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Öcalans „Notlandung“ stürzte Athen in ein Dilemma

■ Für die griechische Regierung war der asylsuchende PKK-Chef wie eine scharfe Handgranate

Der erzwungene Transfer des Abdullah Öcalan von der griechischen Botschaft in Nairobi nach Istanbul ist für die Regierung Simitis eine Art politischer GAU. Für die meisten EU-Länder war der flüchtige PKK-Chef die heiße Kartoffel, die man sich besser nicht in die Hand drücken läßt. Für die griechische Regierung war der asylsuchende Öcalan wie eine scharfe Handgranate. Angesichts des gespannten Verhältnisses zu Ankara mußte das offizielle Athen dem Kurdenführer rigoros die Zuflucht verweigern.

Andererseits konnte die Regierung Simitis bei den Sympathien der Bevölkerung für „die Sache der Kurden“ auch nicht als Handlanger der Öcalan-Verfolger auftreten, ohne die öffentliche – und einen Großteil der veröffentlichten – Meinung gegen sich aufzubringen.

Athen hat sich aus diesem Dilemma schon einmal knapp befreien können. Im Oktober 1998, noch bevor Öcalan in Rom auftauchte, war er insgeheim in Athen gelandet. Damals wurde ihm das geforderte politische Asyl verweigert. Der PKK-Führer mußte weiterreisen, die griechische Regierung mußte den ganzen Vorgang leugnen. Öcalan durfte griechischen Boden schon deshalb nicht betreten, weil die griechischen Behörden verpflichtet gewesen wären, den auch in Athen vorliegenden Haftbefehl aus Deutschland zu vollstrecken.

Dasselbe Dilemma stellte sich erneut, als Öcalan aus Italien verschwand. Ob der Kurdenführer Athen erpreßte, als er mit leerem Tank über Griechenland auftauchte, läßt sich heute nicht mit Sicherheit sagen. Aber aus Öcalans Sicht war es eine plausible Strategie, die Klemme der Regierung Simitis auszunutzen: Seine „Notlandung“ auf griechischem Boden hätte Athen zur offiziellen Adresse des türkischen Auslieferungsbegehrens gemacht. Und Ankara hätte seine Forderung gewiß mit Drohgebärden oder militärischen Gesten in der Ägäis unterstrichen.

Daß die Odyssee Öcalans jetzt in der Türkei endete, hat das griechische Dilemma keineswegs beendet. Um Öcalans Anhänger zum Abzug aus den Botschaften zu bewegen, muß Außenminister Pangalos sie überzeugen, daß man dem PKK-Chef zu einem Exilland verhelfen wollte.

Auch gegenüber der griechischen Öffentlichkeit darf die Regierung nicht den Verdacht aufkommen lassen, an der Auslieferung des Kurdenführers mitgewirkt zu haben. Athen muß also zwangsläufig einräumen, Ankaras Feind Nr. 1 vor seinen Häschern versteckt zu haben.

Die Regierung Ecevit wird es freuen. Ankara versucht seit Jahren nachzuweisen, daß die PKK auf griechischem Boden mehr als nur politische Betätigungsfreiheit genießt. Doch die Gerüchte über PKK-Militärlager waren so schlecht erfunden, daß Athen sie mühelos entkräften konnte. Selbst die Geheimdienste der Vereinigten Staaten, die solche Lager in Griechenland längst entdeckt hätten, nahmen die türkischen Behauptungen nie ernst. Und als Ankara versuchte, dem ehemaligen PKK-Vize Sendin Sakik, der im Frühjahr 1998 im Irak gefaßt wurde, Anklagen gegen Athen in den Mund zu legen, war diese Taktik vollends diskreditiert.

Die Regierung Simitis hat der Athener PKK-Vertretung strengere Zügel angelegt; mehrfach wurde ihr Büro von der Polizei durchsucht. Und eine Sitzung des kurdischen Exilparlaments, wie sie letzten Herbst in Rom abgehalten wurde, hätte in Athen mit Rücksicht auf Ankara nie stattfinden können. Niels Kadritzke

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