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Ode an Michael BallackDer beste Spieler der Welt

Eigentlich müsste die deutsche Öffentlichkeit vor Stolz platzen, dass es endlich mal wieder einen Spieler der Marke Ballack gibt. Stattdessen sieht sie ihn als ewigen Zweiten.

Alles darf passieren, nur Ballack darf nicht ausfallen, sagte Rudi Völler über ihn. Bild: dpa

Nach dem Vorbereitungsspiel gegen Serbien, Michael Ballack hatte gerade ein glänzendes, für ihn typisches Spiel aus Übersicht, Arbeit und Hau-Ruck-Geste hingelegt, stand Angela Merkel mit Jogi Löw und Monica Lierhaus im Fernsehkommentatorenstübchen und freute sich sichtlich über den siegreichen Ausgang des Spiels. Sie beglückwünschte die deutsche Mannschaft, und auf die Frage, ob ihr denn ein Spieler aus dem Team als besonders lobenswert erscheine, lächelte sie wie eine Grundschullehrerin, deren Klasse gerade den Wettbewerb "Schönstes Klassenzimmer" gewonnen hatte, und lobte das Kollektiv und die gemeinsame Anstrengung. Es schicke sich in diesem Moment nicht, einen einzelnen Akteur hervorzuheben.

Bild: Andreas Pohlmann

BJÖRN BICKER, 1972 geboren, Autor und Dramaturg, arbeitet an den Münchner Kammerspielen. Dort ist er Miterfinder und künstlerischer Leiter der Stadtprojekte "Bunnyhill" und "Doing Identity-Bastard München". Als Polle Wilbert schreibt er Theaterstücke. Sein Text "Illegal" hat am 20. Juni Uraufführung an den Münchner Kammerspielen.

Man war schon etwas genervt von dieser diplomatischen Gleichmacherei, als der Moderator Frau Merkel den richtigen Namen förmlich in den Mund legte. Aber finden Sie nicht auch, Frau Merkel, dass Michael Ballack ein ganz besonders gutes Spiel gemacht hat? Ja, sagte die Kanzlerin, das könne man schon sagen, er sei seiner Rolle als Spielführer mehr als gerecht geworden. Sie lächelte erneut und war sichtlich dankbar, dass der Moderator ihr diesen Ball zugespielt hatte, denn am liebsten wäre sie, so schien es, in Jubelstürme ausgebrochen ob der großartigen Leistung ihres ostdeutschen Landsmannes Michael Ballack.

Aber, wie schade eigentlich, sie hielt sich zurück und hatte damit alles richtig gemacht. Nicht zu viel den Einzelnen gelobt, das Team hervorgehoben, bestätigt, was alle gesehen hatten, ohne die Wahrheit auszusprechen, dass nämlich die deutsche Mannschaft sehr mittelmäßig über den Platz geschlichen ist, während Michael Ballack mit Kraft, Direktheit und strategischem Gespür einen Sieg eingefahren hat, der ihn, aus deutscher Sicht, endgültig zur größten Hoffnung des Turniers gemacht hat. Es gilt nach wie vor das Wort Rudi Völlers: Alles darf passieren, nur Ballack darf nicht ausfallen.

Man könnte Verständnis haben für Angela Merkel, immerhin ist sie die Klassenlehrerin und darf die anderen etwas unbegabteren Kinder nicht demotivieren, indem sie ihnen den Abstand zum Primus vor Augen hält. Aber warum eigentlich nicht? Angela Merkels verhaltene Reaktion beschreibt ziemlich genau das Verhältnis der deutschen Öffentlichkeit zu Michael Ballack. Und darin ist Angela Merkel tatsächlich die Kanzlerin aller Deutschen. Eigentlich platzt man fast vor Stolz und Erleichterung, dass es endlich mal wieder einen Spieler der Marke Ballack gibt. Aber man traut sich nicht, diesem Prinzip Star, dem Prinzip Klassenbester zu huldigen.

Aber mal ehrlich: Welcher Spieler der letzten Jahre und Jahrzehnte wäre mit Ballack vergleichbar? Wenn man im Stadion sieht, mit welcher Bindungskraft Michael Ballack ein Spiel lenkt, und davon kann man am Fernsehschirm in der Tat nur einen Bruchteil erahnen, wenn man sieht, mit welch direkten und schnörkellosen Mitteln (die perfekte und unspektakuläre Variation gewinnbringender Pässe: kurz, lang, steil, quer, tief), wenn man erlebt wie Ballack das Spiel und sein Tempo bestimmt (in den besten Momenten wie ein Magnet, auf den alle anderen zehn Spieler gepolt sind), dann versteht man, wenn er selbst ab und an seine umher laufenden Kollegen, etwas genervt, aber immer kontrolliert, zurechtweist und antreibt.

Davon weiß Frau Merkel sicher ein Lied zu singen. Und dann auch noch das: Ballack ist der, der es geschafft hat. Er ist ausgewandert, hin zu dieser Zirkustruppe nach London, zu diesem für unsere biederen Biogasverhältnisse undurchsichtigen, ölmilliardenschweren Abramowitsch-Team, wo es ihm Trainer Mourinho (und vermutlich seine Kollegen) nicht gerade leicht gemacht haben.

Und gerade waren wir dabei, in das gewohnte opfermäßige wie schadenfrohe Gejammer ob dieses deutschen Schicksals, das wir mittlerweile aus unzähligen Auswandererdokus zur Genüge kennen, einzustimmen, siehe da, Ballack kommt nach seiner Verletzung wieder zurück. Körperlich noch stärker, ausdauernder, fordernder, Ballack hat Kraft getankt, er hat seine Verletzungspause in ein gewinnbringendes Sabbatical umgemünzt. Man kennt diesen Effekt aus dem Ausdauersport: Ein paar Monate körperlicher Entspannung und Regeneration wirken Wunder. Es muss also im Leben des Michael Ballack auch noch einen anderen Kraftquell geben außer permanenter Überforderung und narzisstischer Bespiegelung des Profisports. Irgendwie macht der Kerl alles richtig.

Deshalb greift auch das ganze Gefasel der letzten Tage vom ewigen Zweiten, vom tragischen Helden, vom König ohne Land (gemeint ist der fehlende Titel) überhaupt nicht. Auch wenn sich gerade fußballbegeisterte Theaterleute und theateraffine Sporthelden in diesen Pseudovergleichen gefallen: Wahrer werden sie dadurch nicht, denn letztlich ist das alles nur die üble Prophezeiung einer verunsicherten Öffentlichkeit, die sich bei diesem EM-Turnier hoffentlich nicht selbst erfüllt. Wenn man sieht, wie schnell Michael Ballack diese Kurzdepression nach dem verlorenen Champions-League-Finale überwunden hat, dann kann man nur dankbar sein, dass es den Spieler Michael Ballack gibt. Nicht nur, weil er der überzeugendste Fußballer ist, den wir seit langem aufzubieten haben, sondern auch weil er die nötige Distanz zu sich selbst und seinem eigenen Tun aufbringt.

Er weiß um seine Qualität, und zugleich kann er sie in die Ironie einer geglückten Erzählung verpacken. Auf die Interviewfrage, welches das schönste Kompliment sei, das er jemals bekommen habe, berichtete er, dass sein kleiner Sohn Luis zu ihm gekommen sei und voller Inbrunst zu ihm gesagt habe, er, Michael Ballack, sei der beste Spieler der Welt.

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