: Öffentliche Empfindsamkeiten
Die Kamera saust über das Meer, Musik setzt ein, zu der Barbra Streisand singen könnte, Gischt spritzt auf den Vorspann, während sich die Wellen türmen. O Weia Waga. Das Publikum ist also vorgewarnt.
Luis Mandokis Film „Flaschenpost“ ist eine reine Liebesgeschichte zwischen Erwachsenen. Eine, auf die wir alle gewartet haben: Eine Journalistin aus der Großstadt verliebt sich in einen Bootsbauer, der in seinem Leben nie aus seinem Fischerdorf herausgekommen ist. Dürfen wir uns amüsieren? Brillanten Wortgefechten lauschen und uns hemmungslos auf eine Seite schlagen? I wo, ins Taschentuch schluchzen sollen wir. Denn dies ist ein Film über tief verletzte, empfindsame Erwachsene.
Teresa (Robin Wright Penn) ist eine hagere Geschiedene, die mit ihrem kleinen Sohn in Chicago lebt. Ihr Ex hat wieder geheiratet und ein Kind mit seiner neuen Frau. Bevor Teresa zu einem einsamen Urlaub aufbricht, gibt sie ihren Sohn bei seinem Daddy und der neuen Frau ab. Robin Wright Penn legt eine Glanznummer hin: dieses kurze Stocken, bevor sie entschlossen auf den Exmann zuschreitet, dieser zutiefst verletzte Blick, während jedes Härchen der empfindsam zuckenden Augenbraue ihre Qual unterstreicht. Was für ein Muskelspiel!
Am Strand findet sie schließlich eine Flaschenpost. Darin steckt ein Brief, den ein Mann an seine tote Geliebte geschrieben hat: „Du hättest nicht eine Minute leiden oder krank sein dürfen.“ Die Erwachsenen im Zuschauerraum zucken die Schultern: Hat er ihr einen Rosengarten versprochen oder was? Dann geschieht das Schreckliche: Ein Kollege der Finderin veröffentlicht den Brief in der Zeitung. Das ganze Land sucht den Unbekannten, der „so empfindsame Briefe“ schreibt, und auch Teresa macht sich auf die Suche.
Es wird an dieser Stelle niemanden mehr überraschen, dass Mandoki keinen Gedanken daran verschwendet, wie grässlich es für den Einsiedler sein muss, wenn er erfährt, dass seine persönlichsten Gefühle der Öffentlichkeit zum Fraß vorgewurfen wurden. Als Regisseur kann man sich solche Empfindsamkeiten nicht erlauben. Ein Blick in Kevin Costners erstaunlich farbloses Gesicht beruhigt den weniger abgebrühten Zuschauer sogleich.
Es kommt also, wie es muss: Nachdem die hagere Geschiedene ihn endlich ausfindig macht, verlieben sie sich. Empfindsames Augenbrauenzucken, Gitarren stimmen ein Lied an, das zu einem heftigen Crescendo wächst und – der Kuss. Mandokis Kamera klebt auf den Gesichtern, dass ihm auch kein Zucken entgeht.
Der Einzige, der in diesem Film gar nichts tut, ist Paul Newman, der des Bootbauers Daddy spielt. Ungerührt liest er seinem Sohn die Leviten, ungerührt bleibt er sogar, wenn er sich in Schuldgefühlen wälzen muss: Er hat eifrig dazu beigetragen, die Ehe seines ersten Sohnes zu vermasseln, „weil ich ständig besoffen in der Ecke hing“. Jawoll! Unter Newmans Verständnis liegt eine Brutalität, von der man nicht mal ahnt, wie er sie herbeizaubert. Aber er zuckt definitiv nicht mit den Augenbrauen.
Die Sache darf natürlich nicht gut ausgehen. So viel Verletzlichkeit fordert ein großes Unglück. Alles andere wäre nicht empfindsam genug gewesen. Anja Seeliger
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