Ode an den Stau: Süße Stunden des Stillstands
Schlechte Laune, Hunger, Ehekrise: Stau stresst die meisten Autofahrer. Das muss nicht sein. Denn Stau kann eine wahre Freude sein.
Ein „Stauchaos“ droht am Wochenende, warnen die Automobilclubs. Weil jetzt fast überall Schulferien sind, die einen aus dem Süden zurückkehren, die anderen in den Norden reisen und wieder andere gen Süden starten. Kleiner Tipp für den Verkehrsfunk: Die Autobahnen aufzuzählen, auf denen es sich am Wochenende nicht staut, würde schneller gehen als umgekehrt.
Und deshalb rüsten sich die Urlaubshungrigen aus mit Thermoskannen voller Minztee, Butterbroten und Bananen, steigen zu Nachtzeiten in ihre Autos, in der Hoffnung, dem Stau zuvorzukommen – und treffen sich acht Stunden später vor einem Tunnel in Österreich im Stau. Haben schlechte Laune, Hunger, Ehekrise und kommen gestresst am Urlaubsort an.
Dabei Stau kann so schön sein! Nicht dieses Stop-and-go, nein, so ein ordentlicher Stau mit zwei Stunden Stillstand. Anfangs bleibt man sitzen, genervt, wartend, hoffend, es könnte ja weitergehen, jederzeit, gleich. Dann gibt man auf, lässt los, Motor aus, Tür auf, in den Rahmen stellen, Hals recken, die Autoschlange überblicken: Stillstand. Kilometerweiter Stillstand.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Also raus auf die Autobahn. Ein erhabenes Gefühl, hier auf der linken Spur, wo gerade noch der Sportwagen mit 230 überholte. Läuft ums Auto, lässt die Kinder raus, ein bisschen rennen, Ball spielen. Ein kurzer Plausch mit dem Audifahrer aus Duisburg, die Kinder haben auch schon Freunde gefunden. Die sind im Nachbarbadeort, vielleicht trifft man sich mal auf dem Markt? Immer mehr kommen auf die Fahrbahn. Im Stillstand vereint.
Einige Sprachen helfen dabei, den Stau positiv zu besetzen. Ihn sprachlich zu versüßen wie im Englischen mit „traffic jam“. Oder ihn mit alkoholischen Freuden zu verbinden wie im Polnischen mit „korek“, also „Korken“, ebenso wie im Französischen mit „bouchon“. Passend auch das Italienische „imbottigliato“, das „im Stau stehen“, aber auch „abgefüllt“ heißt. Vor der nächsten Urlaubsreise also Marmeladenbrot und Sekt einpacken, statt Butterbrot und Minztee. Und alles wird gut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern