Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart: Grüne Qual vor wichtiger Wahl
Nach der Volksabstimmung zum Bahnprojekt Stuttgart 21 haben es die Grünen schwer. Nun suchen sie nach einem Kandidaten für die Oberbürgermeisterwahl.
STUTTGART taz | Die Volksabstimmung zugunsten von Stuttgart 21 hat nicht nur den Gegnern des Bahnprojekts eine schmerzhafte Niederlage zugefügt. Sie erschwert den Grünen auch den nächsten Wahlkampf: den um das Amt des Stuttgarter Oberbürgermeisters. Das Votum hat die Aussicht auf das zweitwichtigste Amt in Baden-Württemberg betrübt und die Kandidatensuche erschwert.
Wo sich sonst die baden-württembergischen Grünen-Schwergewichte gern nach vorn gedrängelt hätten, um der CDU im nächsten Herbst endlich den renommierten Posten abzujagen, herrscht nun Verunsicherung. Boris Palmer, der sich im Kampf gegen S 21 weit nach vorn gelehnt hatte, hält sich bedeckt: "Ich bin gern OB in Tübingen und will meine Aufgabe hier erfüllen."
Währenddessen schielen andere in Richtung Bundesebene und damit auf Cem Özdemir. Doch ob sich der Grünen-Chef nach der Erfahrung von Renate Künast in Berlin und der verlorenen Volksabstimmung zur Verfügung stellt, gilt als fraglich.
Noch bis vor wenigen Monaten hätte die grüne Stimmung im Ländle nicht besser sein können. Dank des Streits über den Tiefbahnhof und ihrem klaren Nein gewannen die Grünen im März die Landtagswahl und stellen mit Winfried Kretschmann sogar bundesweit erstmals einen Ministerpräsidenten. Doch mittlerweile ist die Enttäuschung gewachsen, weil die Grünen nicht gegen die Mischfinanzierung des Projekts vorgehen.
"Keine einfache Situation"
Und nun das relativ deutliche Votum bei der Volksabstimmung gegen den Ausstieg, bei der sich sogar die Stuttgarter mehrheitlich für den Weiterbau ausgesprochen haben. Zwar können die Grünen nun stets auf Volkes Willen verweisen. Doch für die Stuttgarter OB-Wahl haben die Grünen das emotionale Wahlkampfthema verloren.
"In der Stadt gibt es auch viele andere Themen, bei denen es den Wunsch gibt, dass ein neuer OB frischen Wind reinbringt", sagte Grünen-Landesvorsitzende Thekla Walker. Gleichwohl weiß sie, dass auch die Volksabstimmung und der Bau von S 21 die Aufgabe nicht gerade leichter machen: "Für jeden, der da kommt, wird das keine einfache Situation." Intern geben Grüne zu, dass die OB-Wahl leichter gewesen wäre, wenn sie vor der Volksabstimmung stattgefunden hätte.
Mit der Suche nach einer Kandidatin oder einem Kandidaten wurde jetzt eine große Findungskommission beauftragt, an der von den Landes- und Kreisvorsitzenden über den Bundesvorsitzenden Cem Özdemir bis hin zu Vertretern der Basis viele beteiligt sind. Bereits am 9. Januar will der amtierende Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) bekanntgeben, ob er ein weiteres Mal antritt. Damit könnte er die Grünen unter Zugzwang setzen.
Lokalgröße im Vordergrund
Palmer, baden-württembergischer Star, hat seine Erfahrungen mit Stuttgart bereits gemacht. Der 39-Jährige trat 2004 an und lag nach dem ersten Wahldurchgang hinter Amtsinhaber Wolfgang Schuster (CDU) und der SPD-Kandidatin Ute Kumpf auf Rang drei. Palmer zog damals nach einem Gespräch mit Schuster seine Kandidatur für den zweiten Durchgang zurück. Palmer sagte damals, Schuster habe ihm unter anderem die Möglichkeit eines Bürgerentscheids über S 21 eingeräumt. Für die SPD wäre er damit untragbar und müsste das Risiko tragen, ein zweites Mal in Stuttgart zu scheitern.
Wer nun auf die KandidatInnenliste kommt, dürfte sich auch an Schusters Entscheidung ausrichten. Infrage käme Werner Wölfle, grüne Lokalgröße, der sich ähnlich wie Palmer durch den S-21-Streit in den Vordergrund gerückt hatte. Der ehemalige Stadtrat und Landtagsabgeordnete ist aber in Stuttgart inzwischen Bürgermeister für Allgemeine Verwaltung und Krankenhäuser. Eine Kandidatur von ihm käme wohl nur infrage, wenn der über ihm stehende Schuster nicht antritt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut