Obama lässt Gefangenenlager bestehen: Guantánamo-Versprechen gebrochen
US-Präsident Obama hat die Wiederaufnahme der Militärprozesse im Gefangenenlager Guantánamo angekündigt. Und ist damit eingeknickt.
WASHINGTON taz | Zwei Jahre, einen Monat und 18 Tage hat es gedauert. Dann ist Barack Obama eingeknickt: Guantánamo, das Gefangenenlager für mutmaßliche Terroristen aus dem Ausland, bleibt bestehen. Die Militärgerichtsverfahren außerhalb des Rechtsstaats können weitergehen. Die unbefristete Gefangennahme bleibt bestehen. Und einen Termin für die - offiziell immer noch angestrebte - Schließung der 2002 von George W. Bush auf einer Navy-Basis am Südostzipfel von Kuba eröffneten Einrichtung gibt es nicht mehr.
Einzige nennenswerte Veränderung gegenüber dem bisherigen Status ist, dass künftig bei der Überprüfung der Inhaftierung der Guantánamo-Insassen auch VertreterInnen anderer US-Regierungsstellen als das Militär beteiligt werden sollen. Seit der Eröffnung von Guantánamo ist es die dritte neue Regelung für solche Überprüfungen.
Obama unterzeichnete seine Verfügung über das Beibehalten von Guantánamo am Montag in Washington. Das Dokument, so erklärten Weiße-Haus-Mitarbeiter in einer anschließenden Telefonkonferenz, öffnet den Weg für die Wiederaufnahme der Militärgerichtsverfahren in Guantánamo. Schon "in den nächsten Tagen oder Wochen" könnten die Prozesse wieder beginnen. Zuvor müsse Verteidigungsminister Robert Gates noch eine entsprechende Anordnung unterschreiben.
Nach seinem Amtsantritt am 22. Januar 2009: "Das Gefangenenlager von Guantánamo soll so bald wie möglich geschlossen werden, spätestens aber innerhalb eines Jahres von nun an."
Am 21. Mai 2009: "Es gibt keinen Zweifel, dass Guantánamo der moralischen Autorität unseres Landes geschadet hat […]. Als Erstes habe ich die Anwendung der sogenannten erweiterten Verhörtechniken durch die Vereinigten Staaten verboten. Die zweite Entscheidung war die Anordnung, Guantánamo Bay zu schließen. Meine dritte Entscheidung war, die Überprüfung aller in Guantánamo anhängigen Fälle anzuordnen."
Über die Order des Weißen Hauses am 7. März 2011: "Militärtribunale sind ein verfügbares und wichtiges Werkzeug im Kampf gegen internationale Terroristen." In der Erklärung heißt es auch, der Präsident sei "weiterhin entschlossen, Guantánamo zu schließen. (taz)
Vermutlich werden als Erste nicht die mutmaßlichen Drahtzieher der Attentate vom 11. September 2001 vor Gericht kommen - darunter der selbst erklärte "Master Mind" Khalid Sheik Mohammed. Die US-Militärbehörden werden stattdessen zunächst drei Verfahren gegen andere, weniger prominente Insassen von Guantánamo eröffnen: Als Erster dürfte der aus dem Jemen stammende Saudi-Araber Abd al-Rahim al-Nashiri vor Gericht kommen. Er ist angeklagt, die Attacke vom Oktober 2000 gegen das Kriegsschiff "USS Cole" im Hafen von Aden geplant zu haben, bei der 17 US-Amerikaner ums Leben kamen.
Al-Nashiri, der im Jahr 2002 in Dubai gefangen wurde, erklärt, dass er danach in Polen gefoltert worden sei. Das zweite Verfahren wird sich vermutlich gegen Obaidullah richten. Der Afghane, der nur diesen einen Namen benutzt, ist angeklagt, für al-Qaida in Afghanistan Minen und anderes Sprengmaterial versteckt zu haben. Obaidullah wurde 2002 in Afghanistan gefangen genommen. Er sagt, die Minen hätten nicht ihm, sondern einem früheren Bewohner seines Hauses gehört. Und der habe sie unter der sowjetischen Besetzung bekommen.
