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Obdachlosencamp geräumtNächtliche Hauruckaktion

Das Obdachlosencamp an der Rummelsburger Bucht wird mit Polizei und Baggern geräumt. Kritik von den Grünen. Sympathisanten demonstrieren.

Die Polizei unterstützt die Räumung des Obdachlosencamps an der Rummelsburger Bucht Foto: Christian Mang

Berlin taz | Am Samstagnachmittag versuchen einige ehemalige Be­woh­ne­r*in­nen des Camps an der Rummelsburger Bucht noch zu retten, was zu retten ist. Zwei Menschen schieben einen Handwagen, beladen mit zerfransten Koffern, durch das Loch im Zaun an der Kynaststraße unweit vom Ostkreuz. Polizei und Security überwachen das Geschehen, nur unter Begleitung dürfen die Be­woh­ne­r*in­nen auf das Gelände, um ihre Habe aus ihren Behausungen mitzunehmen. Wenige Meter weiter reißen Bau­ar­bei­te­r*in­nen mit Baggern bereits erste Verschläge weg. Vor dem Zaun protestieren knapp hundert Menschen gegen die Räumung.

Am Freitagabend hatte das Bezirksamt Lichtenberg beschlossen, das Obdachlosencamp an der Rummelsburger Bucht, eines der größten in Berlin, zu räumen. Angesichts des Wintereinbruchs mitsamt tiefen Minusgraden und starken Schneefällen könne die Sicherheit der Be­woh­ne­r*in­nen in dem Camp nicht mehr gewährleistet werden, so Kevin Hönicke (SPD), stellvertretender Bürgermeister des Bezirk Lichtenbergs, der am Samstag ebenfalls vor Ort war. „Die Lage ist sehr bedrohlich.“

Laut offizieller Darstellung des Bezirks seien ab Freitagabend So­zi­al­­­ar­bei­te­r*in­nen im Camp gewesen, um die Entscheidung den Be­woh­ne­r*in­nen mitzuteilen. Ab 22 Uhr war dann auch die Polizei vor Ort, um das Camp zu evakuieren, der Einsatz ging bis spät in die Nacht. Physischer Zwang sei nicht angewendet worden, hieß es. Den Menschen sei angeboten worden, eine bislang ungenutzte Unterkunft der Kältehilfe in der Nähe zu beziehen. „50 Leute haben das Angebot auch angenommen“, sagte Hönicke. Diese seien mit angemieteten BVG-Bussen in die Unterkunft gebracht worden.

Doch fragt man Bewohner*innen, zeichnet sich ein etwas anderes Bild. Viele von ihnen fühlten sich von der nächtlichen Aktion überrumpelt. „Man hätte wenigstens ein paar Tage vorher Bescheid sagen können“, kritisiert Raffi, der schon seit mehreren Monaten in dem Camp lebt. „Dann hätte ich wenigsten in Ruhe meine Sachen zusammensuchen können.“

Hier lebten rund 100 Menschen

Das Obdachlosencamp liegt auf einer Brachfläche in der Nähe des Ostkreuzes. Seit mehreren Jahren bietet es Obdachlosen, Punks, Aussteiger*innen und Wanderarbeiter*innen aus Osteuropa eine Zuflucht. Zuletzt lebten hier rund 100 Menschen in selbst gebauten Hütten. Auf der Brache soll in wenigen Monaten das umstrittene Aquarium „Coral World“ errichtet werden. (jowa)

Von den Grünen kritisiert

Raffi berichtet, er sei Freitag erst nachts zum Camp zurückgekehrt. Die Polizei habe ihn nicht mehr aufs Gelände gelassen, er musste „die Nacht bei Minusgraden im Freien verbringen“. Im Camp hatte er eine kleine Hütte mit einem Ofen – jetzt muss er sich mitten im Winter einen neuen Ort suchen und bei null anfangen. In die Sammelunterkunft der Kältehilfe möchte Raffi nicht.

Noch schlimmer erging es Jess, sie lebte in einem Wohnwagen auf der Brache. „Man sagte mir, ich solle den Wohnwagen heute abholen“, berichtet die 37-Jährige sichtlich erschüttert, „aber als ich heute vormittag kam, war er bereits komplett zerstört“. Ein Twitter-User filmte, wie einer der Bagger den Wagen zerstörte, auch die taz konnte die Überreste vor Ort begutachten.

