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Obszön, aber herzlich

Jedes Bild steht für sich: In dem Roman „Mau Mau“ nimmt Elke Naters aus zwei Perspektiven eine Freundesgruppe im Urlaub ins Visier

Mau-Mau gehört zweifellos zu den anspruchsloseren Kartenspielen. Mit solchen Spielen vertreiben sich Leute, die sich zwar mögen, sich aber wenig zu sagen haben, die gemeinsame Zeit. Mau-Mau ist eine Angelegenheit für den Urlaub, für Freunde, die zusammen verreisen, und wenn ihnen dann öde zumute ist, kann so ein Kartenspiel die Stimmung retten. So wie die Fotokameras, die ausgepackt werden, um den faden Spaß am Kartentisch als großartige Ausgelassenheit im Bild festzuhalten. Wer bei einem Spiel wie Mau-Mau ständig verliert, muss wirklich ein Loser sein.

Bei Elke Naters heißt der Verlierer Frank. Frank gehört zu Mika, die bestimmt, wie die Abende der Urlaubsgruppe laufen, was gespielt wird und ob der Abend fröhlich wird oder nicht. „Wenn Mika geht, folgt ihr Frank meist bald und ich bleibe mit Susanne und Carsten zurück.“ Elke Naters weiß nicht nur über die zwanghaften Fotoarien von Urlaubsreisenden Bescheid, sie fotografiert selbst, und die Bilder auf dem Umschlag ihres neuen Romans „Mau Mau“ stammen denn auch von ihr. Wie dieser Umschlag ist ihr Buch als Diptychon angelegt. Das linke Bild, das zuerst in den Blick kommt, wird von Ida in einer halbnahen Einstellung festgehalten. Dass sie die Ich-Erzählerin ist, die mit Susanne und Carsten zurückbleibt, wenn Mika und Frank gegangen sind, erfährt der Leser aber erst im zweiten Bild, der nachfolgenden Naheinstellung, wenn ausgerechnet Mika das Wort ergreift.

Zu diesem Zeitpunkt nämlich hat die Leserin Mika schon als Egozentrikern sondergleichen kennen gelernt und erfahren, dass der durch und durch unscheinbare Frank sich jeden Abend betrinkt, um wenigstens für kurze Zeit nicht ganz so einfallslos zu sein, wie er gewöhnlich erscheint. Mit Carsten, der ständig Pillen schluckt, die ihn dann ebenso andauernd gut gelaunt sein lassen, kommt der stets bestens gekleidete Narziss ins Bild. Und da ist schließlich die Schöne, Susanne, die von ihrer Schönheit aber nichts weiß.

Ida kommt in ihrer Gruppenaufnahme ohne größere Tiefenschärfe aus. Die Kulisse bleibt unbestimmt, nur das direkte Umfeld der handelnden Personen erscheint im Bildausschnitt: das Restaurant, in dem sich die fünfköpfige Freundesgruppe zum Abendessen und Kartenspielen trifft; der Strand, an dem der Wettbewerb um die Sonnenbräune ausgetragen wird, die das Signum für das Gelingen des Urlaubs ist, und das Krankenhaus, in das Frank schließlich gebracht werden muss. Naters’ Fokus freilich ist in dieser Distanz um so schärfer auf die Personen eingestellt, und es gelingt ihr, deren glamouröse und gleichzeitig brüchige Selbstdarstellung in gültigen Porträts festzuhalten. Ida, die Eigenbrötlerin, erscheint bei Naters kühl und gelassen, aus ihren scharfsichtigen, aber keinesfalls böswilligen Beobachtungen spricht eine selbstbewusste, wache Intelligenz. Und je mehr man der Spannung ihrer Schilderung der unterschwelligen Konflikte der Gruppe unterliegt, desto neugieriger wird man auf sie.

Um so verblüffender und eben um so raffinierter ist dann Elke Naters’ Perspektivwechsel in die Naheinstellung. Hier, in Mikas Darstellung des zuvor schon als misslungen, wenngleich als viel fotografiert geschilderten Geburtstags und des nachfolgenden Krankheitsfalls ist von Ida nicht mehr weiter die Rede. Denn Ida hat Recht: Mika ist die Egozentrikerin, die keine andere sieht und keinem anderen zuhört, es sei denn, es handle sich um den unscheinbaren, schweigsamen Frank, den sie liebt. Warum, das ist auch ihr ein Rätsel. Denn in Mikas Perspektive sieht Frank keineswegs besser aus als in der von Ida. „Es gibt keinen offensichtlichen Grund, Frank zu lieben. Es war weder so, dass er mir gefallen hätte, im Gegenteil, ich finde sein Aussehen bis heute lächerlich. Er ist weder geistreich noch lustig, er macht nichts und kann nichts“: auch in dieser Amour fou heißt das Geheimnis Sex.

Und da zeigt der entscheidende Satz, wie das Motiv des ersten Teils noch einmal präziser in den Fokus gerät, wie es gesteigert wird, wie der Blick auf die Details in der Nahen Nähe erzeugt und Liebe provoziert, wovon die kluge Ida keine, die so selbstbezogene Mika aber eben eine ganze Menge Ahnung hat: „Frank hat schöne Zähne und einen schönen Schwanz. Zwei Vorzüge, die meistens im Verborgenen liegen. Deshalb liebe ich es, ihn zu erregen und zum Lachen zu bringen.“ Wie durchtrieben der obszöne Blick der Frau ist, die mutwillig die prekäre Grenze zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem aufhebt und dabei doch mit dem Herzen sieht, wurde selten schöner gesagt.

Elke Naters’ „Mau Mau“ besticht durch seine Konstruktion, mit der die Autorin weniger eine literarische als eine visuelle Strategie verfolgt. Das Diptychon erlaubt ihr, die nahe liegende, erwartbare Dekuvrierung von Idas Sicht der Dinge einfach zu übergehen. Es gibt kein falsches Bild. Schon gar keines, das durch ein anderes zurechtgerückt werden könnte. Jedes Bild steht für sich. Das eine nimmt eine Freundesgruppe ins Visier, das andere eine Liebe. Naters’ schlanke, unprätentiöse und stilsichere Sprache verleiht ihrem zweigeteilten Bild schließlich jenes matt glänzende Finish, das es dem Betrachter leicht macht, die überaus gelungene Arbeit genau zu studieren. BRIGITTE WERNEBURG

Elke Naters: „Mau Mau“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2002, 176 S., 16,90 €

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