Das dritte Militärgerichtsverfahren in Guantánamo nach Obamas Anordnung könnte sich gegen Ahmed al-Darbi richten. Der Mann aus Saudi-Arabien ist 2002 in Haft gekommen. Er soll in einem Al-Qaida-Lager unterrichtet und ein Boot sowie elektronisches Material für einen Angriff auf ein unbekanntes Schiff in der Straße von Hormus gekauft haben. Zu der Attacke kam es nicht. Ein Anwalt erklärt, al-Darbi habe das Boot lediglich für Freizeitzwecke benutzen wollen.
Obama hatte in seinem Wahlkampf und bei seinem Amtsantritt im Januar 2009 versprochen, dass er Guantánamo schließen werde. Der neue Präsident hatte dafür auch einen Zeitrahmen gesetzt: ein Jahr. Seit Januar 2009 hat in Guantánamo, wo weiterhin 172 Männer inhaftiert sind, nur ein komplettes Militärverfahren stattgefunden. Dabei wurde im vergangenen Jahr der kanadische Kindersoldat Omar Khadr zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt wegen Mordes an einem US-Soldaten im Zuge einer stundenlangen militärischen Auseinandersetzung im Jahr 2001 in Afghanistan. Nach Absitzen eines Teils seiner Strafe soll Khadr von Guantánamo nach Kanada überführt werden.
Die lange von der Obama-Verwaltung geprüfte Überführung der Insassen von Guantánamo in die USA ist gescheitert. Gegen die Versuche, das mutmaßliche Mastermind der Anschläge vom 11. September in New York und später auch an anderen Standorten vor Gericht zu stellen, machten sich auch lokale Behörden stark. Sie argumentierten mit dem Sicherheitsbedarf. Und mit den für einen solchen Prozess verbundenen hohen Kosten.
Ein weiterer Meilenstein auf dem Weg der Verhinderung der Übertragung der Terrorprozesse an die zivile Justiz in den USA war das Urteil am Ende eines Verfahrens im vergangenen November in New York. Dort sprach ein Geschworenengericht einen Tansanier in mehr als 200 Punkten frei. Wegen seiner Beteiligung an einem Bombenattentat gegen die US-Botschaft im Jahr 1998 erhielt er zwar dennoch eine lebenslängliche Haftstrafe. Doch die Falken in der Guantánamo-Debatte benutzten das Urteil von New York seither als Argument gegen die Zivilgerichtsbarkeit.
Schwer gegen die Verlagerung der Gefangenen in Gefängnisse - und vor Gerichte - der USA wogen auch mehrere Entscheide im US-Kongress. Dieser verhinderte - zuletzt im vergangenen Monat - solche Transfers. Hingegen gelang es der Obama-Regierung, 70 ehemalige Gefangene aus Guantánamo an andere Länder abzugeben. Die meisten von ihnen nach Europa.
Der Obama-Entscheid erfolgt zwei Tage, nachdem in Ägypten Demonstranten die Quartiere des Geheimdienstes gestürmt haben. Das Mubarak-Regime und sein Geheimdienst haben bei der Bekämpfung von Terrorismus eng mit den USA zusammengearbeitet und unter anderem auch die Verhöre einzelner Verdächtiger übernommen. Sprecher des Weißen Hauses erklären, die Entscheidung Obamas habe sich nach monatelangen Expertisen aufgedrängt und stehe durchaus im Einklang mit Obamas Grundsatzrede zu Guantánamo vom Mai 2009.
Damals hatte der US-Präsident erklärt, die unbefristete Inhaftierung von nicht verurteilten Personen sei "die härteste Einzelfrage, mit der wir es zu tun haben."
Menschenrechtsorganisationen wie die Amercian Civil Liberties Union (ACLU) kritisieren den Obama-Entscheid. Direktor Anthony Romero: "Es ist eine unbegrenzte Institutionalisierung einer Inhaftierung, die gesetzeswidrig, unklug und unamerikanisch ist."
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