Occupy besetzt am Alex: Bewegung verliert Orientierung
Aktivisten besetzen erfolglos Gebäude am Alexanderplatz. Im Camp auf dem Bundespressestrand herrscht angespannte Stimmung. Kritik an hohem Stromverbrauch.
Sie hören einfach nicht auf: Am Dienstag versuchten Berliner Occupisten, ein neues Domizil zu erobern. Diesmal war das "Haus der Statistik" nahe Alexanderplatz ihr Ziel. Das Gebäude wartet seit 2008 auf den Abriss. Nachdem am Vormittag ein als Bauarbeiter getarntes Spähteam die Lage gesichtet hatte, stiegen gegen 15 Uhr etwa 20 Aktivisten in das Gebäude ein. Gegen 17.30 Uhr war die Aktion schon wieder beendet: Die Aktivisten gingen, bevor die Polizei einschritt. Die Eigentümerin, die Bundesimmobilienanstalt (BImA), hatte Räumungsbegehren bei der Polizei angemeldet: Man könne nicht für die Verkehrssicherheit des Gebäudes garantieren.
"Wir wollten auf ein zentrales Problem dieser Stadt aufmerksam machen und den Anschluss an die bestehende Hausbesetzerbewegung schaffen", sagte Aktivist Enkidu. Auch habe man den Druck auf die BImA erhöhen wollen. Der gehört auch das Gelände des Bundespressestrands, auf dem die Aktivisten bisher campen. Nach bisherigem Stand müssen sie die Fläche am Kapelleufer bis kommenden Montag räumen. Was sonst passiert, dazu wollte sich die BImA trotz mehrfacher Nachfrage nicht äußern. Stattdessen betonte Sprecher Guido Deus, man stehe in Kontakt mit den Aktivisten. "Es gibt keine Bemühungen der BImA, sich mit uns zu einigen", sagte hingegen Saskia Koch, Gründerin der Arbeitsgruppe Camp. Man habe bisher nur inakzeptable Angebote bekommen.
Umstrittene Aktionen
Nun also noch eine Besetzung. Wieder, liebe Berliner Occupy-Bewegung, habt ihr einen Paukenschlag angekündigt. Und diesmal das Haus der Statistik am Alexanderplatz okkupiert. Eine schöne Idee. Nur kamen nicht viele. Wieder mal.
Es scheint an der Zeit, Abschied zu nehmen. Ihr, die ihr seit Wochen für Demokratie pleniert und campt, ihr habts probiert - aber von einer gesellschaftsumwälzenden Bewegung ist noch immer nichts zu sehen. Dabei war die Ausgangslage nicht schlecht. Die Wut über Rettungsmilliarden für kriselnde Banken statt für Soziales, über das Auseinanderklaffen von Arm und Reich - wer teilt das nicht? Aber nach den Großdemos bliebt ihr Camper wieder unter euch. Ein Vergleich: Gerade erst rollte der Castor ins Wendland. Und der ganze Landkreis revoltierte. Bauern blockierten Gleise, Schüler demonstrierten, Omis schmierten Stullen für die Atomkraftgegner. Da wurde Wut zu Widerstand, fast kollektiv.
Sicher, das Finanzsystem ist ein abstrakterer Gegner als ein Zug voller Nuklearmüll. Aber dass selbst natürliche Partner wie Gewerkschaften oder Attac nicht (mehr) mitbesetzen, daran seid ihr nicht ganz unschuldig. Bis heute diskutiert ihr mehr übers Zelten als darüber, was ihr eigentlich wie verändern wollt. Und warum euer Weg erfolgversprechender sein soll als der anderer Kapitalismusgegner.
Klar, eure Revolution ist schon das neue Diskutieren, das Forum der Menge. Nur ist diese Menge verdammt klein. So bleibt eure Asamblea sicher eine feine Form der Selbstverständigung. Die Gesellschaft aber hat sie nicht verändert. Liebe Okkupisten, es hat nicht sollen sein. Konrad Litschko
Die immer neuen Besetzungsaktionen sind intern hoch umstritten: Am Montagabend drängen sich mehr als 40 Menschen zu einer Strategie-Asamblea im Gemeinschaftszelt des Camps. Die Stimmung ist aufgeheizt. Die Planer der Hausbesetzung stellen ihr Vorhaben vor, einige äußern Bedenken: "Wenn ihr Kräfte hier abzieht, spaltet ihr die Bewegung, statt inhaltliche Arbeit zu ermöglichen!"
Grund für die Anspannung ist neben mangelnder Planungssicherheit auch, dass viele Aktivisten mit der Situation im Camp unzufrieden sind. Zwar fanden am Wochenende die ersten Referentenvorträge über das Geldmarktsystem und die Ursachen der Finanzkrise statt. Aktiv sind nach Angaben von Camperin Saskia Koch im Moment aber vor allem die AGs Aktion und Camp - also solche, die sich mit Selbstorganisation beschäftigen. Die ist in der Tat eine Herausforderung: "Wir sind Berufstätige, engagierte Arbeitslose und Studenten, aber auch Obdachlose und Menschen, die ihren Weg noch finden müssen", beschreibt Aktivist Robert die Zusammensetzung.
Wie er sind am Montag einige der Meinung, dass die Koordination der heterogenen Gruppe aller Kräfte bedarf. Wie schlecht das bisher klappt, manifestiert sich möglicherweise am bisherigen Umgang der Camper mit Strom- und Wasserversorgung am Bundespressestrand. Die Besitzerin der ehemaligen Strandbar, Johanna Ismayr, erlässt die entsprechenden Kosten den Aktivisten bis auf 500 Euro. Doch während die Versammlung über die Höhe des Verbrauchs geschockt ist, kommt die Zahlbereitschaft unter den Aktivisten erst nach einigen harten Worten zusammen.
Der Nutzen eines großen Camps ist nicht mehr allen klar: Eine alleinerziehende Mutter, die sich an den Versammlungen beteiligt und Lebensmittel spendet, sagt: "Hier kann man mit seinen Kindern gar nicht mehr hinkommen, die Atmosphäre ist viel zu unruhig." Sie ergänzt: "Worum es gehen sollte, ist doch das gemeinsame Arbeiten und die gemeinsame Kommunikation."
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