104, und errichteten - ebenfalls nach hohen ökologischen Standards - ein Mehrgenerationenhaus.

Die Fassade des freistehenden Hinterhauses mit den sechs Etagen leuchtet in hellem Gelb und Orange. Von ihrem Büroladen, der "Piekfeiner Laden" heißt, schauen der Projektplaner und die Architektin auf ihr neuestes Mehrgenerationenhaus. Sie sitzen beim Tee, graublau getöpfertes Geschirr, im Rücken jede Menge Ordner zu ökologischem Bau, energieeffizientem Sanieren. Sie trägt einen orangen langen Filzmantel, er ein dunkelblaues Seidentuch um den Hals. Als sie Ende der 90er nach einem Grundstück suchten, erzählt Beetstra, hätten sie sich für Lichtenberg entschieden, weil die Preise hier noch bezahlbar gewesen seien und weil sie mit dem Bezirk und der damaligen Stadträtin Katrin Lompscher einen guten Kooperationspartner gefunden hätten.

Von den Nazis im Viertel hatten sie gehört, aber: "Es gab hier keine Angstatmosphäre", sagt Beetstra Außerdem seien er und seine Frau Irmina Körholz ja nicht allein mit den Nazis gewesen. "Wir sind eine Gemeinschaft", betont er. Und überhaupt: "Im täglichen Leben merken wir nichts", sagt der hochgewachsene Mann mit dem Rudi-Carrell-Akzent. Er weiß, dass er mit so einer Aussage "gleich als Ignorant gilt". Und das ärgert ihn sichtlich.

Wenn Beetstra über den Weitlingkiez reden muss, dann wird er schnell laut. Der Holländer ist genervt, vor allem von den Medien: Wenn man sich anschaue, wo die meisten Überfälle passieren, dann sei das nicht hier, sondern im Prenzlauer Berg. "Nur hier verschleiert die Politik nichts, sie geht offen mit dem Problem um, und das wird von der Publizistik nicht belohnt." Der Bürgerhaushalt, die tollen Schulprojekte - aber immer wieder werde das Viertel auf die Nazis reduziert. Auch Leute, die sich für ihr Projekt interessierten, stutzen immer erst mal, "wenn sie hören, wo wir sind".

Natürlich gebe es hier deutlich mehr NPD-Plakate zu sehen, sagt Beetstra: "Das tut weh, das zu sehen." Er weiß auch, dass er "der gute Ausländer" ist, dass andere mit anderer Hautfarbe es schwerer haben. Und natürlich gehen sie zu Gegendemos, wenn die Nazis hier aufmarschieren. Aber eigentlich will er wegkommen von dem Thema.

Körholz hat immer den Edding dabei, um Naziparolen in den Straßen durchzustreichen, als antifaschistische Kämpferin sieht sie sich dennoch nicht. Statt "Antiarbeit zu leisten, wollten wir lieber mit anderen Dingen in das Gebiet gehen", sagt Körholz. Mit Diavorträgen über Lichtenberg zum Beispiel, mit Hoffesten, zu denen 150 Leute kommen - auch aus der Nachbarschaft. Eine ältere Frau von nebenan sei immer mit dabei. "Ich komm so gern zu euch, weil es so anders ist", hat sie zu Körholz gesagt. Und im Winter haben sie in ihr Lichtcafé eingeladen, samstagnachmittags haben sie Tageslichtleuchten installiert in der Gemeinschaftsküche. "Das leuchtete auf der Straße im Dunkeln", erzählt Körholz.

Von dem Fenster des "Piekfeinen Laden" aus kann man in den künftigen Garten des Lichte-Weiten-Hauses schauen. Ein schmaler Pflasterweg schlängelt sich durch die Brache, wo Baumstümpfe liegen, alte und neue Backsteine, ein großer gelber Bauschuttcontainer. Irgendwann sollen hier Beete sein, sogar ein Gewächshaus. Früher sei das ein Garagenhof gewesen, aus DDR-Zeiten, erzählt Körholz. Sehr dunkel, viel Beton. "Kein Grashalm wuchs."