Zeitweise gelang Sympathisant*innen, einen Bagger lahm zu legen Foto: Christian Mang

Scharf kritisiert wurde die Räumung auch von den Grünen: „Mein Eindruck ist, dass das Bezirksamt eine sehr kurzfristige nächtliche Hauruckaktion veranlasst hat. Ein Angebot zum Umzug hätte auch heute bei Tageslicht veranlasst werden können“, kritisiert Bezirksverordnete Daniela Ehlers in einer Pressemitteilung. Unklar sei auch, was mit denen passiere, die das Angebot der Unterbringung nicht angenommen hätten.

Un­ter­s­tüt­ze­r*in­nen des Camps mobilisierten am Samstag zu einer Protestkundgebung vor dem Camp. Die Protestierenden halten das Argument der Kältehilfe nur für vorgeschoben, um die lange beabsichtigte Räumung des Camps zu rechtfertigen. „Die kälteste Woche des Jahres, und die Berliner Polizei und Politik hat nichts Besseres zu tun, als den Ärmsten der Armen ihre Unterkunft, Feuerstellen und Besitz wegzunehmen“, heißt es in dem Aufruf.

Die Bagger kommen

Zeitweise schien es, als wolle der Eigentümer, die Coral World GmbH, schnellstmöglich mit Baggern Fakten schaffen. Auf Einwirken des Bezirks konnte zunächst eine weitere Zerstörung des Camps verhindert werden. „Eine Beräumung wurde zunächst untersagt“, erklärte Hönicke noch am Samstagmittag. Bei Verhandlungen mit einer Vertreterin des Eigentümers konnte erreicht werden, dass die Be­woh­ne­r*in­nen bis nächsten Freitag die Gelegenheit hätten, ihr Habe zu sichern.

Doch nur wenige Minuten später rissen die Bagger weitere Verschläge weg. Zwischenzeitlich gelang es einigen Ak­ti­vis­t*in­nen, einen Bagger zum Stillstand zu bringen, indem sie sich auf den Greifarm setzten. Wenige Stunden später wurden sie allerdings von der Polizei geräumt. Kevin Hönicke sagte dazu, der Bezirk habe bei der privaten Fläche wenige Möglichkeiten: „Die Verantwortung dafür, was dort geschieht, liegt bei dem Eigentümer.“

Caspar Tate, ein Mitarbeiter des Vereins Trans*Sexworks, die einige trans* Sex­ar­bei­te­r*in­nen aus Bulgarien in dem Camp betreute, kritisierte die schlechte Kommunikation im Vorfeld der Räumung. „Es wurde ohne Dol­met­sche­r*in­nen in das Camp gegangen, außerdem waren die Sex­ar­bei­te­r*in­nen zu der Zeit gar nicht zu Hause.“

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5 Kommentare

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  • @BAM SCHAFFT Aber Sie haben natürlich völlig Recht, es braucht einfach Flächen in der Stadt die Menschen ohne Wohnung für sich nutzen können. Und ich sage bewusst in der Stadt und nicht in Neu-Hohenschönhausen, oder sonst wie weit entfernt von jeder Infrastruktur.

    Es wird auch beim Kampf um ein Recht auf Wohnen oft vergessen, dass es durchaus einige Menschen gibt die aus Überzeugung "Platte machen."

    Das wir heute kaum mehr eine Kultur der Fahrenden haben liegt ja auch nur an einer über hundertjährigen Politik der Sesshaft- Machung durch diskrimminierende staatliche Maßnahmen. Zwangsansiedlungen, wie etwa das berüchtigte Lager in Marzahn aus dem Roma und Sinti direkt in die Vernichtungslager deportiert wurden.

    Dabei darf nicht vergessen werden dass die Zwangsansiedlungspolitik auch schon in der Weimarer Zeit betrieben wurde und diese Kontinuität auch in der BRD fortbestand. Anders als im NS haben diese deutschen Staaten eben weniger auf´s Blut fokussiert sondern die Kultur des fahrende Lebens an sich diskreditiert und mit ihren Ansiedlungsprojekten weitgehend zerstört....

    Aber wie die Geschichte zeigt bringen historische Brüche und materielle Ungleichheit auch immer wieder neue Nomaden hervor ... Es wäre an der Zeit humane Wege des Umgangs mit diesen Lebensrealitäten zu finden. Ab ins Heim, an den Stadtrand oder in die Sozialsiedlung hat oft den Stolz der Menschen auf ihre Eigenständigkeit untergraben und ihre tradierten Formen von Selfempowerment zersetzt.

