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Obamas AtompolitikJa, wir können reden

US-Präsident Obama hat eine Welt ohne Atomwaffen heraufbeschworen. Dennoch setzt er auf nukleare Abschreckung - und wird aus einer Position der Stärke hinaus verhandeln.

Gerät das Image des Friedensengels Obama ins Wanken? Bild: dpa

"Wir sehen eine dramatische Veränderung in der Atomwaffenpolitik." Joseph Cirincione, Direktor des Washingtoner Ploughshares Fund und einer der renommiertesten Rüstungskontrollexperten der Vereinigten Staaten, kann wie viele seiner Kollegen in den Thinktanks der US-Hauptstadt seinen Enthusiasmus kaum verbergen. "Es gibt einen harten Bruch", da ist er sich sicher, wenn er nach der Atomwaffenpolitik des neuen Präsidenten gefragt wird, der schon bei seiner Berliner Rede im Juli letzten Jahres von der Vision einer Welt ohne Atomwaffen sprach.

Die deutsche Debatte

Die Bundesregierung verweigert dem Parlament weiterhin jede Information über in Deutschland stationierte Atomwaffen. In der Antwort auf eine große Anfrage der Grünen, in der unter anderem nach den verblieben Bomben im rheinland-pfälzischen Büchel gefragt wurde, verweist die Regierung auf "Geheimhaltungsregelungen des Bündnisses". Aufgrund dieser Regelungen würden "Spekulationen zu Lagerung, Anzahl und Abzug von Nuklearwaffen weder verneint noch bestätigt". Weiter heißt es in der offiziellen Stellungnahme, die morgen im Bundestag debattiert wird, Zweck der Nato-Atomwaffen sei die "Wahrung des Friedens, Verhinderung von Zwang und jeder Art von Krieg." Anfang des Jahres hatten Altkanzler Helmut Schmidt, Altbundespräsident Richard von Weizsäcker sowie Egon Bahr und Hans-Dietrich Genscher gefordert, "dass die restlichen amerikanischen Atomsprengköpfe aus der Bundesrepublik Deutschland abgezogen werden sollten". EC

Der Optimismus scheint weit über die Grenzen Washingtons hinauszugehen. Am Mittwoch ließ die russische Regierung verlauten, sie werde vorläufig von ihren Plänen absehen, in Kaliningrad atomar bestückte ballistische Raketen aufzustellen. Sie waren als Antwort auf die unter Präsident George W. Bush angekündigte Stationierung von Raketenabwehrsystemen in Polen und Tschechien gedacht.

Die US-Raketenabwehrpläne sind allerdings auch mit Barack Obama nicht vom Tisch. Angekündigt hat der neue Präsident, dass er nur ein System unterstütze, das sich die Vereinigten Staaten auch tatsächlich leisten können. Und es müsse "effektiv" sein. Bislang gibt es keine Anzeichen dafür, dass das Programm zurückgefahren wird.

Auch von einer Neuauflage des unter Bush gekündigten ABM-Vertrags, der Raketenabwehrsysteme auf russischer wie amerikanischer Seite begrenzte, wird nicht gesprochen. Ebenso wie Präsident Bill Clinton die Abwehrprogramme seiner Vorgänger Ronald Reagan und George Bush senior weiterlaufen ließ, wird dies auch von Obama erwartet. Der neue Präsident, so hat er schon vor der Wahl verkündet, will ebenso wie seine Vorgänger eine Raketenabwehr, doch will er sie, wie in einem seiner programmatischen Papiere formuliert, "the smart way".

In der russischen Mitteilung heißt es denn auch höchst zurückhaltend, die Aufstellung der Waffen sei "ausgesetzt worden", weil die neue US-Regierung die Pläne zur Stationierung von Abwehrsystemen in Osteuropa "nicht mit Nachdruck" verfolge. Es waren wohl keine russischen Geheimdiensterkenntnisse über Änderungen in der Programmplanung des Pentagons, die zu dem Kurswechsel geführt haben. Vielmehr dürften zwei Worte in der Antrittsrede Obamas das russische Einlenken erklären. "Mit alten Freunden und mit ehemaligen Feinden werden wir unermüdlich daran arbeiten, die atomare Bedrohung zu verringern", hatte der frisch vereidigte Oberbefehlshaber vergangene Woche auf den Stufen des Kapitols verkündet. Und mit den "ehemaligen Feinden", die nun wieder ernst genommen werden sollten, waren selbstverständlich die Russen gemeint.

Tatsächlich werden sich die USA wieder ernsthaft an die Verhandlungstische in Moskau, Washington und Genf setzen. Das ist nach acht Jahren einer US-Regierung, die ihre Hauptaufgabe bei Rüstungskontrollverhandlungen darin sah, jegliches Gespräch zu torpedieren, in der Tat ein Umbruch. "Wir werden mit Russland die Verständigung über weitere Waffenreduzierungen unter dem Start-Abkommen suchen", sagte die jetzige Außenministerin Hillary Clinton Mitte Januar vor dem Senatsausschuss für Auswärtige Angelegenheiten. Außerdem werde die Obama-Regierung auf "eine Ratifizierung des Teststoppvertrags hinarbeiten". Und auch die Verhandlungen über den Produktionsstopp von spaltbarem Material würden unter dem neuen Präsidenten wiederaufgenommen.

Die neuen Verhandlungen werden wohl zumindest dazu führen, dass die im kommenden Jahr anstehende Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrags über Atomwaffen nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Angesichts der offensiv vorgetragenen Gesprächsbereitschaft der USA dürfte sich die Stimmung unter den für den Vertrag zuständigen Diplomaten in aller Welt schon jetzt verbessert haben. Doch weder ein Teststoppvertrag noch eine Produktionsstopp für spaltbares Material wird das Atomwaffenarsenal der USA in irgendeiner Weise einschränken: Die älteste Atommacht der Welt hat mehr als genug Bombenstoff gelagert, Testexplosionen hat sie zum Erhalt des Arsenals nicht mehr nötig, und ob am Ende der Verhandlungen mit Russland die mehr als 5.000 derzeit stationierten US-Atomwaffen tatsächlich erheblich reduziert werden müssen, ist zumindest fraglich.

Ob die Welt allein durch zahlenmäßige Abrüstung sehr viel sicherer würde, ist jedenfalls umstritten. "Wenn sowohl die Vereinigten Staaten als auch Russland über weit mehr Atomwaffen verfügen, als sie benötigen", warnt der Atomwaffenexperte Hans Kristensen von der Washingtoner Federation of American Scientists, "dann liegt die Versuchung nahe, sich nur mit Zahlen und nicht mit den Details zu befassen."

Dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt hat Obama im Übrigen schon vor seinem offiziellen Amtsantritt faktisch einen Riegel vorgeschoben. "Solange Atomwaffen existieren", so ließ der da noch designierte Präsident Ende letzten Jahres verlauten, "werden die Vereinigten Staaten eine starke atomare Abschreckung aufrechterhalten."

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