Für Beetstra ist der Tiefpunkt des Bezirkes heute überschritten. Lichtenberg habe eine Menge Entwicklungspotenzial, sagt er, es werde eine Stabilisierung geben auf einem Niveau, wo man gut leben kann - ohne den Hype wie andernorts. Dazu gebe es zu wenig Freiräume für kreatives Potenzial.

Und was die Geschichte mit den Nazis angeht: Bald kommt zu ihnen ein Rentnerpaar, er Deutscher, sie Ecuadorianerin. Auch sie können hoffentlich einige Bilder geraderücken. Sie wollen in Lichte Weiten einige Monate probewohnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • DK
    Daniel Kubiak

    Natürlich freuen wir als Bewohner_innengruppe von Lichte Weiten uns, wenn über unser Wohnprojekt berichtet wird, allerdings wünschen wir uns auch dabei nicht in eine bestimmte und dann auch noch falsche Ecke gestellt zu werden. Es ist schon ärgerlich, wenn der Projektplaner Ferdinand sich dazu äußert, dass es ihn ärgert, dass der Weitlingkiez immer wieder nur mit den gleichen Vorurteilen belastet wird, das auch in Ihrem Artikel erwähnt wird und der ganze Artikel trotzdem die Neonazis in den Vordergrund stellt.

    Stattdessen wäre viel lesenswerter gewesen, wenn über die tatsächlichen Motive berichtet worden wäre, die verschiedene Generationen zusammengeführt haben, um das Projekt „Lichte Weiten“ zu realisieren. Diese Motive haben viel damit zu tun, dass keiner und keine von uns mehr anonym zusammen leben möchte. Wir wollen eine verbindlichere Wohnform realisieren, in denen wir Verantwortung für uns selbst als Gruppe und für die Umwelt übernehmen. Damit wohnen wir durchaus gegen etwas an und das ist die Anonymität und Gleichgültigkeit der Großstadt, die sich nicht auf einen bestimmten Kiez konzentriert. Dass der Hausbesitzer ein Verein ist und das Grundstück einer Stiftung gehört, das innenstadtnahe Haus somit dem freien Markt der Immobilienspekulationen entzogen wurde und wir somit eine Alternative darstellen, das richtet sich nicht gegen Nachbar_innen im Weitlingkiez, sondern ist eine Antwort auf ein Berlin weites Problem. Auch das wir in diesem Jahr einen 30-, 40,- 50,- 60-, und 70jährigen Geburtstag feiern, finden wir schön. Hier sind mittlerweile vier Generationen in einem Haus vereint und diese Generationen leben nicht nebeneinander, sondern miteinander. All das wäre eine schöne Geschichte gewesen, aber der „Tageszeitung“ fällt anscheinend doch wieder nur ein Thema ein, wenn es um den Weitlingkiez geht. Dass dies kontraproduktiv ist, sollte klar sein, wird aber ein Problem für die tatsächlichen Bewohner_innen dieses Kiezes, die sich auch durch diesen Artikel immer wieder einem Stigma ausgesetzt sehen. Anscheinend hatte die Redakteurin schon eine Geschichte im Kopf, denn niemand von uns hier kann das Motto „Anwohnen gehen Nazis“ unterstützen. Das wäre uns viel zu langweilig. Wir gehen mit unserem Projekt viele Schritte weiter, denn wir - wohnen nicht mehr gegen etwas, sondern für etwas. Nachhaltiger ist das auf jeden Fall.

  • W
    werner

    Generationsübergreifend Leben Wohnen Arbeiten... na da kann man doch nur das Beste wünschen, z.B. daß es in Zukunft weitere Projekte gibt, die Schule machen, und forschen und nicht nur verhalten um den eigenen Topf tanzen.

    http://www.contraste.org

    http://www.wohnprojekte-berlin.info