    Wäre also wirklich toll, wenn es Wohnungen für alle gibt die wohnen wollen und Wagen für alle die draußen stehen, oder fahren wollen. Nicht zu vergessen: Friede den Hütten!

  • @BAM SCHAFFT aber ich hab doch gar keine Wohnung meine Herz. Lebe auf 12mq Untermiete ohne Küche ... soll ich Unteruntermieter*innen in meinem Wäschekorb ein warmes Bett bereiten?

    ich wollte auch mit der Nummer nur eine existenzielle Nothilfeeinrichtung bekannter machen ... das ist ja keine Lösung sondern, nur ein ernüchterndes Fazit dessen was jede/r unter den gegbenen miesen Umständen immer noch tun kann. Wohlwissend das Berliner WGs heute nicht mal Raucher dulden die in ihren eigenen Zimmern qualmen ... ich bin da nicht so, aber meine Matratze gehört mir.

  • Genau, also die Sozialsenatorin der Linkspartei erklärte vor kurzem, sie wolle Obdachlosigkeit in Berlin abschaffen.



    Wie, und in welchem Haus oder Hotel werden die 100 Menschen untergebracht?

  • Das Camp war ein Ort der Selbsthilfe in dem wohnungslose Menschen anders als in Wohnheimen selbstbestimmt leben konnten. Das heißt sie konnten zusammen mit ihren Tieren leben, konnten selber über ihren Substanzkonsum entscheiden und konnten nachhause kommen wann sie wollten, bzw. wann ihr Arbeitstag das zuließ.



    All dieser Möglichkeiten wurden sie beraubt.

    Wer die Berichterstattung über das Camp verfolgt hat wusste das hier Menschen lebten die sich nicht als Objekte öffentlicher Wohlfahrt verstanden, sondern ihr Leben selbst gestalten wollten.







    Das ganze als Kälteschutzmaßnahme auszugeben wie Bezirksbürgermeister Hönicke es tut ist eine dreiste Lüge. Das Camp stand den Bauplänen der Coral World im Weg und schon im vergangen Jahr waren Bewohner*innen trotz Pandemie keine Sanitäreinrichtungen mehr zur Verfügung gestellt worden wie noch in den Jahren zuvor. Mit der Hauruck Aktion wollten Bezirksverantworlichen einfach den absehbaren politischen Widerstand gegen die Räumung verhindern. Dafür nimmt der Bezirk Lichtenberg offenbar Kältetote gerne in Kauf.

    Und ja, auch ohne diese Aktion wäre das Camp irgendwann in diesem Jahr geräumt worden. Wenn aber Menschen ausgerechnet im härtesten Wintereinbruch seit Jahren aus ihren selbstbeheitzten Unterkünften vertrieben werden handelt der Bezirk schlicht eiskalt anti-sozial. Wozu soll eigentlich die Linke gut sein, wenn die in "ihrem" Bezirk Leute bei zweistelligen Minusgraden auf die Straße setzen. Über den Verteiler reflectinfo war zu erfahren das das gestellte Übernachtungsangebot nur für eine Nacht galt ... also stehen selbst diejenigen die sich darauf einließen wieder draußen und wurden in vielen Fällen auch ihrer letzten Habe beraubt ...

    Big Shame on you Lichtenberg

    wer draußen auf Menschen trifft die Hilfe suchen kann den Kältebus anrufen: 01785235838

    • 2G
      2830 (Profil gelöscht)
      @LuckyLulu :

      Die erste Hälfte ihres Kommentars entspricht ganz meiner Überzeugung. So eine Favela eignet sich für ein soziales Zusammensein und selbstbestimmtes Leben. Nur leider auf einem verkauften Grundstück mit einer demokratisch erteilten Nutzung. Zum Einen für Wohnen, zum Anderen gewerblich. Ich finde es anmaßend darüber richten zu wollen. Stadt ist Veränderung. Mist, ist dass Senat und Bezirk keine Flächen zur Verfügung stellen wo solches Wohnen möglich ist.



      Absolut überraschend und respektvoll wäre nicht die Nummer der Kältehilfe, Verantwortung zu delegieren, sondern die Privatnummer anzugeben.