Ob Jesus das freuen würde, dass wir zur Erinnerung an ihn Kindertiere töten?: Lämmer lieben und Lämmer essen
Fremd und befremdlich
KATRIN SEDDIG
Das Schaf ist, besonders in Norddeutschland, immer noch sehr beliebt. Es grast auf dem Deich, damit der Deich fest bleibt und nicht versteppt. Nebenbei köttelt es überall hin und hält die Touristen fern, die nicht gern durch Schafköttel laufen. Eine ähnliche Funktion hat das Schaf in der Lüneburger Heide, die ohne Schafe gar nicht vorstellbar wäre.
Das Schaf gehört zur Heide wie das Heidekraut. Wir alle mögen Schafe, auch wenn wir noch nie eines persönlich kennengelernt haben, weil das Schaf als friedfertig gilt. Es heißt zum Beispiel, er oder sie wäre fromm wie ein Schaf. Gleichzeitig hängt dem Schaf auch der Ruf der Dummheit an, aber die Wissenschaft sagt, dem wär nicht so, auf irgendeine Art wär das Schaf auch intelligent. Neben dem Nutzen, den das Schaf für die Deich- oder die Heidelandschaft hat, wird es auch noch gern gegessen. Insbesondere dann, wenn es noch ein Kind ist, ein Lamm nämlich.
Ich sah noch nie Schaffleisch auf einer Speisekarte, ich kann mich eigentlich ausschließlich an Lamm als Angebot erinnern. Ein Schaf wird so etwa zehn Jahre alt, unter Umständen auch zwanzig Jahre, aber wenn es noch als Lamm auf den Tisch kommen soll, darf es nicht älter als ein Jahr sein. Milchlämmer zwischen zwei und sechs Monate. Insbesondere zu Ostern wird in Deutschland und auch anderswo Lamm gegessen. Das Osterlamm, Lamm Gottes, ist ein Symbol für Jesus Christus und seine Auferstehung. Es steht für Unschuld und Opfer und irgendwie auch ein bisschen für Blödheit, denn eigentlich ist es blöd, sich ohne Gegenwehr zur Schlachtbank führen zu lassen.
Jesus freilich hatte keine Möglichkeit, sich zu wehren, er wollte sich ja auch opfern, und das wird nicht als Blödheit, sondern als Großmut ausgelegt, und das echte Lamm, das geschlachtet wird, schon gar nicht. Das Lamm also gehört zu Ostern, wo es in vielerlei Form verspeist wird. Zum Beispiel als Gebäck, oder als Keule, auf dem Mittagstisch. Bei uns zu Hause gab es früher an Ostern tatsächlich meistens (Oster-)Hase, weil mein Vater Karnickel hielt.
Heute gibt es traditionell auch bei uns Lammfleisch und das bringt mich etwas in die Bredouille. Vor Kurzem sah ich einen Aufruf, der sich gegen das Schlachten von Lämmern richtete. Ich esse seit einiger Zeit, aber noch nicht so lange, kein Fleisch mehr, nicht weil es mir nicht schmeckt, sondern weil ich es nicht mehr richtig finde.
Nun weiß ich zufällig, dass das Lamm, das mir an Ostern serviert wird, aus einem kleinen Familienbetrieb kommt, in dem die Schafe ein gutes Leben führen. Aber andererseits, was nützt einem Tier so ein gutes Leben, wenn das gute Leben nur so kurz ist? Wenn es das Leben eigentlich gar nicht richtig kennen lernt? Wieso essen wir überhaupt Kindertiere? Ja, weil so ein Kinderfleisch zarter ist als ein Erwachsenenfleisch.
Wir mögen lebende Lämmer, weil sie so süß sind und wir essen sie gern, weil sie so zart schmecken. Ob Jesus das freuen würde? Dass wir zur Erinnerung an ihn ein Babyschaf töten? Ich feiere an Ostern nicht die Auferstehung Jesus Christus, weil ich kein Christ bin und nicht an Gott glaube, ich feiere Ostern, weil ich damit aufgewachsen bin, ich feiere die Familie, die zusammenkommt, ich feiere den Frühling und das Leben. Im Übrigen sind wir alle Lämmer gegenüber der Welt. Die Welt ist ein Misthaufen, eine Katastrophe, ein Dilemma, wir wissen das, aber wir feiern weiter unsere Feste. Wir stehen jeden Morgen auf und trotten durch den Alltag, trotz unseres Wissens um die Welt und ihrer Abgründe, denn es ist gar nicht mal so einfach, die Welt zu ändern.
Wenn wir uns opferten, wie Jesus, würde das niemandem nützen, aber wenn wir unsere Essgewohnheit opferten, würde das einem kleinen Schaf nützen, immerhin.
Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen